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Mitteilungsbl. d. Deutschen Burgenvereinigung e.V. zum Schutze Historischer Wehrbauten, Schlösser und Wohnbauten: Periodica — 1954

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Mai 1954
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Michel, Fritz: Das Schicksal der ehemaligen Koblenzer Adelshöfe
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Gerber, Hans: Kampf um das Neue Stuttgarter Schloß
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https://doi.org/10.11588/diglit.35483#0005
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von Johann Seiz 1825 veränderte Gartenfront, in die auch die Kapelle einbezogen worden war. Es war um 1800
neben dem zerstörten Schloß der repräsentabelste Bau der Stadt, weshalb ihn die französischen Präfekten zu
ihrer Dienstwohnung machten, 1804 hat Kaiser Napoleon drin gewohnt und in preußischer Zeit u. a. der
spätere Großherzog von Baden, während Männer wie Clausewitz, Moltke und Hindenburg in ihm gearbeitet
haben.
Es ist darum dringend zu wünschen, daß in absehbarer Zeit für diesen so interessanten Bau etwas geschieht
und daß es ihm nicht so ergeht, wie dem romanischen Westbau des Deutschordenshauses, der ohne Befragung
des Landeskonservators plötzlich abgerissen wurde, nachdem Holzräuber schon vorher das zum großen Teil
noch erhaltene Dachwerk entfernt hatten.
Kampf um das Neue Stuttgarter ScMoß.
von Oberregierungs- und Baurat Hanns Gerber, Stuttgart
„Soll die Ruine des Stuttgarter Neuen Schlosses aufgebaut oder niedergelegt werden?*' — diese Frage, die
in den letzten Monaten die schwäbischen Gemüter in Stadt und Land lebhaft bewegt hat, fand jetzt eine vor-
läufige Antwort gemeinsam durch Ältestenrat des Landtags und Regierung, und zwar im Sinne der Erhaltung.
Das letzte Wort hat nun das Plenum des Landtages, der, notdürftig untergebracht, als Bauherr für die Wieder-
errichtung des staatlichen Schlosses in Frage kommt; nach Lage der Dinge scheint die Gefahr des völligen oder
teilweisen Abbruches der Ruine nunmehr gebannt. Nach der bald zu erwartenden Entscheidung soll ein Wett-
bewerb unter den baden-württembergischen Architekten klären, ob der Landtag das Schloß oder Teile davon
für seine Zwecke verwenden kann oder ob ein Neubau im ausgedehnten Schloßbereich vorzuziehen ist; für die-
sen Fall werden Vorschläge über eine angemessene Verwendung der Schloßruine erwartet. Zu denken ist an
den Einbau der Staatsbibliothek, an Ausstellungsräume, Vortragssäle, Gästezimmer für Staat und Stadt, endlich
an Kanzleien der Ministerien.
Die Aufnahme des Vorentscheides zeigt, daß die Bevölkerung eine Bestätigung durch den Landtag lebhaft
begrüßen würde. Eine ins Leben gerufene „Bürgerspende'' gibt Gelegenheit, dieser Freude Ausdruck zu ver-
leihen. Wenn der Spende auch keine entscheidende materielle Bedeutung zukommen kann, so beweist sie doch
die Verbundenheit weiter Volkskreise mit einem Bauwerk, das nach einem Wort des Altmeisters der deutschen
Architekten, Paul Bonatz, als Herzstück Stuttgarts eine ungewöhnliche städtebauliche Ordnungskraft aus-
strahlt, ja das Gesicht, das Erinnerungsbild der Landeshauptstadt wesentlich bestimmt.
Man wird fragen, wieso der Gedanke aufkominen konnte, das unter Denkmalschutz stehende Schloß ganz
oder teilweise abzubrechen. Verkehrsgründe liegen nicht vor — die Verfechter des Abbruches weisen vielmehr
darauf hin, es handle sich erstlich um eine Ruine, deren Wiederverwendung wesentlich teurer sei als ein Neubau.
Zudem wäre dem Landtag mit einem modernen Zweckbau besser gedient als mit einem Königsschloß. Endlich
könne auch die symmetrische Gesamtanlage nicht befriedigen in einer Zeit, die nach funktionellen, auf ge-
lockerten Lösungen strebe. Der als Architekturraum gestaltete Schloßplatz müsse als Teil der Stuttgarter
Grünanlagen nach Abbruch des Schlosses — von dem man schließlich einen Flügel stehen lassen könne —
zu einem freien Gartenraum umgeschaffen werden. Zu diesen Argumenten bemerkte der sehr moderne Stutt-
garter Architekt Paul Schmohl lakonisch: „Wenn man aus Stuttgart das Neue Schloß entfernte, so wäre das so,
als ob man einem Menschen das Kreuz herausoperierte!" Er trifft ins Schwarze; nicht jedes alte Bauwerk
ist erhaltenswert, oft müssen neue Werte überlebte ablösen. Mit dem Abbruch dieses Schlosses würde man
aber einem Stadtbild von eigenartiger Schönheit das Rückgrat nehmen.
Das Stuttgarter Neue Schloß hat viele sachkundige Bewunderer gefunden. Julius Baum spricht von dem
„klug und zurückhaltend zur Schau gestellten Reichtum der Architektur, dem schwerlich eine verwandte
Schöpfung des 18. Jahrhunderts gleichkommt." Dehio rühmt „die gedämpften Töne der höfisch guten Lebens-
art"; er hebt die „Präzision und die Zartheit der Profilierung" hervor. Alle bewundern mit Pinder die
Eleganz, die heitere Pracht dieser Raumschöpfung. Heinz Wetzel, der verstorbene Ordinarius für Städtebau an
der Techn. Hochschule Stuttgart, sieht in ihm über alles Architektonische hinaus den städtebaulichen Kern der
Stadtgestaltung: „Das Charakteristische für Stuttgart und im besonderen für das eindrucksvolle Bild des
Schloßplatzes ist der umgebende Kranz von waidbekrönten Höhen. Mit verhaltener Kraft stemmt sich das Neue
Schloß gegen das hinter ihm aufsteigende Bergmassiv und bringt das Einmalige, das Besondere dieser Situation
zum Greifen nahe auf den Nenner!" Wundervoll steht der warme Ton des gelben Sandsteines vor den blau-
schimmernden Stuttgarter Hängen.
Auf eine Besonderheit der Gestaltung sei hingewiesen: es ist das Anwenden perspektivischer Mittel zur
Erzielung größerer Raumtiefe — eines Kunstgriffes also, der im Barock zu hoher Meisterschaft entwickelt
wurde und im Petersplatz zu Rom seinen glanzvollen Triumph feiert. Betrachten wir den Ehrenhof des Neuen
Schlosses, so sehen wir, daß die seitlichen Wände durch zwei bis in das Dach hinaufreichende „Risalite" geglie-
dert sind, die auf den ersten Blick einander gleichen. S!e sind voneinander und vom mittleren Hauptbau durch
zwei Wandfclder getrennt, von denen wir unwillkürlich annehmen, daß sie gleiche Breite hätten. In Wirklich-
keit weist der vordere Risalit vier Fensterachsen, der rückliegende aber nur drei auf; das vordere Wandfcld
hat acht Fenster, das hintere jedoch sieben; hier waltet kein Zufall, sondern ein Kunstgriff, die Tiefenwirkung
durch Perspektive Täuschung überraschend zu steigern. Der so eingeleitete kraftvolle Fluß der Linien wird

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