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Mannheimer Abendzeitung — 1846

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No. 1 – No. 30 (1. Januar – 31. Januar)
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ns Mittwoch, den 21. Januar. a .

U

Baden 2



E

. ie lehte rufſiſche Niederlage.

_ Wir reden nicht vom Kaukaſus, wo der ruſſiſche Adler, wie einſt sein my-
[ thiſcher College mit der täglich neu wachsenden Leber des Prometheus, mit dem
heute beſiegten und morgen wieder ſiegenden Freiheitstroge der Bergvölker sein
reichliches Tagewerk findet und nicht an den Pfeil des Herkules denkt, welcher
auch ihm einſt ein Ziel seßzen magz ~ wir reden von Wien und Rom, und
dem nicht beſuchten Berlin. Daß der Czar in jenen beiden Städten eine

Niederlage erlitten, in der letzteren sie nur umgangen hat, iſt jetzt ein

o öffentliches Geheimniß, daß es überflüsſſig erscheinen mag, auf diesen Punkt
zurückzukommen. Der Czar iſt durch Warschau gereiſt und die polnische Haupt-
dkeadt war nach dem. Berichte der Preuß. Allgem. Ztg. glänzend erleuchtet. In-

üttereſſanter als dies ins Gebiet der Polizeiwissenſchaften zu verweiſsende Factum

wäre es zu wiſſen, wie viel und was man die Polen von dem Erfolge des
. neuen. Römerzuges hat erfahren laſſen. Gewiß noch weniger, als Europa von
den ruſſiſch-polniſchen Zügen gen Tobolsk und Ural erfährt; denn eine wunder-
Ö bare Fügung des Himmels iſt es gewiß, die von dem geheimnißvollen Dunkel
des ruſſiſchen Reiches in einem Augenblicke gerade, als. die Politik desselben eben
eine ihrer tieſsſtangelegten Mienen springen laſſen wollte, den Schleier lüftete, aus
: den gravenvollen Klöſtern die gefolterten Nonnen, aus den ſibiriſchen Eishöllen

die Schaaren geknuteter Prieſter über die Grenze der gebiideten Welt führte und

der öffentlichen Meinung von Stockholm bis Palermo daſſelbe Feldgeschrei gegen

den gemeinsamen Feind gab. So lange der Kampf unentschieden war, blieb die: |
- ser Ruf der einzige, welcher Alle befeuerte, und vor seiner gewaltigen Bedeutung |
verschwanden die tiefſten Unterschiede der Volksthümlichkeit und des Glaubens. |

Die Proteſtanten Deutschlands haben die Sache der katholischen Märtyrer zu ih-
rer eignen gemacht, zählten doch auch ſie Glaubensgenoſſen unter den Unglückli-







+ Anlauf des Gegners fiegreich zurückgeſchlagen, und alle edleren Herzen in Eu-
ropo ſchlagen freierz jetzt wird es vergönnt sein, einige Seiten dieser. lehrreichen
Geſchichte zu berühren, deren bis dahin nicht Erwähnung geschehen iſt. :

ſhichtlichen Gerechtigkeit indeß hat mit einer ſolchen nichts zu schaffen. Diese

denen der römiſche Biſchof gegen die griechiſche Kirche auftritt, die Sünden
icht vergeſſe, welche von seiner eigenen Kirche oder wenigstens in ihrem Namen
einſt an eben der Stätte begangen wurden, an der ſie jetzt als Märtyrin in den
Staub ſinkt und zum Himmel um Rache ſchreit. Die Weltgeschichte sucht die
Miſsseihaten der Väter heim an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied,
î und die Enkel büßen heutzutage eine furchtbare Buße in Polen für Das, was
ihre Großväter dort an den Proteſtanten verbrochen haben. Unter den bei-
den ſächſischen Polenkönigen Friedrich Auguſt waren es keine Andere als die
îgqeſsuiten, welche Druck und blutige Verfolgung gegen alle Akatholiken ausübten,
wund in der Geschicklichkeit, politiſche und religiöſe Unduldsamtkeit gegenseitig zu
ergänzen und zu unterſtützen, mit ihren jetzigen Peinigern wetteiferten. Schlau

