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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 11.1968

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Nr. 3
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Schönberger, Otto: [Rezension von: Saul B. Robinson, Bildungsreform als Revision des Curriculum]
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https://doi.org/10.11588/diglit.33078#0042

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Anmerkungen zu einem Buck von Saul B. Robinson

(Verlag Luchterhand Neuwied. 1967, 74 S. Pädagogik. Schriftenreihe zur empirischen

Erziehungsforschung)

Saul B. Robinson hat ein kleines Buch „Bildungsreform als Revision des Curricu-
lum“ (Neuwied, 1967) verfaßt, das von höchstem Interesse für jeden Lehrer am Gym-
nasium ist. Das Werk zeichnet sich aus durch große Klarheit in Sprache und Stil, ist
angenehm kurz und, wie ich glaube, in einer sehr fairen Grundgesinnung verfaßt. Ge-
rade weil Robinson so besonnen und human schreibt, wird er es nicht mißverstehen,
wenn ich im folgenden im gleichen Geiste des freien Aussprechens von Meinungen ein
paar Seiten seines Buches näher betrachte und - ich will es nicht leugnen - zu wider-
legen suche. Von der Grundthese seines Werkes will ich hier nicht handeln; es geht mir
nur um die Stelle seiner Schrift, die der „Klassisch - humanistischen Bildungsvorstellung“
gewidmet ist.

Robinson schreibt (18), es sei unwahrscheinlich, daß „Mündigkeit“ erreichbar sei
ohne Einsicht in die Bedingungen sozialen Lebens und politischen Handelns und daß -
auch in einer sich als pluralistischen verstehenden Gesellschaft - eine Verständigung er-
folgt über die Funktion von Wissen und Wissenschafl in ihrem Bezug zur Wahrheit und
ihrer Abgrenzung vom Mythos. Robinson fährt dann fort: „Die klassisch-humanistische
Bildungsvorstellung jedenfalls hat diesen Zielen gegenüber versagt.“ Er führt dann eine
Umfrage von „Wort und Wahrheit“ über die Rolle des griechisch-lateinischen Geistes-
erbes in der „Bildungsgesellschaft von morgen“ an, die „enthüllend für die Einstellung
seiner Verfechter auch heute noch sei“.

Nehrnen wir an, „Mündigkeit“ sei ein wohldefinierter Begriff. Niemand wird dann
wohl Robinsons These widersprechen, daß Mündigkeit ein wünschenswerter Zustand des
Menschen ist, ein hohes Ziel jeglicher Erziehung. Weiterhin wird man sogleich zugeben,
daß Einsicht in die Bedingungen sozialen Lebens und politischen Handelns wichtige
Vorbedingungen von „Mündigkeit“ darstellen.

Hier werde ich aber auch bedenklich. Diesem Ziel gegenüber soll die klassisch-
humanistische Bildungsvorstellung versagt haben. Was, frage ich, unternimmt man
etwa bei der Lektüre von Sallusts „Catilina“ eigentlich anderes als den Versuch, die
Bedingungen sozialen Lebens und politischen Handelns (und ihre gegenseitige Bedingt-
heit: das steht bei Robinson nicht da, ist aber wohl mitgemeint) im Rom der ausgehen-
den Republik zu untersuchen, diese Fragen aus dem Text klar herauszuheben, sie unter
den sallustischen Kategorien (die z. T. weit ins Griechische zurückreichen, und zwar ins
beste Griechische) zu betrachten und dann - in aller Behutsamkeit, versteht sich - Par-
allelen oder vielleicht sogar Folgerungen für unser politisch-soziales Leben zu ziehen.
Das Ganze erfolgt zudem unter den wissenschaftlichen Kategorien sowohl antiker Li-
terarhistorie wie auch moderner Geschichts- und Sozialwissenschaft wie auch politischer
Erziehung: Th. Mann hat einmal — mit Recht — gesagt, wer das erste Jahrhundert v. Chr.
genau kenne, brauche im Politischen nichts mehr zuzulernen. Hinzu kommt, daß die
Sallustlektüre in aller Deutlichkeit die Frage der Dekadenz eines Volkes aufwirft, die
Genese einer Rebellion aus verfehlter Sozialpolitik vorführt, zeigt, wie in ein morali-
sches und politisches Vacuum der Demagoge vorstößt, Diktion und Stil eines Demagogen
erleben läßt und nachweist, wie rasch innenpolitische Probleme auf die Außenpolitik
einwirken. Hinzu tritt das Problem der Todesstrafe, des Notstandsrechtes (Cicero z. B.
wurde später unter dem Vorwand des Verfassungsbruchs verbannt), der Gewaltanwen-
dung in der Politik.

Nun frage ich, ob man hier nicht eine Einsicht in die Bedingungen sozialen Lebens
und politischen Handelns zu verschaffen sucht, und daß heute der altsprachliche Unter-

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