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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 27.1984

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Nr. 2
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Terhoeven, Gerhard: Imperfekt - Perfekt - Präteritum, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.33084#0049

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Imperfekt - Perfekt - Präteritum

Deutsche und lateinische Wörter, deutsche und lateinische Syntax, besonders deutsche
und lateinische Tempora sind nicht deckungsgleich - eine Binsenwahrheit. Der Sextaner
wird zwar keine Rechenschaft über sie geben können, aber spüren wird er sie spätestens
bei der Übersetzung lateinischer erzählender Texte, mag der Lehrer ihm zunächst noch so
undifferenziert die Gleichung laudavi = ich habe gelobt vorgesetzt haben. Ähnliches gilt
fürs Französische, ähnliches fürs Englische, vom Griechischen ganz zu schweigen. Ver-
ständlich, wenn die Grammatiker eine Zeitlang die Unähnlichkeiten betont und radikal die
Trennung auch im Terminologischen gefordert haben. In den letzten Jahren hat sich
zunehmend die Meinung durchgesetzt, die alte einheitliche Terminologie solle möglichst
weitgehend beibehalten werden, weil der Schaden der Verwirrung größer sei als der Nut-
zen der scharfen Scheidung. Aber wie weit soll die Konzilianz gehen? Darf man im
Lateinunterricht die Schüler paradigmatische Gleichungen lernen lassen, die vielleicht nur
5 oder 10 % des Richtigen treffen? Terhoeven beantwortet diese Frage im folgenden Beitrag
vehement mit nein und macht einen Gegenvorschlag. Dieser Gegenvorschlag wird man-
chem Lehrer radikal Vorkommen und ist geeignet, Gegenpositionen hervorzurufen. Her-
ausgeber und Redakteure sind sicher, daß er eine Diskussion auslösen wird. Über ihren
Verlauf soll an dieser Stelle berichtet werden.
„Wir Deutschen leiden an der Vergangenheit!“ - Das ist hier nur grammatikalisch
gemeint: Wir haben Probleme mit dem richtigen Gebrauch der Nomenklatur der
Vergangenheit. Insbesondere sagen wir oft „Imperfekt“ und meinen „Präteri-
tum“. Die Schuld an dieser Unklarheit liegt, das müssen wir Lateiner wohl ehrlich
zugeben, bei unsern sonst so gelobten lateinischen Grammatiken. Da heißt es im
Konjugationsschema beim „guten alten Ostermann“ bis zu allen (?) neueren
Grammatiken beim Imperfekt:
laudabam: ich lobte; und beim Perfekt: laudavi: ich habe gelobt;
und so haben es Generationen von Lateinern gelernt. Trotzdem müssen wir
diese Paradigmengleichung ernstlich in Frage stellen.
I. Das Imperfekt: Das Imperfekt ist seinem Wesen nach immer, sowohl im Latei-
nischen als auch im Deutschen und im Griechischen, wirklich ein „tempus
imperfectum“, also eine „noch nicht vollendete Vergangenheit mit linearer
Aktionsart“; es steht auf die Frage „Was war damals?“, „Was ‘lief damals?“ Unser
Beispiel sei trahebam:
a) ich war (gerade) dabei zu ziehen (= Fortdauer in der Vergangenheit;
begonnen, aber noch nicht vollendet).
b) ich pflegte zu ziehen; ich zog gerne (Sitte, Gewohnheit, Wiederholung).
c) ich versuchte zu ziehen (impf, de conatu).
Wir müssen also festhalten: Im Deutschen haben wir kein eigenes „tempus
imperfectum“, sondern müssen es umschreiben! Dabei können wir das Präteri-
tum zu Hilfe nehmen.

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