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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 13.1970

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Nr. 2/3
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Clasen, Adolf: "Wozu Latein?": wie ist sein Platz im modernen Curriculum zu begründen? :1970
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https://doi.org/10.11588/diglit.33063#0043

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daß derjenige, der über solche Kenntnisse verfügt, es fühlbar leichter hat, den
Anforderungen seines Studiums zu genügen, weil es mit der zunehmenden Inter-
nationalisierung der Wissenschaft immer wichtiger wird, in fremden Sprachen
Mitgeteiltes schnell zu verstehen. Dabei pflegt sich die Kenntnis von Latein als
nützlich zu erweisen.
2. Es wird allgemein akzeptiert, daß Lt. als sprachliches Fundament das Er-
lernen fremder Sprachen, vornehmlich der romanischen, begünstigt; doch fehlt
es an Einsicht in die Tatsache, daß sich, wie das literarische, so auch das wissen-
schaftliche Englisch bzw. Amerikanisch den sich ständig erweiternden Wortschatz
aus dem Lt. holt. Lateinkenntnisse machen unabhängiger in einer vom Englischen
beherrschten Epoche, indem sie von Lexikonhörigkeit befreien und das Einprägen
erleichtern. (Hier dürfte die Erklärung dafür liegen, daß in der Sowjet-Union
die Zahl der lat. Lehrstühle wieder vermehrt wird. Für Medizinstudenten ist
dort, im Gegensatz zu Tendenzen hierzulande, Lateinunterricht verbindlich
(Vossen, 151). An den Sekundarschulen der Tschechoslowakei ist LU wieder
Pflichtfach (Zpravy).
3. Im Bereich der wissenschaftlich-technischen Nomenklaturen kommt dem
Lateinischen eine Basisfunktion zu, so in Biologie und Biochemie, in Physik und
Kernphysik, in Kybernetik, Raumfahrt u. a. m., wo das Deutsche kaum noch
eine Rolle spielt. Gerade in diesen Disziplinen wird der unablässig wachsende
Fachwörterkatalog aus dem Lt. - neben dem Griechischen - gespeist. Wer diese
Kenntnisse mitbringt, findet sich leichter zurecht, versteht schnell und kann selbst
Neues bilden; wer Lt. nicht gelernt hat, wird als Wissenschaftler es schwer haben,
selbst wissenschaftliche Begriffe zu prägen: Latein, die Sprache „der eindeutig
und einseitig festgelegten Begriffe“ (v. Hentig), stellt sie bereit bzw. bietet die
Basis für einen neusprachlichen Terminus.
4. Auf der Schule erworbene Lt.-Kenntnisse bedeuten Zeitgewinn und haben
einen höheren Sicherheitseffekt. Nachkurse auf der Universität mit dem Ziel,
das auf der Schule nicht Gelernte nachzuholen, haben erwiesenermaßen nicht den
gleichen Wirkungsgrad; die Grundlage ist umso fester und bleibt dem Gedächt-
nis umso dauerhafter eingeprägt, je früher sie gelegt wurde.
Die Basisfunktion des Lt. im wiss.-technischen Zeitalter verlangt den Fort-
bestand des schulischen Latein-Angebots. Die „ungeheure Zumutung“, die man
nach H. v. Hentigs provozierender Formulierung darin erblicken könnte, junge
Menschen auch heute noch im Lt.-Unterricht mit Hilfe dieser Sprache bilden zu
wollen, findet ihre Erklärung vor allem in bewährter Formalschulung und in dem
linguistischen Schulungswert der lateinischen Sprache.
II. Sprach- und Denkschulung:
1. Im Zusammenwirken mit anderen Fächern des schulischen Angebots leistet
LU wissenschaftspropädeutische Sprach- und Denkschulung. Ohne den Schüler
mit fremden Rechtschreibungs- und Ausspracheregeln zu verunsichern, wird die-
ser von der ersten Stunde an durch Wort und Form zu höchster Aufmerksamkeit
genötigt und zu methodenbewußtem Vorgehen erzogen.
Anders als im Unterricht der lebenden Sprachen werden dabei die sprachlichen
Strukturen in allen ihren Bezügen rational voll bewußt gemacht und jeder

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