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Mannheimer Abendzeitung — 1847

DOI Kapitel:
No. 1 – No. 30 (1. Januar – 31. Januar)
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R. _ Deutschland.
#+F>t Vom NRhein, im Jan. Die ſocialiſtiſchen Beſtrebunge

i. ber Gegen-

wart fangen allmählig auch an, in unſeren wissenſchaftlichen Organen energiſche
îHOVertreter zu finden. Dazu werden nun freilich Diejenigen ſaure Gefichter mar

chen, welche in den gelehrten Kreisen ihre Autoritäten zu finden gewohnt find und
Jene Fragen gar zu gern mit vornehmthvender Geringſchäßung als die Erfin-
dungen einiger unzufriedener müßiger Köpfe bei Seite schieben möchten. Wie
. Uef aber die sociale Idee in das ganze griſtige Leben unſerer Zeit hineingreift,
_ das muß wit jedem Tage klarer werden. ~ Schon im Monat Oktober brach-
ten die „Jahr bücher der G eg enwart-- eine Abhandlung „die practiſche
YVBedeutung der modernen Philoſophie in Frankreich“, in welcher
wir dir Grundgedanken des Socialismus wieder finden. In dem neueſten Hefte
(vom November und December) nun wird „das Problem der ſocialen
_ Reform“ mit einer Enytſchiedenheit besprochen, die um ſo dankenswerther iſt,
als ſonſt unsere wiſſenſchafilichen Zeiiſchriſten, wie unsere Gelehrten, in allen
das practiſche Leben betreffenden Fragen gewöhnlich nicht über eine ängftliche
Halbheit hinauskommen, die nur zu sehr mit dem ſchalen Conſervatismus, um
nicht zu sagen, Liberalismus, der beſigenden Bourgeoifie verwandt iſt. In dem
Eingange des letzigenanntien Aufſatzes der Jahrbücher der Gegenwart heißt es:
_ Die Thatſache iſt die materielle Noth, der Pauperismus, die
î_ Trompetenſtöße ſind die Noth- und Hülfſchreie nach socialer Reform.
Anfangs, als das Problem der ſocialen Reform in Deuiſchland auf-

lich Nichts an, welche Meinung beſonders durch Stein’s bekanntes Buch über
den franzöſiſchen Socialismus und Communismus gekräftiigt wurde. Die un-

_ enirte Art und Weise, womit der gelehrte Mann über die Beſtrebungen des

î franzöſiſchen Proletariats den Stab brach, war den Deuiſchmicheln der verſchie-
denſten Parteien und Sorten sehr willkommen. Die Servilen sagten : Socia-
lismus und Communismus ſind nur Ausgeburten der müſſigen franzöſiſchen
îRevolutionsſucht; die Liberalen: alle derartigen Beſtrebungen entspringen aus
. Trägheit und Liederlichkeit. Der deutsche Liberalismus ſetzt ſich dem Proletariat
„gegenüber nicht minder vornehm und mitleidslos auf das beliebte Paradepferd
ber Moral und Geſeglichkcit, die da iſt die Moral und Gesetzlichkeit der Be-



. ſizenden, als es der franzöſiſche thut, welcher ja für das rührende Feldgeſchrei
„der durch namenlosen Druck und Mangel zum Auſfſtand getriebenen Lyoneſser
. eber : »Arbeitend lehr ober kimpfens ſtrher !n keine grdere Antwort hatte,
luagluß visa tee rrofſes'briric ter'ſ§pttut rg > Verfafeng, mi
„männer und „Volksfreunde.# Sie halten England noch immer für das glück-
lichſte Land des Erdbodens, und Leute wie z. B. der Herr von Raumer, der
allerdings die Schlöſſer der englischen Herzoge und die Salons der Londoner

