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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 5.1962

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Nr. 1
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Ryffel, Hans: Imprägnierung durch das Latein?
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Zeitschriftenschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.33061#0012
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philosophisch vertieften Selbstbewußtwerdung und zur Vergegenwärtigung der Ver-
gangenheit, welche die unsrige ist, aus der wir kommen, und die es zu integrieren gilt
in ein Gesamtverständnis der einzigartigen Individualitäts- und Persönlichkeitsaus-
gliederung und -ausprägung, wie sie der abendländische Mensch anstrebt, im Unter-
schied etwa zur Tendenz nach einer Aufhebung der Individuation beim östlichen Men-
schen.

Lassen Sie mich den Versuch wiederholen, abschließend diese spezifisch westeuro-
päische Auffassung des Bildungsprozesses aufzuweisen an den folgenden Prinzipien
gymnasialer Bildung:

1. Das Gymnasium ist eine Schule der Tradition (anthropologisches Prinzip). Der
Mensch als „Wesen mit Geschichte“, mit seiner „zweiten Natur“, der Kultur, muß
vorerst hineinwachsen in den gemeinsamen geistigen Raum der Überlieferung
(„presence du passe“ als Vergegenwärtigung seiner geistigen Herkunft).

2. Das Gymnasium ist eine Schule der Allgemeinbildung (universales Prinzip). Im
Unterschied zur Fachausbildung mit deren (berechtigtem) Anspruch zugleich „Auch-
Bildungsschule“ zu sein (Seminar, Technikum, Handelsschule), widmet sich das
Gymnasium grundsätzlich nur dem „studium universale“.

3. Allgemeinbildung heißt hier nicht „umfassende Bildung“, sondern Basisbildung
(philosophisches Prinzip). Im Zentrum steht nicht die Schulung in der Fertigkeit eines
praktischen Tuns, sondern die „Grammatik des Denkens“ im Prozeß der Bewußt-
werdung seiner selbst und der Auseinandersetzung mit den umgebenden „Welten“.

4. Gymnasium heißt vor allem Sprachschule (nicht Sprechschule) (methodisches Prinzip).
Der Weg zu sich selbst und in die gemeinsamen Räume, auch der Natur und der
mathematischen Formen sowie der Geschichte, wird zunächst primär an und in der
Sprache erschlossen, als dem Medium geistiger Kommunikation.

5. Gymnasialbildung bedeutet Verlängerung der Zeit „lernender Reife“ oder „reifen-
den Lernens“ (pädagogisches Prinzip). Entsprechend den Anforderungen der „Didak-
tik und der Hygiene“ (eidgenössisches Maturreglement) bedarf es des Zeithabens
und des Zeitlassens zur alters- und stufengerechten Aufgliederung des Bildungs-
stoffes auf mindestens sechs Jahre.

6. Non vitae, sed „scholae“ discimus, d. h.: Wir lernen nicht primär fiir das sogenannte
(praktische) Leben, sondern für die Freiheit einer (denkenden) Muße (= schola in
seiner ursprünglichen, griechischen Bedeutung) (teleologisches Prinzip). Wenn diese
vom Nützlichkeitsdenken befreite Bildungsarbeit gelingt, dürfte das Gymnasium mit
seiner Schulung zu verantwortlichem Denken auch seiner Vorbereitungsaufgabe auf
die Berufsausbildung an der Hochschule (jeder Hochschule) am ehesten gerecht
werden.

Im Rahmen einer so konzipierten Gymnasialbildung wird, so möchten wir glauben,
dem Latein nach wie vor nicht nur irgendein Beitrag obliegen, sondern ein grundlegen-
der Auftrag zuerkannt werden müssen.

Zeitschriftenschau

„Anregung“ 5 Sept./Oktober 1961

Klinz, Dr. Albert: Vergil, Aeneis XII 818-841. S. 291/2. Eine Kurzinterpretation,
in der diese Vergilverse als besonders geeignet für den Abschluß der Lektüre des
Epos empfohlen werden, da von ihnen aus ein Rückblick auf Handlung, Aufbau
und Anlage des Gesamtwerkes sinnvoll durchgeführt werden könne. - Richter,
Prof. Dr. Will: Zwei Epigramme des Martial. S. 285-290. Durch die Interpreta-
tion von Martial 1, 30 und 1, 47 soll die Behandlung von Martial-Epigrammen im

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