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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 7.1964

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Höhs, H.: Zur Fernsehaufführung von Euripides' Medea
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https://doi.org/10.11588/diglit.33066#0007
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durch die Götter, die in den fünf Schlußzeilen des Chors (von den Philologen als
Fremdkörper identifiziert) noch unterstrichen wird. Stroux resigniert vor dem Menschen.

Medeas Verlust an Größe im Unglück, Triumph der Gerechtigkeit, Bereitsein zur
Buße und in der Läuterung resultiert im Ursprung aus einer Überbetonung ihrer Ver-
stellungskünste. Stroux ist nicht vom Text ausgegangen, sondern hat versucht, die Un-
mäßigkeit von Medeas Charakter dem Zuschauer menschlich verständlicher zu machen,
indem er ihr Wesen psychologisch ausdeutete und ausschmückte. Diese Art der Inter-
pretation geht auf Kosten der Sympathien der Zuschauer gegenüber Medea, woran auch
der Kampf der Liebe zu ihren Kindern nichts mehr ändert. Die Stellen der Unsicherheit
werden glatt überspielt. Die Kreonszene, in der Medea Aufschub vor der Verbannung
erhält, wird zu einem Kabinettstiickchen ihrer Verstellungskunst. Die Aigeusszene, die
die Rache ermöglichen sollte, wird iiberflüssig. Ihre eigentliche Bedeutung, nämlich
Medea vor Jasons empörtem Zugriff nach der Rache zu retten, erhält im Schlußteil einen
weiteren Schlag. Es fehlt der Drachenwagen, der dieselbe Funktion der Rettung hat:
Medea steht unbewegt neben dem schimpfenden, aber starren Jason. Damit ist nicht
nur die menschliche Tragödie, sondern auch die Ehetragödie zur Farce geworden. Sicher-
lich ist die Selbstverstrickung Medeas das Wichtigste, die Tatsache, daß ihr Gegenpol
ein Teil ihres Charakters ist, aber die Figur Jasons verblaßt in der Interpretation von
Stroux als schwacher, tatenloser Dummkopf zu sehr. Die unmöglichen Argumente, die
Jason für die Rechtfertigung seiner Untreue vorbringt, klingen überzeugt; diese Naivität
wird noch bestärkt durch die erfolgreiche Täuschung mit Medeas gespielter Nachgiebig-
keit gegenüber seinen Absichten, die in dieser einzigen echten Verstellungsszene durch
ein anhaltendes tückisches Grinsen von Medeas Seite ins Groteske verzerrt wird. Dazu
tritt jene Tatenlosigkeit im Schlußteil, die nach der vollzogenen Rache seinen Schrei
nach blutiger Vergeltung lächerlich macht und ihn einer Persönlichkeit des egoistischen,
aber sicheren Menschen, der immerhin Medea in der Ehe bisher blenden konnte, end-
gültig beraubt.

Die Inszenierung dieses Menschen- und Ehedramas gleicht einer Routinebearbeitung
eines Illusionsstückes und verleugnet die Aufgabe der griechischen Tragödie, die Hand-
lung zu betonen, nicht den Menschen als Einzelwesen. Die Handlungsblöcke, in stetiger
Dynamik aufgebaut, werden verkittet und zu einem Brei eingeebnet. Die Sprache, Trä-
ger der Handlung, tritt zurück vor dem dürftigen Ersatz durch fragwürdige Mimik.
Alle Figuren, auch die ausschließlichen Funktionsfiguren, die textlich keinerlei Persön-
lichkeit 'besitzen, erhalten eine Seele aufgepropft. Der Chor, neutraler Beobachter, Dich-
ter, „Verdichter“, spielt ohne Absetzung der Chorführerin mit und erstaunt durch die
Fruchtlosigkeit seiner Bemühungen. Leider gehen auch die opernhaften, lyrischen Ele-
mente verloren, einmal durch die Monotonie des Vortrags, zum anderen durch die zer-
flatternden Töne einer unbestimmbaren Musik, die nichts weniger ist als Unterstützung
des Gesagten. Die Inszenierung zeigt alle Symptome eines auf EfTekte bedachten Rühr-
und Schauerstücks.

Die Folgerung aus der Betrachtung ist die: Die Dramaturgie der griechischen Tra-
gödie hat ureigene Gesetze, die nicht verfälscht werden dürfen. Es handelt sich bei der
Tragödie um eine Demonstration eines Vorganges, nicht um einen Guckkasten ins volle
Menschenleben, der die Phantasie des Zuschauers keinerlei Spannungen aussetzt. Der
Mangel an Konzentrationswillen, die Bequemlichkeit des Zuschauers, dem Theater zu
geben, was des Theaters ist, bedingungslose Hingabe an die Kunst, auch wenn sie mit
Anstrengung verbunden ist, darf nicht zu resignierenden Konzessionen führen. Eine
entschlossene Abstufung der Handlungsteile, Betonung des Textes und Zurückhaltung
auf dem Gebiete der Mimik und Körperbewegung hätten mit derselben Besetzung diese
Aufführung zu einem Erlebnis gemacht. H. Höhs

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