Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 24.1981

DOI Heft:
Nr. 2
DOI Artikel:
Konsalik, Heinz G.; Oberg, Eberhard: Platons Körper in der Retorte
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.33080#0035

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Platons Körper in der Retorte

Aus: Die Zeit vom 30.1.1981

In der Natur kommt es nicht vor. Aber dennoch hielten es Theoretiker für
„chemisch möglich“. Nun ist das seit langem vorausgesagte Riesenmolekül „Do-
decahedran“ erstmals im Labor synthetisch hergestellt worden. Der jüngste
Erfolg der organischen Chemie geht auf das Konto des amerikanischen Profes-
sors Leo Paquette von der Universität des Staates Ohio.
Das Ereignis ist nicht nur chemisch, sondern auch wissenschaftsgeschichtlich
bedeutsam. Denn in der Theorie gibt es das aus zwölf gleichseitigen Fünfecken
gebildete Pentagon-Dodekaeder schon seit nahezu 2500 Jahren — als einer der
fiinf klassischen „Platonischen Körper“ des Athener Philosophen Platon.
Die gedankliche Leistung Platons wissen vor allem die modernen Chemiker
zu würdigen: Unter dem Elektronenmikroskop fanden sie alle Molekül- und
Atomstrukturen von der einfachen Pyramide bis zum zwanzigflächigen Ikosae-
der — nur nicht Platons Dodekaeder.
Scheute sich die Natur, ein solches aus Fünfecken bestehendes Molekül
nach Platons Muster zu bilden — und wenn ja, warum? Selbst Robert Wood-
ward, der amerikanische Chemie-Nobelpreisträger von 1965, dem die Synthese
von Cholesterin, Cortison und Chlorophyll gelang, suchte bis zu seinem Tod
vergeblich nach einer Antwort.
Doch weltweit wurde weiter geforscht, um das Geheimnis von Platons
Dodekaeder zu enthüllen. Denn die Mehrheit der Chemiker war sich darin
einig, das „Dodecahedran“ genannte Riesenmolekül müsse — wenn es sich nur
synthetisieren ließe — extrem stabil sein. Und diese „extreme Stabilität“,
theoretisch vorausgesagt, ließ natürlich auf alle möglichen Anwendungen hof-
fen. Die Zentren der Jagd auf Dodecahedran lagen und liegen in den Ver-
einigten Staaten, in Japan und auch in der Bundesrepublik.
Das Rennen machte Professor Paquette: Er erweckte Platons Pentagon-Dode-
kaeder im Reagenzglas erstmals zum Leben — als Kohlenwasserstoffmolekül
aus je zwanzig Kohlenstoff- und Wasserstoffatomen (chemisches Kürzel C20 H20).
Zwar gibt es noch einen kleinen Schönheitsfehler an dem endlich zustandege-
brachten C20H20-Molekül, das wie ein eckiger Bundesliga-Fußball aussieht und
in der Branche einhellig als „Schönheitskönigin der Kohlenwasserstoffe“ ge-
feiert wird: Das Röntgenbild aus Ohio zeigt einen „eckigen Fußball“ mit
Ästen aus Methyl-Molekülen (CH3).
„Das ist jetzt nur noch eine Nebenfrage“, gratuliert Professor Paul von Rague-
Schleyer von der amerikanischen Princeton University, der zur Zeit am Institut
für Organische Chemie der Universität Erlangen-Nürnberg gastiert und auf die-
sem Gebiet ebenfalls seit langem forscht. Er sieht schon profitable Nutzungs-
möglichkeiten für das nach mehr als 2000 Jahren vom Gedankenspiel zur
chemischen Praxis katapultierte platonische Dodecahedran: „Man wird sofort

9
 
Annotationen