; F n j gh VW te “eh: iſt, : way fagene äußerſt lh he:
. zor dem. glcißenden Vorhang, üußertiger prag t: Maÿt ‘hes engliſchen Le:
| lichen Bld hinter denselben luft feht. tn . Zu. ſt@en unt et§y:
reißen, um das dahinter verborgene Elend der Welt zu zeigen, wie dieß Engels
in seiner trefflichen Schrift „über die Lage der arbeitenden Klaſſen in England--
gethan hat, solche Autoren werden von unsern Neunmalweisſen hüben und drü-
ben nicht geleſen. Und doch könnten besonders unſre Mittelalterſüchtlinge, die
Ja immerfort nach romantischer Bewegung dürſten, gerade an dieſem Buche
höchlich ſich erbauen; denn ſelbſt Dante's alle fünfundzwanzig Höllenkreiſe zeich-
nender Griffel hat kaum so viel Weh und Grauen heraufbeſchworen, als Engels

mit seiner einfachen Darftellung „einfältiger Wirklichkcit.x Indeſſen haben wir

nicht einmal nöthig, über den Canal oder Rhein hinüberzulugen, um zu erfah-
xen, was Proletariat iſt. Die ſehleſische Webertragödie hat Jedem die Augen
und Ohren öffnen können, der sehen und hören will. Wer Welp’s Darſtellun-
î gen der Noth in jenen Gegenden, Dronke's so eben erschienene Schilderungen

ſis Berliner Proletariats leſen und beherzigen, wer in den Spelunken unserer
abrikarbeiter und in den Hütten unserer Taglöhner auf dem Lande ſich um-
ſehen will, der wird, vorausgeſetztt, daß noch ein Funke Ehrlichkeit und Mensch-
U.. 'altiſt tek: Et d; vrſsttizwz ni. dem: rs.
îeaontenter Köpfe. Hätte ſich z. B. jener berühmte liberale Profeſſor das ebenso
dbornirte, als böswiklige Wort: „Jeder, der ſich mit dergleichen Fragen ab-
gibt, iſt eigentlich unſittliche entwiſchen laſſen, wenn er ſich die Mühe ge-



nommen, über ſeine altdeutſchen Dichter hinaus einen theilnehmenden Blick in

die Proſa der Volksnoth zu richten? Doch die Leute wollen weder ſehen noch
hören. Sie verhalten ſich gegen das heranziehende Gewitter, wie der Vogel
Strauß gegen seinen Jäger; ſie ſte>en den Kopf in den Sand ihrer Bücher
oder in den Koth ihrer Geldsäcke und glauben dadurch das Schicksal abzuwen-
den. Drollig muß es Einem aber vorkommen, daß man allen Erfahrungen

der legten Jahre zum Trog die ſocialiſtiſchen Beſtrebungen in Deutſchland noch

fortwährend als antinational und franzöſiſch zu brandmarken ſucht. So lächer-

lich dieſer Kniff auch iſt, so hat er die Socialiſten doch verdroſſen und da ſie

wohl wiſſen, wie autoritätsgläubig der Deuiſche, ſo haben ſie neueſtens (Rhei-
: L VG LOMB Z t
niß zu gehen, daß ſich dem denkenden, nicht in Selbſiſucht verknöcherten Men-
ſchen ſd on damals , und zwar in Deu!ſchland, die Nothwendigkeit einer ſocia-
lG z!ht rg; erh, 14.621 ranals ele Rujce gelen: gur.
.ſtets ſo, wie es iſt, d. h. gedrückt und nothleidend. Auch die Unterſcheidung



gwiſchen Volk und Bürgerthum, welche man ebenfalls für eine franzöſiſche Er-

findung ausgab, findet ſich bei mchreren dieser ,„tevtſchen- Männer ſchon ange-
deutet. Es liegt übrigens auf der Hand, vaß die Socialiſten von den ver-
ſchiedenſten Seiten | die hartnäckigſte Befehdung erfahren müſſen. Während
inerſeits der Glaube von den Kanzeln herab fie verflucht, bekriegt ſie anderer-

1





Dounerſtag,

Abonnement in Mannheim halbſährlich 2 fl. 48 kr., durch die Poſt bezogen im ganzen Großherzogthum Baven
: . . halbjährlich 5 fl., im Ausland erhöht ſich das Abonnement um den Poflaufſchlag.. “. '
Inlerate die gespaltene Zeile in Pelitſchrift oder deren Raum vier Kreuzer. Briefe und Gelder: frei einzusenden. .





deu 7. Jauuaer

" M~~S c~ o t~~ DE S\ te § ~ o O O VO OV V

ſeits der atheiſtiſhe Demokratismus (z. B. -in der Schriſt »die Opposition,

Mannheim 1846, während ſie von der Polizei verboten werden, werden fie.