êbenuttten sie den Umstand, daß die Diſſidenten dem sc<wedisſchen Karl geneigt
gewesen waren, und unmenschlich krönten ſie ihre Verdächtigungen durch das
M z zu Th orn. Der Czar hat die durch Verträge und Eide verbürg-
ten Rechte Polens und der polnischen Nationalkirche in den Staub getreten; am
igſten aber durfte ihm, als er mit dem Brennusschwerte des Siegers in der
d sein Vae Victia sprach, der Orden fluchen, deſſen Werk es war, daß im
‘e 1717 der Reichstag zu Krakau gegen die Verfaſſung der Republik den
denten ihre bürgerlichen Rechte raubte und ihre Kirchen dem Untergange

















Preis gab, und daß 1733 die Versammlung in Grodno, als die Wahl schwankte
zwischen Stanislaus Leczinezkh und Friedrich Auguſt 11., die nichtkatholisſchen
Landboten zum Fenster hinausſtürzen wollte und dieselben ganz verfaſſungswidrig
von allen Kronämtern, Gesandtſchaften und Staroſteien ausschloß. Das ſind
Nur wenige von den vielen Thatsachen, welche an das gemeine Sprichwort „heute
r “rrszgs dire und an die Wahrheit erinnern, daß es eine Nemeſis gibt
fir Unmittelbarer die Gegenwart berührt eine andere Lehre, die wir aus dem
terfeldzuge Rußlands zu entnehmen haben. Wir meinen zunächſt nicht die
iliche Thatsache, daß über dieſen Gegenſtand die gesammte zurechnungsfähige





Presse deutſcher Nation, und zwar die miniſteriellſten und conſervativſten Blät-
ter eingeschloſſen, nur eine Ansicht mit energischer Entschiedenheit vertrat (und
vertreten durfte), sondern wir denken vornehmlich an eine Erfahrung , welche
die deutſchen Großmächte in diesen Monaten machen konnten und, wir hoffen es,
gemacht haben. Es iſt dieſe: daß eine wirklich deutſche That, wenn ſie auch

nur, wie in dieſem Falle, negativ iſt und die Pläne des Fremdlings mit Kraft

auch nur zurückweist, daß ſchon eine einfache Abſchließung von der ruſſiſchen

YPeolitik einen millionenfachen Zuruf in ganz Deutschland ohne allen Unterschied

der kirchlichen und politiſchen Parteien erweckt und in der That und Wahrheit

die Herzen der Beſten im Volke den Regierungen zugewendet. Wenn das Jahr

1845 unserm Vaterlande auch nichts eingetragen hätte, als dieſe eine Erfahrung,

_ wir würden es ſchon darum preisen und segnen: denn wir Deutſchen ſind eine

genügsame Nation. Gott verhüte, daß es Denjenigen, denen an unserer Ent- |

_ ygweiung am Meisten gelegen sein muß, abermals gelinge, Mißtrauen zu säen
qwiſs en dentſchen Völkern und Fürſten! Ein ſoléches Stoßgebet aus patrioti-
chem Herzen iſt nicht überflüſſig, die Tage, deren Bild uns vor einiger Zeit in

der Weſ.-Ztg. die kundige Hand, welche die Aufsätze „Rußland, Frankreich und
Deutſchland-- schrieb, entwarf, sind noch keine Tempi passati, und auch auf
deutschem Boden ſind noch nicht überall die Haken aus der Wand geschlagen
an denen ausländische Ränkespinner ihre Netze aufhängen könnten. Die Schreck-
ſchüſſe künſtlicher Komplotte und Revolutionen ſlnd ein beliebtes Manöver, und
es iſt erſtaunlich, wie langſam und schwer diplomatiſche Kunſtgriffe ſich abnugen.
Das Geſchlecht ver „weißen Jakobiner-- ſcheint faſt unſterblich, und die deutſche







! " 18 A 6 ut s Abonnement mit vierteljähriger Vorausbezahlung in Mannheim 1 fl. 15 kr., durch die Poſt bezogen im ganzen Großherzogthum ; j No I ()
is J G4 ); ! ' ' .

