Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Häßler, Hans-Jürgen; Rösing, Friedrich Wilhelm
Zur inneren Gliederung und Verbreitung der Vorrömischen Eisenzeit im südlichen Niederelbegebiet (Teil 1): Mit e. Beitr. von F. W. Rösing über Die Leichenbrände der eisenzeitlichen Gräberfelder von Bargstedt I, Harsefeld und Issendorf III (Kreis Stade) — Hildesheim: Verlag August Lax, 1977

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.65516#0112
License: Creative Commons - Attribution - ShareAlike
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Geschlossenheit des Grabfundes bei der überwiegenden Anzahl außer Frage steht, muß diesbezüg-
lich bei den Siedlungsgruben äußerste Vorsicht angeraten sein. Neben anthropogenen Störungen
können diese schon beim Ausheben zufällig mit Fundmaterial anderer Perioden angereichert
worden sein205. Ein in Hamburg-Marmstorf untersuchtes Siedlungsareal barg neben kaiserzeit-
lichen auch neolithische Gruben; sie lagen in unmittelbarer Nähe beieinander2°6. Darüber hinaus
weiß man bislang zu wenig über die Funktion dieser Gruben. Wahrscheinlich handelt es sich um
Abfalldeponien, in welche über einen längeren Zeitraum Material hineingelangt sein könnte.
Denkbar ist aber auch, daß verstreut liegendes Scherbengut verschiedener Zeithorizonte zusammen-
gefegt und vergraben wurde. Den vorstellbaren Möglichkeiten sind hier keine Grenzen gesetzt.
Vielleicht führen detaillierte Grubentypisierungen, wie sie kürzlich von B. Sielmann vorgelegt
wurden207 208 209, zu weiterreichenden Erkenntnissen. Als relativ geschlossen ist dagegen das Fundgut
aus den Backöfen anzusehen. Diese überwiegend der Spätlat^ne- und älteren Kaiserzeit zuzuord-
nenden Gebilde bergen aber leider in der Regel nur sehr wenige Scherben 2°8.
Abgesehen von diesen quellenkritischen Vorbehalten ist noch ein weiterer Faktor bei der typo-
logischen Bestimmung und zeitlichen Zuordnung von Scherbenmaterial aus Siedlungen zu beach-
ten. Ist die Grabkeramik überwiegend nach Größe und Form für ihren bestimmten Verwendungs-
zweck ausgesucht worden, so umfaßt das Siedlungsmaterial das gesamte geläufige Formengut.
Daher finden sich dort Gefäßtypen, die in Gräbern nur selten vorkommen. Die großen Vorratsge-
fäße (Taf. 103, 2a; 104k) oder das flachbodige, wannenförmige Gefäß mit Innenhenkeln aus Stade
(Taf. 102a) mögen hier angeführt sein. Ein weiteres Gefäß dieses sehr ausgefallenen Typs, welcher
wohl der Spätlatenezeit zuzuordnen ist, liegt aus Ohrensen-Sußhop, Kr. Stade, vor2°9. Da
Verfasser aus dem gesamten nordostniedersächsischen Raum kein vergleichbares Objekt bekannt
ist, sie hingegen in Schleswig-Holstein aber gelegentlich belegt sind21°, kann angenommen werden,
daß bei einer sorgfältigen Aufarbeitung des Siedlungsmaterials eventuell auch dort gruppenspezi-
fische Unterschiede im Bestand nachzuweisen wären. Auch diese Überfremdung des aus Gräber-
feldern bekannten Typensatzes durch besondere Haushaltsgefäße kann zu einer Verunsicherung bei
der Datierung des Siedlungsmaterials führen.
Von der Grabkeramik wissen wir, daß einzelne Formen beträchtlich lange hergestellt und be-
nutzt worden sind2!!. Wie fragwürdig die Datierung eines Siedlungskomplexes anhand der
Keramik sein kann, zeigt eine gut dokumentierte Siedlungsgrube aus Spieka, Kr. Wesermünde. In
dem von H. Aust freigelegten Komplex lagen Scherben von ca. 17 Gefäßen, die, sorgfältig gepackt,
einen auf dem Grund der Grube stehenden kleinen Napf (Taf. 100p) bedeckten. Unter den Scher-
ben befinden sich neben Töpfen der Stufe Jastorf a und b (Taf. 100c,d,g,m,n,o) auch solche, die
sowohl der Stufe Jastorf b als auch c angehören können (Taf. 100a,e,h,b). Eindeutig der mittleren
vorrömischen Eisenzeit ist nach der Kenntnis der Grabkeramik das Gefäß mit breitem, scharf abge-
winkeltem Rand zuzuordnen (Taf. lOOq). In dieser Grube liegen somit Gefäße der älteren und
mittleren vorrömischen Eisenzeit in einem geschlossenen Fund beieinander. Die hier besonders
sichtbar werdende Unsicherheit in der Keramikdatierung von Siedlungsfunden ist unserer Meinung
nach nur in einer unabhängig von der Grabkeramik durchzuführenden Analyse des Siedlungs-
materials zu klären. Nur in einer solchen Untersuchung ließen sich die Grundlagen für eine brauch-
205 Hierzu beispielsweise die Ausführungen bei C. AHRENS (1966, 190 f.).
206 Hinweis von Prof. C. Ahrens, Helms-Museum in Hamburg-Harburg.
207 b. SIELMANN (1974a, 57 ff.; ders., 1974b, 121 ff.). Ferner W. WEGEWITZ (1955).
208 Verwiesen sei hier auf die Ausführungen bei W. WEGEWITZ (1950, 242 ff., ders., 1939, 65 ff.) und B. SIELMANN
(1968/72, 64 ff.).
209 Der Fund wird unter der Kat.-Nr. 4234 im Museum Stade aufbewahrt.
2^0 k. KERSTEN (1939, 272, Abb. 246c). In Jütland sind vergleichbare Gefäße bereits für die ältere vorrömische Eisen-
zeit belegt (C.J. BECKER, 1961, PL la,d,e).
2H Man vergleiche dazu H. HINGST (1959, Abb. 17b), A. RANGS-BORCHLING (1963, 39 ff.) und R.-H. BEHRENDS
(1968, 69 ff.).

98
 
Annotationen