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Maeterlinck, Maurice; Oppeln-Bronikowski, Friedrich von [Übers.]
Der Schatz der Armen — Florenz, Leipzig, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.37324#0103
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V°NSiD6RS?INN€R6N3
S(HeNH€M*W3.3
s giebt nichts auf Erden, das nach
Schönheit begieriger wäre und sich
leichter verschönte, als eine Seele. Es
giebt nichts auf Erden, das sich natür-
licher erhöbe und unbedingter ver-
edelte. Es giebt nichts auf Erden, das
gewissenhafter den reinen und edlen
Befehlen gehorchte, die ihm zu teil
werden. Es giebt nichts auf Erden, das
sich gelehriger der Herrschaft eines
Gedankens unterzöge,der höher ist als
andre. Auch widerstehen sehr wenige
Seelen auf Erden der Herrschaft einer
Seele, die sich schön werden lässt.
Man könnte in der That sagen, dass die Schönheit die einzige Nahrung
unsrer Seele ist; sie sucht allerorten, und selbst im niedrigsten Leben stirbt
sie nicht Hungers. Das heisst, es giebt keine Schönheit, die völlig un-
bemerkt vorüberginge. Möglich, dass sie immer nur unbewusst vorüber-
geht, aber sie handelt bei Nacht ebenso machtvoll, wie am hellen Tage. Dort
veranlasst sie eine minder fassliche Freude, und das ist der einzige
Unterschied. Man prüfe die gewöhnlichsten Menschen, wann ein Hauch
von Schönheit ihre Finsternis streift. Sie sind da beisammen, gleichgiltig,
wo; und wenn sie sich vereinigt finden, ohne dass man wüsste, warum, so
scheint ihre erste Sorge zu sein, zuvörderst die grossen Thore des Lebens
zu schliessen. Und doch hat jeder von ihnen, so lange er allein war, mehr
als Einmal seiner Seele gemäss gelebt. Er hat vielleicht geliebt und ohne
Zweifel gelitten. Auch hat er unvermeidlich die „Klänge des fernen Landes
voller Glanz und Schrecken" vernommen und manchen Abend still-
schweigend zu Gesetzen hingeneigt, die tiefer sind als das Meer. Aber wenn
sie beisammen sind, lieben sie, sich an niedren Dingen zu berauschen.
 
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