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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 8.1965

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Nr. 2
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Hartmann, Elmar: [Rezension von: Johannes Urzidill, Amerika und Antike]
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https://doi.org/10.11588/diglit.33070#0024

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Johannes Urzidill, Amerika und die Antike

(Lebendige Antike), Artemis-Verlag Zürich und Stuttgart 1964

Johannes Urzidil hat seine 1960 in den „Schweizer Monatsheften“ erschienene Studie
nun zu einem Büchlein gestaltet mit dem Titel „Amerika und die Antike“. Man ist er-
staunt, wieviel Fakten und Probleme auf 120 Seiten wirkungsvoll. zusammengestellt
worden sind. Der Verfasser erweist sich als guter Kenner nicht nur der Antike, sondern
ebenso des amerikanischen Gesellschafts- und Kulturlebens. Dieses Buch ist höchst ak-
tuell. Es kann dem Aspekt unseres Bildungszieles im altsprachlichen Unterricht einen
neuen Richtpunkt geben. Ebenso nützlich ist es für den Gemeinschaflskundelehrer. Es
geht dem Verfasser darum, an dem Phänomen USA den modernen Wirkungsbereich der
Antike aufzuzeigen, aber auch die Gegenwirkungen dazu. An diesen kann er deutlich
machen, daß sie zum Abartigen und Unmenschlichen führen. Einige Gedanken seien
hier wörtlich zitiert: „Gerade dem amerikanischen Lehrgang aber kann man entnehmen,
daß alles materialistische Vergrundsätzlichen eine „contradictio in adiecto“ darstellt,
wobei der echte Zusammenhang mit den Ursprüngen abhanden zu kommen droht“
(S. 13). „Aber es läßt sich zeigen, daß das, was wir unter einer seelischen Grundhaltung
der Antike begreifen können, - nicht also die große Wortemacherei mit antiken Begrif-
fen, sondern deren Lebens-Gehalt - in Amerika noch immer entschiedener wirksam ist,
als sonst bei abendländischen Völkern“ (S. 15/16). Es wird von Urzidil gezeigt, daß
Amerika ein Volk der Gegenwart, ein Volk ohne Mittelalter ist, das unmittelbar zurück
nach der Antike griff und die Renaissance kraftvoll in seine moderne Zukunftsentwick-
lung projizierte. „Washington hatte in seiner Gesamthaltung etwas von führenden Rö-
mern der republikanischen Epoche. Seine Ansprachen waren von ciceronischem Schwung
. . . Der amerikanische Bildhauer Horatio Greenough (1805-52; man beachte den Vor-
namen!) hat den Befreier-Präsidenten Washington mit einer Toga dargestellt, als wäre
er ein Römer gewesen“ (S. 16). In Parallele zu den antiken Begriffen stehen die Auf-
fassungen der Amerikaner von Freiheit und vom Agonalen. Der Verfasser zeigt aber
auch, daß die Stellung der Frau in Amerika völlig unantik und besonders voll gesell-
schaftlicher Problematik ist. Die Auffassung von der Stellung der Frau im öffentlichen
Leben der ScKweiz hat hier dem Verfasser offensichtlich die Feder zur Kritik geführt.
Was den amerikanischen Kapitalismus angeht, so ist Besitztum für den Besitzer dort
eine Verpflichtung, ihn in der öffentlichkeit durch Stiftungen nutzbar zu machen. Der
Besitzende selbst fühlt sich verpflichtet, ein öffentliches Ehrenamt zu bekleiden. Dies
alles erinnert sehr an die Antike. Außerdem ist es für Amerikas Beziehungen zur Antike
bezeichnend, „daß bedeutsame Namen der Antike in fast allen Formen des gegenwär-
tigen Lebens in den USA stärker eingewirkt sind als sonstwo in der Welt“.

Daß die Amerikaner mehr als sonstwo bis in die neuere Zeit hinein noch in der
Baukunst eine Neigung zum Klassizismus haben, wird in einigen treffenden Abschnit-
ten dargelegt. Davon zeugt auch noch die gelungene Rekonstruktion der Attalos-Stoa
auf der von den Amerikanern ausgegrabenen Agora in Athen. Daß sie gerade die Agora
ausgegraben haben, ist fast symbolisch.

Von der Einstellung des Amerikaners zum Tode im Vergleich mit der Antike ist
ausführlich die Rede. Von seinem Verhältnis zur antiken Literatur und von der Ver-
wendung antiker Motive in der modernen amerikanischen Literatur wird ebenfalls
gesprochen. Wichtig ist auch der Hinweis, daß Isadora Duncan (1878-1927) aus den
Darstellungen des Tanzes auf griechischen Vasen die Bewegungsrhythmen des modernen
Ausdruckstanzes geschaffen hat.

Vor allem sind die Partien des Buches bedeutend, wo der materialistische Technizis-
mus mit dem Humanismus konfrontiert wird. Dieses zeitnaheste Problem taucht immer

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