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Malkowsky, Georg [Red.]
Die Pariser Weltausstellung in Wort und Bild — Berlin, 1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.1250#0059
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Die Pariser Weltausstellung in Wort und Bild.

allseits besonders rühmlich hervorgehoben, ohne dass sich
dafür eine Begründung finden liesse. Es ist kein natürliches
Hindernis vorhanden, dass nicht noch mehr Personen Durch-
lass fänden, sofern sie sich überhaupt einstellen und die künst-
lich zur Abnahme der Karten geschaffenen Eingänge können
bei einem Andrang nur hemmend und verzögernd wirken. Die
Massregel mag, vom administrativen Standpunkt aus betrachtet,
nötig und nützlich sein, ein Verdienst des Architekten kann
jedoch darin nicht erblickt werden.

Die Grundfarbe der monumentalen Pforte ist cremeweiss,

doch tritt überall eine polychrome Dekoration hervor, nament-
lich Blau, Rot und Gold. Die Beleuchtung ist reichlich vor-
handen, fast zu reichlich, so dass der Architekt von ihr eine
den architektonischen Anblick schädigende Wirkung befürchtet.
Nicht weniger als 3116 Glühlichter von verschiedener Form
und Färbung besäumen die Linien des Baus und füllen sein
Inneres; ferner sind noch angebracht auf Kuppel und Minarets
zwölf Bogenlampen, acht Scheinwerfer und sechszehn einfache
Reflekteure, eine „feenhafte Beleuchtung" also, wie sie in der
üblichen Zeitungssprache allgemein gepriesen wird.

Die Kolonien auf der Ausstellung.

lere la France hat selbst ihre Sorgenkinder — die
1 Kolonien — zur Weltausstellung nach Paris kommen
lassen, und man hat sie besonders herausgeputzt,
damit sie den Ausstellungsbesuchern hübsch artig
und fein erscheinen und auf diese Art so manche
unangenehme Geschichte vergessen machen, die sich ihret-
wegen inderletzten
Zeit abgespielt und
viel Menschenleben
und noch mehr Geld
gekostet haben.

', Tunis, Al-
gier, Dahomey,
Anam, Cochin —
alle sind auf der
Ausstellung ver-
treten, jedes Land
in hübscher „Auf-
machung" mög-
lichst naturgetreu,
oft so, dass die
Natur durch die
Kunst verdrängt
wurde, aber immer
von einem leitenden
Gedanken getragen,
dem Besucher die
Wirklichkeit so gut
wie irgend möglich
vor Augen zu
führen. Man wird
unwillkürlich an
die Legende aus
dem Leben des
Propheten erinnert,
der stolz dem Berg
befahl, zu ihm zu
kommen, und der
dann kleinmütig
zum Berge ging,
als dieser keine
Miene machte dem
Befehle nachzu-
kommen. Die Kolo-
nien kamen nach

Paris, und wenn man in ihnen herumwandert, dann glaubt
man weit weg von Paris zu sein, man darf nur den
Blick nicht zum Himmel erheben, der blaut über die echten
tunesischen Strassen und Dahomeydörfer doch anders, wie
über die nachgebildeten in Paris, auch jener undefinier-
bare Geruch fehlt, der den Orient auszeichnet, und der im
Verein mit der Hitze den Europäer die zehn Gebote ver-
gessen lässt.

Tunis und Algier hat seinen Platz links von dem Pont
d'Iena gefunden.

Die Ausstellung macht ganz den Eindruck- einer kleinen
orientalischen Stadt. Verteidigungsmauern mit zerbröckelnden
Breschen, auf den Dächern der kleinen Häuser halbmond-
gekrönte Kuppeln, Moscheen mit schlanken Minarets, Bazare
oder Souks, Cafehäuser, öffentliche Brunnen.. Und das alles
wirr und wild durcheinander gebaut, wo gerade ein geeigneter
Platz war, ganz wie in der Wirklichkeit, ohne Rücksicht auf
den starken Verkehr in den schmalen Strassen, ohne das
geringste Bestreben Licht und Luft in die engen Gehöfte
hereinzulassen. Je enger die Gassen und je mehr sie sich
krümmen, desto lieber sind sie dem Orientalen und er nennt
eine Strasse, die mehr als drei Meter breit ist verachtungsvoll:

Das Haup

Nachdruck ohne Quellenangabe verboten.

avenue. Wirklich hier bedeutet das Wort avenue etwas Ver-
ächtliches, da es von den Giauren gekommen ist, und was von
denen kommt, verachtet jeder Muselmann! —

Die Häuser sind mit grellen Farben angestrichen und die
nur in Algier vorkommenden schwarzen. Hölzer, die die
verand aar (igen Balkons stützen, heben sich scharf vom Mauer-
werk ab. Die dem
orientalischen
Hause eigenen
erkerartigen Aus-
bauten von durch-
brochener Arbeit,
die sogenannten

Maschrebijen
fehlen selbstver-
ständlich nicht. Ur-
sprünglich kleine

vorspringende
Nischen, bestimmt
zum Aufbewahren
von porösen Thon
gefässen wurden
diese Maschrebijen
zu Zimmerchen er-
weitert , die den
doppelten Vorzug
haben, der Luft Zu-
gang zu gewähren
und das Leben auf
der Strasse beob-
achten zu können,
ohne selbst gesehen
zu werden. Die
Maschrebijen mit
ihren kunstvollen,
zierlichen Holzgit-

tern gewähren
einen sehr anzie-
henden Anblick.
Meist sind sie über-,
ragt von' Fenstern
mit bunten Glas-
stückchen, die in
eine von einem
bemalten Holz-
rahmen umgebene Gipsarabeske eingelassen sind.

Man bemerkt beim Durchwandern der Strassen eine An-
zahl derartiger Fensterchen und • muss sich über die Ver-
schiedenheit der Arabesken und Farbengebung wundern. ■

Zwei Moscheen finden wir auf der Ausstellung nach-
gebildet, von der jede ihre Geschichte hat. Die eine, der
berühmten Sidi-Mahres in Tunis getreulich nachgeformt,
ist die Veranlassung zu einem Morde gewesen.' Das Innere
dieser Moschee darf nämlich von keinem Christen betreten
werden und die höchste Strafe droht dem Moslim, der einem
Ungläubigen einen Einblick in den heiligen Innenraum ver-
schafft oder gestattet. A°d-el-FIag, ein ' schlauer Araber,
liess sich aber durch einen nicht unbeträchtlichen Backschisch
bestimmen, Photographien davon für den Architekten anzu-
fertigen, der die Nachbildung in Paris erbaute. Kaum hatte
dieser seine Bilder, als der Araber von seinem Nachbarn,
der von seinem „Frevel" Kenntnis bekommen- hatte ' —
wahrscheinlich für einen höheren Backschisch — erschlagen
wurde.

Die andere Moschee heisst die Barbiermosche'e. Das
Original steht in Kairuan. Sie führt den Namen nach einem
gewissen Abu-Zemaa, seines Zeichens Barbier, der einige

der AnsHtellum.
 
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