zugleich vom Liberalismus verdächtigte. u uu tum. ats
** Karlsruhe, 5. Jan. An dem Gerüchte, von welchem ich Ihnen neu-
lich ſprach, und welches die Ungültigkeit der hiesigen Bürgerausſchuß - Wahl

zum Gegenſtand hatte, iſt nur ſo viel richtig, daß der erſte Bürgermeiſter we-
| gen der vor 2 Jahren ges.tzwidrig unterlaſsenen Vornahme der Wahl: der

Hälfte des Ausſchuſſes, und wegen der im Jahr 1846 vorgenommenen Inte-
| gralwahl von der Kreisregierung zur Verantwortung gezogen, bis Jetzt aber
hierüber nichts weiter entſchieden wurde. Uebrigens sprachen ſich die meiſtenY
| der hieſigen Gemeinderäthe zuerst wiklich dahin aus , daß die Bürgerausſchuß-
wahl für ungültig erklärt worden wäre. Als man aber denselben nachwies,
daß dies gar nicht ſein könne, weil es der Kreisregierung in er ſ er Inſtanz

nicht zukomme, sich über vie Gültigkeit oder Ungültigkeit einer Bürgerausſchuß-

wahl auszusprechen, als man ſie ferner darauf aufmerkſam machte, baß, wenn

man die Gültigkeit der Wahlen im Jahr 1844 gehörig untersuchen wollte, die

Waglen der beiden Bürgermeiſter und von vier Gemeinderäthen auf ſchwachen
Füßen stünden, da meinten ſie ſelber, daß man die

| jeßige Ausſchußwahl nicht
ſo mir nichts dir nichts für ungültig erklären könnte. z I k AM
_ Das Ganze wird auf eine große Naſe hinauslaufen, die der erſte Bürger-

meiſter wegen ſeiner geſetzwidrigen Handlungsweise, welche er übrigens mit Man-
Ö gel an Zeit entschuldigt haben soll, erhalten wird und zwar von Rechtswegen.
tauchte, war die Meinung im Schwange, die Sache ginge uns eigenen.

tungen über die höhere, univerſellere Bedeutung der



* Die „Alg. Ztg.’ bringt aus Mannheim ts psc intereſſante Beirach-

vu. | ;
. § +s . th z . ; ;
1 mm/ z111 *g}

1
"

; der Ueberland p oſt. „Obgleich
die deutsche Ueberlandpoſt in der ſüngſten Zeit nicht mehr rt !
hafter Weiſe blos als pikante Wette beſprochen , ſondern nachgerade als Das,
was ſie iſt, als h iſto riſch b ev eutſame Regung des Zeitgeiſtes gewür-

digt wird, des Geiſtes, der um zur vollen Beherrſchung der Natur zu gelan-
gen, den ganzen Erdkreis mit seinen Verkehrswegen zu umfaſſen ſcheint, ole.

gleich jegt deutſche , belgische, holländische, englische Blätter von Artikeln über die.

Ueberlandpoſt wimmeln, ſo erinnere ich mich doch nicht, daß dieſer Gegenſtand

vom Standpunkt des europäiſcen Z eitungswesens überhaupt ben.
leuchtet worden wäre. Und doch ſcheint mir, daß dieſe Beſtrebungen einen völe.

ligen, für Deutschland höchſt günſtigen Umsch wung der öffent-

lichen Meinung in England hervorzurufen beftimmt find; denn bekannt-

lich schöpfen die englischen Blätter ihre Nachrichten über Deutſchland, Oeſter-

reich, Italien, Spanien, Rußland und die ganze Levante faſt auschließlich aus

den in Paris errichteten Correſpondenzbureaux, aus denen fie täglich durch ei-
ene Erpreſſen, welche von den vier Hauptmorgenblättern unterhalten werden,
nach London gelangen.. Es kann nicht fehlen und iſt ‘auch zur Genüge bekanut

daß alle politiſhen Neuigkeiten in Paris, durch das Medium der franzöfiſchen.

