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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 35.1992

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Quack, Helmut: Das Schulfach Griechisch im demokratischen Staat
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https://doi.org/10.11588/diglit.35880#0114

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Das Schuifach Griechisch im demokratischen Staat

Ist es ,,undemokratisch", ein Fach zu lernen und zu lehren, das wie Griechisch an keiner Schul-
art für alle Schüler Pflicht ist, das nur auf einer Jahr um Jahr verschieden ausfallenden Wahlent-
scheidung einer Minderheit beruht? Ist ein solcher Unterricht ein ,,Luxus", den sich die Gesell-
schaft nicht mehr leisten kann oder sich nicht mehr leisten sollte? Haben nicht andere europäi-
sche Staaten den Griechischunterricht an ihren Schulen abgeschafft oder dulden ihn nur in win-
zigen Restbeständen? Kann das vielleicht vorhandene Entzücken einiger aristokratisch gesinnter
Ästheten einen Staat zum Geldausgeben veranlassen, der gerade alle Kraft zusammennehmen
muß, um die unmittelbar drängenden Gegenwarts- und Zukunftsaufgaben zu bewältigen?
Man kann sich solchen Fragen gegenüber verschieden verhalten: Man nimmt sie vielleicht als un-
erheblich gar nicht zur Kenntnis, man hat seine Antwort sowieso schon fertig (,,Griechisch —
nein danke") oder man hält einen Augenblick inne, um über solche Fragen ernsthaft neu nach-
zudenken. Und das geht nur, wenn der Blick sich auch auf die Vergangenheit des Schulwesens
und des Faches Griechisch richtet.
Die Verantwortung für die Gestalt des Schulwesens hat im Laufe der deutschen Bildungsge-
schichte mehrfach gewechselt: Bestimmte zunächst die Kirche Inhalt und Form schulischen Ler-
nens, etwa in den Klosterschulen, so war dies später eine Sache der Städte oder Fürsten, also der
„Obrigkeit". Gegenwärtig entscheiden über ein stark gewachsenes, vielfältiges Schulwesen Par-
lamente und Regierungen, die nach demokratischen Verfahren gebildet worden sind. Denn ein
zahlenmäßig bedeutendes und damit stilbildendes Privatschulwesen, dessen Form und Inhalt
ziemlich unabhängig von staatlicher Setzung sein könnte, ist in Deutschland nicht entstanden.
Parallel zum Wechsel der Verantwortlichkeiten ging der Weg von dem seltenen Schulbesuch
einzelner zur Schulpflicht für alle, vom privaten Unterricht innerhalb von Familien zum staatlich
geprägten, öffentlichen Unterricht, übrigens für eine schnell steigende Zahl von Schülern weit
über die Schulpflicht hinaus.
Wo stand und steht in dieser geschichtlichen Entwicklung das Schulfach Griechisch? Es gehört
nicht zu den Gründungsfächern im Lehrplan des Abendlandes. Erst als Folge von Humanismus
und Reformation drang es seit dem 15. Jahrhundert in die Bildungsanstalten ein. Griechisch fand
große Resonanz, wo bedeutende Geister wie Marsilio Ficino oder Philipp Melanchthon ausstrahl-
ten. Fehlten solche „Strahlen", war sein Platz eher bescheiden, oder es wurde gar nicht gepflegt.
Der Griechischunterricht, soweit er überhaupt stattfand, war vom 16. bis ins 18. Jahrhundert oft
ganz auf das Neue Testament ausgerichtet. Aber ein Bewußtsein davon, daß Griechisch eigentlich
„dazugehörte", blieb bis in die kleinsten Lateinschulen auf dem flachen Land lebendig.
Doch erst der Enthusiasmus einzelner Menschen im 18. Jahrhundert hat bewirkt, daß schließlich
die Sonne Homers zum Zentralgestirn des höheren Schulwesens wurde, daß auch Griechisch ein
allgemeinbildendes Schulfach von starker Leuchtkraft wurde. Nur einige Namen: Winckelmann,
Hamann, Herder, Wieland, Goethe, Hölderlin, Schelling, Humboldt. Es ist, als ob einer ein Licht
entzündet, das dann von Hand zu Hand wandert und immer heller wird, bis es alles andere über-
strahlt, ein Licht, das in Deutschland sein Zentrum hatte, aber weit in andere Länder ausstrahlte.
Es war der Obrigkeitsstaat, der das Fach Griechisch im Schulwesen verankerte. Er war es auch,
der die Existenz des Faches im Gymnasium sicherte durch das Abiturprivileg dieser Schulart. Da-
gegen war es ein „demokratisch" zu nennendes Gefühl von Kaiser Wilhelm II., der dem „grie-
chischen" Gymnasium vorwarf, den jungen Menschen kein kräftiges deutsches Nationalgefühl
einzupflanzen. Das nämlich war es, was der Staat damals gerade zu benötigen glaubte. Im Ein-

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