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Kapitel VI. Die frühkretischen Siegel.
schäften, den Schriftsiegeln und den Steatitprismen vorkommt. Es ist nur natürlich,
wenn die Kreter, sobald sie überhaupt mit der figürlichen Darstellung vertraut
wurden, auch einen Gegenstand abbildeten, der in ihrem Leben eine so außerordent-
liche Rolle spielte. A. Köster hat gezeigt, daß diese Schiffe mit den späteren phö-
nikischen gar nichts zu tun haben, sondern einen rein ägäischen Typus repräsen-
tieren. Auffällig und vorerst noch unerklärlich ist das Zurücktreten dieses Motivs
in der Kunst der späteren Zeit und seine schematische Stilisierung in der spätminoi-
schen Glyptik da, wo es als Einzelmotiv verwandt ist *).
Als Ergebnis dieser Durchsicht der figürlichen Motive auf den kretischen
Siegeln ist vor allem festzustellen, daß sie fast ausnahmslos auf Vorbilder in der
Glyptik des vorderen Orients zurückgehen. Nach Ägypten weisen verschwindend
wenige Elemente, und eine andere Quelle oder eine heimische Grundlage kommt
nicht in Frage. Der Unterschied und also das spezifisch Kretische war in der
Differenzierung und Belebung der Naturform zu finden, deren allmähliche Steigerung
deutlich zu verfolgen war, sowie in der Auswahl und Zusammenstellung der Motive.
Wo sich neue bildliche Typen fanden, gingen sie nicht über das hinaus, was man dem
einmal in Bewegung gesetzten naturalistischen Stilwollen als spontane Schöpfungen
zutrauen kann. Es ließ sich ferner fast in jedem einzelnen Typus der Vorläufer eines
in der spätminoischen Kunst verwandten aufzeigen.
Mit diesen Feststellungen ist aber nur die eine Seite der Sache angerührt. Denn
sie betreffen nur die Naturwiedergabe und sind also zu Schlüssen auf ethnologischem
und historischem Gebiet ohne weiteres nicht zu verwerten. Wissen wir es doch, daß
für die Art und den Grad der Naturwiedergabe auch innerhalb der altorientalischen
Kunst eine reiche Skala von Nüancen zur Verfügung steht. Man denke z. B. nur
an den Unterschied zwischen der sargonidischen und der sog. kappadokischen Glyptik!
Als weit aufschlußreicher und zuverlässiger hat sich stets die Beobachtung der
Formensyntax bewährt. Die oben an konkreten Beispielen aus der ägyptischen
und aus der altoricntalischen Kunst begründete Auffassung, daß es auch gegenüber
den elementaren Tatsachen des rhythmischen Bereiches ganz verschiedene künst-
lerische Einstellungen gibt, die ihrerseits wieder aus verschiedener psychologischer
Disposition sich herleiten lassen, führt dazu, diese Frage auch für unsere Siegel zu
stellen. Es ist zu erwarten, daß ein Überblick über die Kompositionen der bisher
nur als Einzelelemente behandelten figürlichen Motive das gewonnene Ergebnis
weiterführt und erst eigentlich nutzbar gestaltet.
Die einfachste Form des Bildes ist eine im wesentlichen von der Seite gegebene,
einheitlich nach rechts oder nach links vom Beschauer gerichtete Figur, da von vorn
gesehene ganze Gestalten, abgesehen von dem mit gespreizten Beinen hockenden
Mann, nicht in Frage kommen. Stehende Menschen kommen so nur auf den ge-
streckten Siegelflächen der Prismen vor während sie auf den hittitischen Siegeln
7 (Taf. VIIIy}. — Schrift: Scr. Min. S. 203 Nr.
57. — Steatitprismen: Palace S. 120 Fig.
89 b. Mosso, Preistoria II S. 207 Fig. 141, 1. 2.
*) AG Taf. IV 2. Berlin, Beschr. 50 b. Mosso, Pre-
istoria II S. 207 Fig. 141, 3—6. Stais, Guide
S. 139 Nr. 53999.
2) Z. B. Scr. Min. S. 132 Fig. 70 a, S. 151 P n a.
J. hell. st. XVII 1897 Taf. IX 7 a. VT Taf.
IV 528. Athen 4580. 4582 (Taf. III la. 2 b.
V 6 c. XVII 2 a. 6 a. XVIII ja. XX 7 a).