Auffaſſungsweiſe hindurchgehend, ein jcillerndes Ausſehen erhalten, daß es
ſelbſi dem mit der Sache Vertrauten ſchwer wird, die urſprüngliche Farbe un-
ter dem aufgetragenen Gemiſch von Uebertreibung, Mißverſtand und abſicht-

licher Verdrehung herauszufinden. Daher die ſcheuen, nicht recht trauenden
Blicke der zu uns kommenden Söhne Albions , daher die Geri ngſh ägung

des de utſ<h en Namens im Inſelreiche, daher drüben im Allgemeinen die
erſtaunlihe Unkenn tn iß Deſſen, was Deutschlands Genius im Gebiete

der Wiſſenſchaft und Kunſt gefördert. Die deutsche Ueberlandpoſt wird nun unn
ter ihren mannigfaltigen noch vom Schleier der Zukunft verhüllten Aufgaben

auch die zu löſen haben, die deutſ< en Ze itungen direct nach London
zu brin ge n und durch die Schnelligkeit, mit welcher fie dieſes vermag, die
Redactionen der Hauptblätter zu zwingen, sich an ſie ſtatt an die 4 bis 5 Ta-
ge später nachhinkenden Expreſſen aus den Pariſer Correſpondenzfabriken zu hal-
ten. Eine weitere Folge der ſchon jetzt erzielten Ergebnisse der deutſchen Ueber-

landyoſt iſt eine allgemeine Beſchle unigung des Poſtenl aufes; denn

es iſt erwieſen, daß der Weg von Trieſt nach London selbſt in der ſchlechteften

Jahreszeit in vier Tagen durchlaufen werden kannz ſteht es feſt , daß gute Poſſen

pferde durchſchnittlich die deutſche Meile in 20 Minuten mit Inbegriff des Ums
ſpannens durcheilen müſſen, so wird sich die Zeit von 9 Tagen, wélche jetzt

ein Brief von Trieſt nach London braucht , doch gewiß auf wenigſtens 6 Tage
vermindern laſſen. Daß ferner durch dieſe Probefahrten eine Menge Eis en-

bahn project e zur Ergänzung und Vollendung der Trieſt- Oſtender Li-
n ie und zum Anschluß an ſie geweckt und ihrer Ausführung zugedrängt wer-
den, vernehmen wir aus allen betheiligten Ländern. gen 1:

. Mainz, 4. Jan. Verſchiedene Gründe bewirkten, daß wir nicht ganz
ſo freudig wie ſonſt das neue Jahr antraten. ~ Unſere beſtehende Gesetzgebung
halten wir für eine solche, welche die Feuerprobe der Erfahrung für ſich hat,
deren Kenntniß in unserer Provinz Wurzel geschlagen hat, und wir glauben,
daß dieſe Geſeggebung, wenn ihr die für jede Legislation nothwendige Fortbil-
dung angedeiht, eine solche iſt, deren Normen einem mündigen Volke wie den

Forderungen eines regen Verkehrslebens vollkommen entsprechen. +
Niemals hätte das römiſche Recht die innere Durchbildung und
Consequenz, für alle Gefſtaltungen
des Verkehrslebens erlangt, wenn nicht das reiche Verkehrsleben
in dem großen Römerreiche und in der Stadt Rom ſelbſt, dem reaput totius
orbis., eine ſolche Ausbildung ermöglicht hätte. Nie ~ und [lebte mehr als
ein Gajus, Ulpian 2c. ~ würde das römiſche Recht in einem Lande, deſſen
Areal so groß iſt als das des unseren, ſeine innere Vorzüglichkeit erlangt ha-
ben. Zu einer allgemeinen deutſchen Ges ey gebung würde wohl der
Rheinheſſe von Herzen gerne ſeine alt!n Gesetze als Bauſfteine herbeibringen.
So tief aber auch dieſe Betrachtungen auf jeden Rheinheſſen einwirken und ſo
eifrig jeder nach seinen Kräften zur Erhaltung der Inftitutionen beizutragen ſtrebt,
ſo iſt doch noch nie der Boden der Geſeglichkeit in diesen Tagen um ein

nie die gzureichenden Elemente

Hagr breit verlaſſen worden und wird es nie werden. Gewiß ein Zeichen,

daß die beſtehende Gesetzgebung geeignet war, dem Volke die Jdee des Rechts
PV t terte; Rz: B : Vr; ſ;zesr See : Mi

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