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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 4.1961

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Nr. 2
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Griechisch oder Französisch: die Vorgänge in Hessen im Januar und Februar 1961
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Krämer-Badoni, Rudolf: "Wir müssen wissen, wer wir sind": ist das Gymnasium noch notwendig?
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https://doi.org/10.11588/diglit.33060#0026
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antiken SchriAsteHer herauszustellen, ist nicht zuletzt die Aufgabe ihrer besten Kenner,
der Altphdoiogcn seibst. Die Stunde für sie ist günstig, günstiger jedenfails, als die
meisten von ihnen annehmen . . .

Dem 1. Vorsitzenden des Deutschen Aitphilologenverhandes wurden he-
reits am 9. Januar die Hessischen Piäne bekannt. In einem ausführiichen Schreiben an
die Ständige Konferenz der Kuitusminister und in einem zweiten an den Hessischen
Minister für Erziehung und Volksbildung protestierte er im Namen des Verbandes
am 10. Januar gegen diese Auslegung der Saarbrückener Rahmenvereinharung.

„Wir müssen wissen, wer wir sind"

Ist das Gymnasium noch notwendig?

von

(Mit freundiicher Erlaubnis der Redaktion und des Verfassers ühernommen aus:

„Die Welt", Hamhurg, vom 25. 2. 1961)

Räumen wir zunächst einmai alle überfiüssigen Argumente heiseite, die gewöhniich
zugunsten des humanistischen Gymnasiums angeführt werden. Was zum Beispiei hat
es mit dem Begriff der „Biidung" auf sich? Recht wenig, sagen wir es offen. Der „Ge-
biidete" ist eine zweideutige Figur, ^uch wenn wir diesen Namen in der Eile geiegent-
iich verwenden. Bildung bedeutet den Umfang dessen, was man sich auf Schule und
Universität erworben hat; einen ideeH-gegenständiichen Schatz a!so. Goethe, der den
Begriff als erster auf die geistige Disziplin anwandte, verstand darunter etwas ganz
anderes: die Aktivität dessen, der sich in Natur und Geschichte umtut, den geistigen
Habitus eines Sich-Bildenden.

Unser „GebHdeter" ist einer, der „es" geschafA hat. Der Sich-Bildende dagegen er-
lahmt im Vordringen nie. Heute ist Bildung ein Paket von Erworbenem, für Goethe
war Bildung: das Bilden. Nitch das Erworbene, sondern das Erwerben war gemeint.

Bildung alsBesitz einesBildungspaketes istHalbbildung. Der„GebiIdete" ist ja einer,
der siA gebildet hat. Der Schlußpunkt der Bildung ist der Anfang der Verkümmerung.

Ein anderes Argument, die berühmte Förderung der Logik durch die lateinische
Grammatik - auch das sei geschenkt. Eine Spra&e, die so viele Ausnahmen von den
grammatischen Regeln hat, mag viele Vorzüge und Schönheiten haben, aber einen Io-
gischen Musterbau weist sie nicht auf. Das Studium der lateinischen Grammatik dient
zu etwas ganz anderem: man lernt dadurch lateinische Grammatik. (Dasselbe gilt von
der Mathemarik. Ich kenne gute Mathematiker, die in politicis die gröEten Dummköpfe
und Schwätzer sind. Mathematik schärff nicht das Denken, sondern das mathematische
Denken.)

Von der griechischen Sprache wollen wir erst gar nicht reden. Ihre herrliche nuancen-
reiche Schmiegsamkeit ist alles andere, nämlich viel mehr als logisch. Eine streng Iogische
Sprache ist das Französische. Aber niemand lernt Französisch, um logisch denken zu
Icrnen, sondern um Französisch zu lernen.

^essere Hrgü77!<?7!^<? oJer VerHcAf

Ein besonders schönes Argument: die Formung junger Leute zu patriotischen und
auf Freiheit erpichten Männern - auch dies wollen wir verschenken. (Und wenn wir
nicht wollten, so müßten wir's doch.) Kein Zweifcl, Sokrates war ein freier Mann,
selbst gegen sich selbst. Nach dem Todesurteil weigerte er sich, zu fliehen, weil er ja die
 
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