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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 25.1982

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Nr. 4
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Waiblinger, Franz Peter: Die unwiderstehliche Vernunft: In der Bildungsdiskussion: zurück oder vorwärts zu Humboldt?
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https://doi.org/10.11588/diglit.33081#0066

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land gelten, das zugunsten der Wahlfreiheit auf verbindliche Inhalte weniger
Wert gelegt hat. Andere Kollegstufenmodelle aber, wie zum Beispiel auch das
bayerische, sind davon ebensowenig betroffen wie das Prinzip der Oberstufen-
reform im ganzen. Eher weist die Kritik auf Schwächen des gymnasialen Bil-
dungskonzepts, die mit der organisatorischen Form der Oberstufe nichts zu tun
haben. Es gibt vielleicht noch die Illusion, die Schule könne am besten dadurch
auf das Leben vorbereiten, daß sie möglichst vollständig und möglichst detailliert
all jene Kenntnisse vermittelt, die in unserer wissenschaftlich-technischen Welt
wichtig sind. Noch ist nicht jedem klar geworden, daß es verlorene Liebesmüh
ist, die Köpfe mit Stoffen vollzustopfen.
Gegen den Fachegoismus
Gewiß erwirbt man allgemeine Bildung nicht ohne Stoffe. Doch wer möchte
ernsthaft bezweifeln, daß nicht jeder Inhalt in gleicher Weise dafür geeignet ist,
die „Hauptkräfte des Geistes“, wie es bei Humboldt heißt, zu üben und jene
Kenntnisse zu erwerben, die es ermöglichen, sich später die im Leben jeweils
notwendigen Kenntnisse ohne Schwierigkeiten anzueignen.
Daß Sport — ein Fach, dessen Bedeutung niemand leugnen wird — als Lei-
stungskurs einem Fach wie Mathematik oder Deutsch oder Physik oder Grie-
chisch gleichwertig gemacht wurde, ist gewiß mehr als befremdlich. Doch der-
artige Absurditäten können korrigiert werden, ohne daß damit die Konstruktion
des Ganzen in Frage gestellt würde. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß der
übliche Fachegoismus, der jede unterschiedliche Wertung der einzelnen Diszi-
plinen verteufelt, einer pädagogischen Verantwortung weicht, die nicht an den
engen Grenzen des eigenen Faches aufhört.
Es genügt ferner nicht, daß ein Fach an sich wichtig ist. Wenn das Gymna-
sium nicht in Stoffhuberei versinken soll, muß es die Fächer in den Mittelpunkt
stellen, die sozusagen über sich hinausweisen, die allgemeine geistige Fähigkei-
ten vermitteln. Nirgends ist das einfacher und einleuchtender formuliert als bei
Humboldt: „Der Zweck des Schulunterrichts ist die Uebung der Fähigkeiten,
und die Erwerbung der Kenntnisse, ohne welche wissenschaftliche Einsicht und
Kunstfertigkeit unmöglich ist. Beide sollen durch ihn vorbereitet; der junge
Mensch soll in Stand gesetzt werden, den Stoff, an welchen sich alles eigene
Schaffen immer anschliessen muss, theils schon jetzt wirklich zu sammeln, theils
künftig nach Gefallen sammeln zu können, und die intellectuell-mechanischen
Kräfte auszubilden. Er ist also auf doppelte Weise, einmal mit dem Lernen
selbst, dann mit dem Lernen des Lernens beschäftigt.“
Bildung der gesamten Nation
„Das Lernen des Lernens“ ist seit Ende der sechziger Jahre ein Schlagwort der
didaktischen Literatur. War uns Humboldt wieder einmal weit voraus? Auch
andere Modernismen wie „Schülerorientierung“ oder „Entdeckungsiemen“
sind in der Sache schon bei Humboldt vorbereitet. Man lese einmal nach, wie er
im Bericht der Sektion die Pestalozzische Methode vorstellt! — Aber Humboldts

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