Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Maeterlinck, Maurice; Oppeln-Bronikowski, Friedrich von [Übers.]
Der Schatz der Armen — Florenz, Leipzig, 1898

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37324#0042
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ob einer Wüste herrschen. Sie haben noch die göttlichen Wallungen der
ersten Tage, und ihre Wurzein tauchen viel unmittelbarer als die unsern
in alles, was nie Grenzen hatte. Ich bedaure wahrlich die, welche sich
über sie beklagen, denn sie wissen nicht, auf welchen Höhen man die
wahrhaftigen Küsse findet. Und doch, wie wenig scheinen sie, wenn die
Männer sie im Vorübergehen anblicken! Sie sehen sie im Schosse ihrer
kleinen Behausungen sich rühren; diese neigt sich ein wenig; dort unten
schluchzt die andre; eine dritte singt, und die letzte stickt—und nicht einer
versteht, was sie machen!... Sie kommen und suchen sie auf^ wie man
lächelnde Dinge aufsucht. Sie nähern sich ihnen nur mit lauerndem Geiste;
und die Seele kann nur unter den grössten Zufälligkeiten hereinschlüpfen.
Sie forschen sie misstrauisch aus, und erhalten keine Antwort, weil jene
schon wissen. Da gehen sie dann fort und zucken die Achseln, überzeugt,
dass sie nicht verstehen ... „Aber was brauchen sie dies zu verstehen?"
antwortet uns der Dichter, der stets Recht hat; was brauchen sie zu ver-
stehen, diese beglückten Seelen, die das beste Teil erwählt haben und
wie eine reine Flamme der Liebe auf dieser Erdenwelt nur auf der Zinne
der Tempel oder auf der Mastspitze irrender Schiffe leuchten, ein Wahr-
zeichen himmlischen Feuers, das alles durchglüht. Gar oft überraschen
diese liebenden Kinder in geweihten Stunden wundervolle Geheimnisse
der Natur und offenbaren sie mit unbewusster Offenherzigkeit. Der Weise
folgt ihren Spuren, um all die Edelsteine aufzulesen, mit denen sie in ihrer
Unschuld und Freude die Strassen besäet haben. Und der Dichter, der
empfindet, was sie empfinden, dankt ihrer Liebe und sucht diese Liebe,
den Keim des goldnen Zeitalters, durch seine Gesänge in andre Zeiten
und andre Gegenden zu verpflanzen. Denn was er über die Mystiker gesagt
hat, bezieht sich vornehmlich auf die Weiber, als welche uns bis zum
heutigen Tage den mystischen Sinn auf Erden bewahrt haben.
 
Annotationen