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Malkowsky, Georg [Red.]
Die Pariser Weltausstellung in Wort und Bild — Berlin, 1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.1250#0330
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Die Pariser Weltausstellung in Wort und Bild.

Die Madagaskar- und Sudan-Ausstellung.

Von
Dr. v. Schimmelpfennig.

^it besonderem Eifer hat sich Frankreich seiner ma-
dagassischen Ausstellung angenommen. Diese Zärt-
lichkeit der mere la France erscheint begreiflich
und wohl berechtigt; gilt sie doch dem jüngsten,
teuern Kinde, welches kaum seit einem Jahrzehnt in den
grossen Familienverband der Kolonien mit vollen Rechten ein-
getreten ist. Hierzu gesellt sich das schwerwiegende Moment,
dass Madagaskar nicht völlig ohne Protest anderer, adoptions-
lustiger Mächte gewonnen wurde. In Frankreich hat man
allerdings die Behauptung aufgestellt, dass die grosse Insel
im indischen Ocean seit 1644 französischer Oberhoheit unter-
stehe. Der Kardinal Richelieu genehmigte in jenem Jahre
durch ein königliches Patent die Kolonialunternehmung eines
aus Dieppe stammenden Rigault, die jedoch keine dauerhaften
Fundamente der französischen Herrschaft auf Madagaskar zu
begründen vermochte. Zwei Jahrzehnte hindurch fristeten
die Kolonisten des allerchristlichsten Königs ein trauriges,
namentlich durch die — unter dem Namen madagassisches
Fieber bekannten — schweren Gallenkrankheiten gefährdetes
Dasein, dann erlosch die thatsächliche Ausübung jedes Herr-
schaftsrechtes bis in das neunzehnte Jahrhundert. Vorüber-
gehende Ansiedlungsversuche scheiterten immer wieder an
der Ungunst der klimatischen Verhältnisse und an der Kon-
kurrenz der anderen, seefahrenden Nationen, namentlich Eng-
lands, das 1816 mit dem Howaherrscher Radama in Vertrags-
verhältnis trat und Madagaskar als Dependance von Bour-
bon (!) (ile de la Reunion) für sich in Anspruch nahm. .Wenn
es Frankreich glückte, dieser Schwierigkeiten Herr zu werden
und die grosse Insel seinem Kolonialreich endgültig anzu-
gliedern, so erwuchs für die Ausstellung naturgemäss die mo-
ralische Verpflichtung, der Welt darzuthun, dass Madagaskar
in die Hände einer zivilisatorisch befähigten Nation überge-
gangen ist, die selbst den kurzen Zeitraum eines Jahrzehntes
zu nützen versteht. So ist die besondere Fürsorge zu er-
klären, mit der die Sektion Madagaskar der Centenar-Aussfel-
lung bedacht wurde.

Die madagassische Ausstellung liegt neben dem Troca-
dero und zerfällt in einen CentralpaviHon und eine Gruppe
von Hütten und Wohnstätten, die getreu nach afrikanischen
Originalen hergestellt sind. Diese letzteren präsentieren; sich
als primitive Bauwerke aus Lehm, Baumrinde, Holzlatten
oder groben Matten. Von einer bestimmten Stuart kann bei
der Verschiedenartigkeit des Materials kaum die Rede sein,
der individuelle Geschmack des Erbauers, die Bedürfnisse des
Bewohners bestimmen allein Form und Grösse der Hütten.
Das Innere weist die einfachen Gerätschaften eines Natur-
volkes auf, Jagd- und Fischzeug, Feuerstelle und Lager. —
Das Hauptinteresse richtet sich auf den CentralpaviHon, einen
stattlichen Rundbau, der durch eineFussgängerbrücke mit dem
Trocadero verbunden ist. Ursprünglich hegte man die Ab-
sicht das „Silberschloss" von Tänanarivo getreu nachzubilden,
allein die Pariser Architekten haben schliesslich davon Ab-
stand genommen und sich damit begnügt, einen Abguss des
fliegenden silbernen Adlers, welcher die alte Residenz der
madagassischen Herrscher krönt, auf einem Turm anzubringen.
Die Rotunde, von dem Kolonialmgenieur Jully und dem Bau-
meister Nenot hergestellt, gliedert sich in vertikaler Richtung
in drei gleich grosse Arcus, welche durch Turmbauten ge-
schieden werden. Zwei dieser Türme sind eingebaute Massive
auf quadratischem Grundriss und überragen die Dachkrete des
eigentlichen Rundbaues nur um die Breite eines Stockwerkes;
der dritte Turm dagegen ist von aussen angefügt und hebt

