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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 16.1973

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Nr. 1
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Buchbesprechungen
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Schwarz, Wolfgang F.: [Rezension von: L. Annaeus Seneca, Philosophische Schriften, Lateinisch und Deutsch, 2. Band, Dialoge VII-XII, lateinischer Text von A. Bourgery und R. Waltz, übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen]
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https://doi.org/10.11588/diglit.33067#0028

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hält, um es vorweg zu sagen, den Anforderungen nicht stand. Man muß dem Übersetzer
zwar bestätigen, daß er mit großer Gewissenhaftigkeit an seine Aufgabe gegangen ist,
und ich unterstelle gern, daß er sich nach Kräften bemüht hat, den Stil Senecas zu
treffen, nur ist der dazu eingeschlagene Weg, die Konstruktionen, ja selbst die Wort-
stellung des lateinischen Textes nach Möglichkeit beizubehalten, wegen der grundsätz-
lichen Verschiedenheit beider Sprachen in diesem Punkt an sich indiskutabel. Daß es
aber ein geradezu laienhaftes Unterfangen ist, Senecas anspruchsvollen, eigenwilligen
Stil, seine geistreichen, scharf geschliffenen Formulierungen auf diese Weise nachgestal-
tend zu erhalten und zu vermitteln, ist jedem Einsichtigen von vornherein klar. Es bleibt
in der Tat ein unlesbares, streckenweise unerträgliches Deutsch, das geeignet ist, alle
Behauptungen über die angeblich mit der Pflege der alten Sprachen an den Schulen ein-
hergehende Verderbnis des deutschen Stils zu rechtfertigen.
Ich beschränke mich auf einige kurze Proben aus den ersten acht Kapiteln von De
vita beata, Stichproben aus dem Rest des Werks bestätigen den Eindruck. Zunächst zu
Konstruktion und Ausdruck: Von der Möglichkeit der Prägnanz im Deutschen bei der
Wiedergabe lateinischer umschreibender Relativsätze wird kein Gebrauch gemacht:
dial. 7,1,2 (Ein Erfahrener) „der erkundet hat das, zu dem wir voranschreiten“ oder
7,1,1 „was ist es, was wir erreichen wollen“. Konstruktionen werden bis zur Sinnlosig-
keit wörtlich übernommen: 7,8,1 „Was, daß ebenso Guten wie Schlechten Genuß inne-
wohnt . . , 7,5,1 „denn auch Steine sind frei von Furcht und Traurigkeit, und nicht
weniger Vieh“, dass. 7,2,1 und 7,3,3 (Mitte, wo statt „sondern“ im selben Satz für
deinde „sodann“ zu lesen ist). Gelegentlich begegnen ungebräuchliche und harte Wen-
dungen: 7,1,1 „die Eile (sc. wird) größeren Anstandes Ursache“, 7,1,4 „es schadet
nämlich, sich Vor a u f gehenden anzuschließen“, 7,4,5 (Ende) „daran der Mensch sich
freut nicht wie an Gutem, sondern wie an aus dem eigenen Gut Entstandenem“.
Nicht eben glücklich wird ausgerechnet von der mens pura behauptet, daß sie es ist,
„die nicht nur zerfleischenden Angriffen, sondern auch Sticheleien sich ent-
zogen hat, die stehen stets wird (sic!), wo sie sich hingestellt hat“, 7,5,3. Inkonzinnität
erwächst aus der Ellipse der Hilfszeitwörter z. B. 7,6,2 „glücklich ist, wer mit den Um-
ständen - wie immer sie sind - zufrieden und sich angefreundet mit seinen Verhält-
nissen“. Mitunter werden lateinische Grundvorstellungen beibehalten, so 7,3,2 „Aber um
dich nicht durch (per!) Umwege zu schleppen“.
Zu bizarren Erscheinungen kommt es in der Wortstellung: Die größere Freiheit des
Lat. in der Stellung des Bezugswortes bei zwei beigeordneten Adjektiven wird unbe-
denklich übernommen: 7,4,4 „die unbeständigsten Herren und ihrer selbst nicht
mächtigen“.
Daß es unaufdringlichere Mittel gibt, den objektiv unterscheidenden Charakter eines
nachgestellten lat. Adjektivs im Deutschen zum Ausdruck zu bringen, versteht sich, vgl.
dazu 7,1,2 (Es) „wird zermalmt (!, conteretur) das Leben unter Irrtümern, das kurze“.
Dasselbe Bild bei der Behandlung von Adverb und Verb: 7,4,2 „des Anständigen An-
hänger, mit sittlicher Vollkommenheit zufrieden, den weder übermütig machen Zufällig-
keiten noch zerbrechen“ oder 7,7,4 „hingegen der Genuß - dann, wenn er am meisten
Freude empfindet (delectat!), verlischt er“. Daß es durch diese Methode zu Unklarheiten
kommt, ja Pointen geradezu verwischt werden, begegnet gleich im zweiten Satz im
Nachklappern der Protasis: 7,1,1 „so sehr schwer ist es, zu erreichen das glückliche Le-
ben, daß jeder von ihm desto weiter sich entfernt, je hastiger er zu ihm hineilt, wenn
er vom Wege abgekommen ist“. Ein Kuriosum ist die Beibehaltung des Polysyndeton
bei Aufzählungen mit drei und mehr Gliedern: 7,4,3 „was nämlich hindert uns, glück-
liches Leben zu nennen eine freie Seele und aufrechte und unerschrockene und
standfeste".
Daneben finden sich merkwürdige Sätze wie 7,2,3 „Alle Mühe habe ich mir gegeben,

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