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rath v. Stengel. (Schluß.)
en, welche der Bekehrungswuth der gegen Halbmond und Götenbilder so duld- | -
amen Czarenkirche als Opfer gefallen sind und noch fallen. Jetzt iſt der erſte |_ wirk
| Abgeordneten der zweiten Kammer bekleiden könne, und jeder Abgeordnete, wel-

1-: zu fw solchen Staatsamte befördert wird, alsbald aus der Kammer auen
Bess gutreten habe; .18
Hern iſt es von uns, in beſchränktem Glaubenseifer über vas Unglück des |
latholiſchen Polens eine brutale Schadenfreude zu äußern, der Ernst der ge- |

‘chtigkeit aber verlangt, daß man über den nur zu wohl begründeten Klagen, |

bendzei



sl. 8 kr., im Ausland erhöht ſich das Abonnement um den Poſtaufschlag
Inserate die gespaltene Zeile in Petitschrift oder deren Raum vier Kreuzer. Briefe und Gelber : frei einzuſenven.



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: Universalität hat ſich auch diese intereſſante Rolle nicht entgehen laſſen. Oder
| wenn dem nicht so iſt, ſo wollen wir uns gern Pesſſimiſten ſchellen und uns bee.

lehren laſſen, daß es nie Zeiten gab, wo unter der Looſung „Michel für immer!.

eine hohe Obrigkeit die Uhr aus der Taſche zog: dreiviertel auf neun Uhr ?
Jett muß das Attentat bald losgehen; die Truppen von X. sind schon seit drei
| Uhr auf dem Marsch. ~~ Solche Diuge verweisen wir gern in's Gebiet der

Fabeln, denn wir haben den Glauben an die deutſche Ehrlichkeit noch nicht auf-
gegeben; sollte man aber wirklich die öffentliche Meinung so ganz darin verden-

ken können, wenn sie aus dem berühmten Posener Schuß, aus der kaiſerlie)te.

ruſſiſchen Umgehung Berlins und aus der geheimnißvollen Thorner Verſchwö-
rung ſich ein ſtumpfwinkliges Dreieck konſtruirt? wenn ſie ſich von dem Gedan-

ken nicht losmachen kann, daß es eine Macht gebe, der eine friſche, freie, ſtarke

Entfaltung deutscher Kraft ein Dorn im Auge ſei, und in deren Intereſſe es
liege, bei einem deutschen Könige, wie früher das Volk, so fetzt auch die Armee
zu verdächtigen und diesem Zwecke zu Liebe sogar die alberne Rolle des Caglioſtro

zu übernehmen und ſpukhafte Schildwacht-Viſionen heraufzubeſchwören? Hätte
man wirklich nie von auswärts verſucht, selbſt jeden Anschein von Concesſionen

an die unläugbaren Forderungen des Volkes als Rausch und Wahnwitz darzu-

| ſtellen, weil eben dadurch die Regierungen gesicherter und die Nation wehrhafter

werden müßte? - Mögen immerdar solche Pläne und Ränke fremder Wühler
Uno Anarchiſten auf deutſcher Erde zu Schanden werden! ; Das raue Got! w
1 Landtagsverhandlungen. . q .
*+* Karlsruhe, 17. Jan. Siebenzehnte Sitzung der zweiten Kammer.
Unter dem Vorſit des Präſidenten B ekk. Auf der Miniſterbank : Ministeriale.

Die erwähnte Motion des Abg. Hecker geht dahin: ...! lf: u? auf
1) daß kein wirklicher Miniſter oder Chef eines Miniſteriums die Stelle eines

2) daß die in §. 37 der Verfaſſungsurkunde ausgesprochene Unwählbarkeit
der Lokalbeamten zu der zweiten Kammer auch auf die Vorſlände der Provinz-
Vder Kreisregierung auszudehnen ſei; ( u