Nachdruck ohne Quellenangabe verboten,
sich minaretartig hoch in die Lüfte. Ueber einer kapital-
artigen Auskragung schwebt auf gewundenem Sockel der vor-
erwähnte silberne Adler. Die Arcus sind in sich durch Pfeiler
gegliedert, welche alle Stockwerke durchlaufen und je zwei
Fenster von einander scheiden. Horizontal betrachtet, zerlegt
sich der Bau in'drei Etagen, von denen die untere und die
mittlere grosse, viereckige, die ganze Wandfläche füllende
Fenster trägt, während die Fenster des obersten Stockwerkes
gebrochene Rundbogen im maurischen Geschmack aufweisen.
Die Pfeiler und Fensterbalustraden sind mit reicher Orna-
mentik bedeckt. Das Innere des Pavillons zerfällt in zwei
runde Mittelsäle und umlaufende, der Peripherie des Gebäudes
folgende Gallerien. In diesen letzteren sind die Erzeugnisse
von Madagaskar, teils im Rohstoff, teils nach Bearbeitung
untergebracht. Wir begegnen hier neben Proben manueller
Fertigkeit, wie Webereien, Spitzenklöppeleien, Bast- und Stroh-
arbeiten auch allen jenen Produkten, welche den Reichtum
der Insel ausmachen, Kautschuk, Gummi, Wachs nnd nament-
lich den Mineralschätzen an Eisen, Kupfer, Silber, Anti-
mon u. s. w., die leider noch allzuwenig von den Franzosen
ausgebeutet werden.

Die beiden Mittelsäle sind eigenartig ausgestaltet; der obere,
welcher durch das erste und zweite Stockwerk reicht, um-
schliesst das Panorama der Schlacht von Tänanarivo, der
untere Erdgeschosssaal enthält eine Reliefdarstellung mit
geologischen, botanischen und zoologischen Motiven. Man um-
schreitet hier ein grosses Bassin, aus dem sich die steilen
Felswände einer Insel erheben. Das phantastisch getürmte Ge-
stein ist überdeckt mit jener seltsamen Flora, die Madagaskar
allein eigentümlich ist, und die daher unsere Forscher auf die
Vermutung geführt hat, dass die Insel als Rest eines alten,
tertiären Weltteils zu gelten habe, der vermutlich ostwärts bis
Celebes seine Küsten dehnte. Wir sehen hier den merk-
würdigen „Wanderer-Baum" (Urania speciosa), aus dessen
Biattscheiden Trinkwasser tropft, oder die schöne Pflanze,
welche ihre langen, gitterförmig geäderten Blätter mit Vor-
liebe unter das Wasser senkt (Ovirandra fenestralis). Auch
die Fauna fehlt nicht: Auf den Palmenkronen wiegen sich
buntschillernde Vögel, im Gestein haust der Katzenmaki, auch
eine Spezialität Madagaskars, ferner der Antambu, und aus dem
Wasser klettern unförmige Krokodile. Das Ganze giebt ein
getreues Bild der 'seltsamen Inselwelt mit ihren tropischen
Reizen und Schrecknissen. — Das Panorama im oberen Saal
ergänzt die Eindrücke der Reliefdarstellung. Wir blicken in
eine weite Landschaft, die eigentlich nur in zwei Farben (mit
vielen Nüancierungen) getaucht ist. Ein strenges Rotgelb und
ein tiefes Grün. Mr. Tynaire, welcher die französische Expe-
dition seinerzeit begleitete, hat das Rundgemälde nach Skizzen
ausgeführt, die,- an Ort und Stelle aufgenommen, die selt-
samen Farben der madagassischen Natur getreulich wieder-
geben. Hinter dieser malerischen Schilderung der Lokalität
, steht das militärische Element erheblich zurück und, wenn
französische Kritiker die „Eroberung von Tänanarivo" auch
nach dieser Richtung mit Lob überschütten, so dürfte das
patriotische Gefühl die Wertschätzung wesentlich beeinflusst
haben.

Einige ■ Schritte durch den Trocaderopark — nach der
Seine zu — und wir haben ganz Afrika in seiner Breite durch-
messen. Vor uns erhebt sich das längliche Viereck des Senegal-
pavillons, ein Meisterwerk des Architekten ScellierdeGisors, wel-
ches die Stileigentümlichkeiten des Sudan und Senegambiens
anschaulich wiedergiebt. Wollte man diese Architektur klassi-
 
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