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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 17.1974

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Nr. 3
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Nickel, Rainer: "Lernziele und Fachleistungen" einer neuen Didaktik "des gelehrten Unterrichts"?: Bemerkungen zu "Lernziele und Fachleistungen"
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https://doi.org/10.11588/diglit.33068#0048

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ständnis für die Einheit geistig-geschichtlichen Lebens, endlich ethisch-humane
Gesinnung, das alles winkt dem Schüler als Gewinn des klassischen Unter-
richts . . . Aber nun nehme man die Dinge wie sie sind. Wird das, was der klas-
sische Unterricht bewirken könnte und sollte, regelmäßig erreicht, so daß nur
unglückliche Ausnahmen, die dem System nicht zur Last fallen, dieser Früchte
nicht teilhaftig werden? Ein Blick in die Wirklichkeit zerstört grausam die Illu-
sion wohlmeinender Enthusiasten . . (S. 652/654).
Man darf Paulsen zugeben, daß es ihm als Fachmann und Kenner des alt-
sprachlichen Unterrichts gelungen ist, eine Rechnung aufzumachen, die die huma-
nistischen „Enthusiasten“ hätte ernüchtern und eine radikale Besinnung auf die
wahre Leistungsfähigkeit dieses Unterrichts einleiten können. Statt dessen ist das
Buch von der Mehrheit der Philologen als Pamphlet bezeichnet und sein Ver-
fasser auch persönlich beschimpft worden (vgl. Fritz Blättner, Das Gymnasium.
Aufgaben der höheren Schule in Geschichte und Gegenwart, Heidelberg 1960,
230f.). Die „tatsächlichen Erfolge der klassischen Bildung“ nahm man einfach
nicht zur Kenntnis. Wer die Geschichte des gelehrten Unterrichts über den von
Paulsen erfaßten Zeitraum hinaus weiterverfolgt - geschrieben ist diese Ge-
schichte freilich noch nicht! Wer wollte es auch wagen, Paulsens Werk adäquat
fortzusetzen? -, muß immer wieder feststellen, daß Paulsens brillante, aber
schonungslose Analyse allenfalls von den Gegnern des altsprachlichen Unter-
richts als Expertise eines Sachverständigen ausgeschlachtet, nicht aber von seinen
Befürwortern als Anstoß zu freimütiger Selbstkritik und nüchterner Bestands-
aufnahme des Erreichten und Erreichbaren aufgegriffen worden ist. Vielmehr
bestimmten weiterhin große Worte, pathetische Bekenntnisse, Selbstmitleid, An-
klage, Resignation die didaktische Szene - von bemerkenswerten Ausnahmen
abgesehen.
Erst dieser Tage ist es endlich gelungen, Paulsens Vorstoß in Richtung auf eine
ehrliche und freimütige Situationsanalyse weiterzutreiben. Was jener mit einem
„Blick in die Wirklichkeit“ erfassen zu'können glaubte, wird jetzt mit Hilfe eines
leistungsfähigen Instrumentariums empirischer Forschungsmethoden erfaßt -
und das Ergebnis ist eigentlich gar nicht so niederschmetternd, wie vielleicht zu
befürchten war. Das Risiko einzugehen, hat sich zweifellos gelohnt. Allerdings
stehen die Experten des DAV im Vergleich zu Paulsen auf einenr erheblich
niedrigeren und schmaleren Anspruchsniveau und beschränken ihre Unter-
suchung auf die Feststellung erreichter Lernziele in der Schule, während Paul-
sen die postscholaren Leistungen und Verhaltensweisen des Erwachsenen am
Lernzielprogramm der altsprachlichen Didaktik gemessen hatte. Die Bewährung
des „klassisch Gebildeten“ in der Mannigfaltigkeit seiner Lebenssituationen ist
nicht Gegenstand der DAV-Untersuchung. Ob dieser Bereich überhaupt er-
faßbar ist, sei dahingestellt; doch läßt sich eigentlich erst von hier aus die Frage
nach Sinn oder Unsinn der „klassischen Bildung“ überzeugend beantworten. Die
vorliegende Arbeit ist also nur ein erster, wenn auch überaus wichtiger Schritt
über die Grenzen unbewiesener Behauptungen und unbestätigter Zielvorstellun-
gen hinaus.
Ausgangspunkt des vorliegenden Berichtes über die Validierung von Fach-
leistungen des Lateinunterrichts war die von Otto Schönberger und Klaus West-

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