Kapitel VI. Die frühkretischen Siegel.
schäften, den Schriftsiegeln und den Steatitprismen vorkommt. Es ist nur natürlich,
wenn die Kreter, sobald sie überhaupt mit der figürlichen Darstellung vertraut
wurden, auch einen Gegenstand abbildeten, der in ihrem Leben eine so außerordent-
liche Rolle spielte. A. Köster hat gezeigt, daß diese Schiffe mit den späteren phö-
nikischen gar nichts zu tun haben, sondern einen rein ägäischen Typus repräsen-
tieren. Auffällig und vorerst noch unerklärlich ist das Zurücktreten dieses Motivs
in der Kunst der späteren Zeit und seine schematische Stilisierung in der spätminoi-
schen Glyptik da, wo es als Einzelmotiv verwandt ist *).
Als Ergebnis dieser Durchsicht der figürlichen Motive auf den kretischen
Siegeln ist vor allem festzustellen, daß sie fast ausnahmslos auf Vorbilder in der
Glyptik des vorderen Orients zurückgehen. Nach Ägypten weisen verschwindend
wenige Elemente, und eine andere Quelle oder eine heimische Grundlage kommt
nicht in Frage. Der Unterschied und also das spezifisch Kretische war in der
Differenzierung und Belebung der Naturform zu finden, deren allmähliche Steigerung
deutlich zu verfolgen war, sowie in der Auswahl und Zusammenstellung der Motive.
Wo sich neue bildliche Typen fanden, gingen sie nicht über das hinaus, was man dem
einmal in Bewegung gesetzten naturalistischen Stilwollen als spontane Schöpfungen
zutrauen kann. Es ließ sich ferner fast in jedem einzelnen Typus der Vorläufer eines
in der spätminoischen Kunst verwandten aufzeigen.
Mit diesen Feststellungen ist aber nur die eine Seite der Sache angerührt. Denn
sie betreffen nur die Naturwiedergabe und sind also zu Schlüssen auf ethnologischem
und historischem Gebiet ohne weiteres nicht zu verwerten. Wissen wir es doch, daß
für die Art und den Grad der Naturwiedergabe auch innerhalb der altorientalischen
Kunst eine reiche Skala von Nüancen zur Verfügung steht. Man denke z. B. nur
an den Unterschied zwischen der sargonidischen und der sog. kappadokischen Glyptik!
Als weit aufschlußreicher und zuverlässiger hat sich stets die Beobachtung der
Formensyntax bewährt. Die oben an konkreten Beispielen aus der ägyptischen
und aus der altoricntalischen Kunst begründete Auffassung, daß es auch gegenüber
den elementaren Tatsachen des rhythmischen Bereiches ganz verschiedene künst-
lerische Einstellungen gibt, die ihrerseits wieder aus verschiedener psychologischer
Disposition sich herleiten lassen, führt dazu, diese Frage auch für unsere Siegel zu
stellen. Es ist zu erwarten, daß ein Überblick über die Kompositionen der bisher
nur als Einzelelemente behandelten figürlichen Motive das gewonnene Ergebnis
weiterführt und erst eigentlich nutzbar gestaltet.
Die einfachste Form des Bildes ist eine im wesentlichen von der Seite gegebene,
einheitlich nach rechts oder nach links vom Beschauer gerichtete Figur, da von vorn
gesehene ganze Gestalten, abgesehen von dem mit gespreizten Beinen hockenden
Mann, nicht in Frage kommen. Stehende Menschen kommen so nur auf den ge-
streckten Siegelflächen der Prismen vor während sie auf den hittitischen Siegeln
7 (Taf. VIIIy}. — Schrift: Scr. Min. S. 203 Nr.
57. — Steatitprismen: Palace S. 120 Fig.
89 b. Mosso, Preistoria II S. 207 Fig. 141, 1. 2.
*) AG Taf. IV 2. Berlin, Beschr. 50 b. Mosso, Pre-
istoria II S. 207 Fig. 141, 3—6. Stais, Guide
S. 139 Nr. 53999.
2) Z. B. Scr. Min. S. 132 Fig. 70 a, S. 151 P n a.
J. hell. st. XVII 1897 Taf. IX 7 a. VT Taf.
IV 528. Athen 4580. 4582 (Taf. III la. 2 b.
V 6 c. XVII 2 a. 6 a. XVIII ja. XX 7 a).