3) daß die in g. 37 der Verfaſſungsurkunde ausgesprochene Unwählbarkeit

her Lokalbeamten auf die, durch die neue Gerichtsverfaſſung beſtimmten Amts-

tivter, Uw! Bezirksſtrafrichter, Staatsanwälte und deren Sub-
i en ausgedehnt werde; .. . wl
4) daß jeder Abgeordnete, welcher während der Dauer seiner Lan.
lzfhaf: ts Staats- oder Kirchenamt annimmt, aus der zweiten Kammer aus-
zutreten habe; Ñ i .t [t . Uttze
j 5) baß jeder Abgeordnete, welcher bereits ein Staats- oder Kirchenamt be-
ſißt und eine Beförderung, einen höhern Titel, Rang oder eine Beſoldungszu-
lage annimmt, aus der Kammer auszutreten halee. i H n
6) daß jeder Abgeordnete, welcher einen Orden annimmt, ingleichen Jeder,
welchem ein mit keinem wirklichen Dienſte verbundener Titel von der Regierung
conferirt wird, aus der Kammer auszutreten habe. : U
qs der bereits mitgetheilten Begründung der Motion des Abg. uo. So ire
r on äußert: : | w. : ]
Miniſterialrath v. Ste n gel: Der Herr Abgeordnete, der soeben die Mo-
tion begründete, wird von mir nicht erwarten, daß ich ihm auf seine Erzählun-
gen, auf die Sammlung von Geschichtchen, die er uns vorgetragen hat, jett
antworte. Wahrscheinlich wird dieſe Motion in die Abtheilungen verwiesen wer-
den, und es wird dort Gelegenheit geben, die Wahrheit der Thatſachen, die
vorgetragen worden ſind, näher zu beleuchten. Ich felbſt könnte auch jett keine
Antwort geben; ich weiß nicht, was Wahres an diesen Geschichten iſt, was Un-
wahres oder Uebertriebenes. Aber mögen auch einige davon wortgetreu ſo sein,

wie sie vorgetragen wurden, so wird dieß am Ende nichts beweiſen, als daß

von einzelnen Polizeibeamten Ungeſchicklichkeiten, selbſt Gesetzwidrigkeiten began-

gen worden sind; sie werden aber zur Begründung der Motion wenig beitra-

gen. Ungeschicklichkeiten werden begangen werden, Sie mögen die Polizeiſtraf-
gewalt an die Gerichte verweisen, oder den Bürgermeiſtern oder wem sonſt über-
tragen. Aber einer Behauptung des Herrn Motionsbegründers muh ich allen
Ernſtes widersprechen, nämlich der Behauptung, daß die höhern Polizeibehör-
den das Erkenntniß der untern Behörden ledizlich darum beftätigen, um dieſe
nicht zu compromitiren. Ich muß dieses lediglich als aus der Luft gegriffen bezeich-
nen. Was nun die Frage betrifft: in wie weit soll die Polizeiſträfgewalt den
Gerichten überwiesen werden, und in wie weit ſoll ſie der Verfaſſungsbehörde

verbleiben ? so kann man über die zu zieheude Grenze verschiedene Anſichten ha-

ben. Diese Frage iſt erörtext worden bei m Gesetz über die Gerichtsverfaſſung.
Warum ſie jetzt wieder geäudert werden soll, nachdem ſie noch nicht in's Leben
getreten iſt, sehe ich nicht ein. Die Gerichtsverfaſſung hat übrigens bekannt-
lich den Polizeibehörden eine große Maſſe von der Strafgewalt entzogen. Die
meiſten Polizeivergehen, die bisher von den Polizeiſtellen geahndet worden sind,
ſind für die Zukunft, wenn sie von Bedeutung nach §. 56 der Sirafprozeſjord-
nung den Gerichten überwiesen, namentlich dem Amtsgericht.

Ob nun unter der den Polizeibehörden übertragenen Strafgewalt noch ei-
nes oder das andere Vergehen begriffen iſt, welches gleichfalls den Gerichten
überwiesen werden könnte, darüber mag man Zweifel haben. Von großer Be-
deutung wird indeſſen die Sache auf keinen Fall sein. Die Strafgewalt, welche
die Polizeibehörden haben, iſt eigentlich keine Strafgewalt mehr. Sie iſt nichts
als ein Zwangsmittel, das die Polizeibehörden haben, um ihren Verfügungen
Kraft zu geben. Eine eigentliche Strafe wegen Rechtsverlezungen erkennt die

Polizeibehörde nicht mehr. So viel will ich nur im Allgemeinen über diesen

Gegenſtand bemerken. Die Frage ſelbſt zu erörtern, wird jetzt nicht möglich ſein.



Hecker: Nur wenige Worte zur Unterſtüßsung der Motion. Ich danke.

dem Motionsſteller, daß er dieſe Frage so ausführlich zur Sprache gebracht
 
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