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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 36.1993

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Nr. 2
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Aktuelle Themen
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Maier, Friedrich: Aktion "Latein 2000" ein guter Erfolg: aber kontroverse Meinungen über das Bild-Motiv
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Barié, Paul: "Du hast keinen Anteil an den Rosen Pierias ...": Nachlese zu Sappho fr. 58
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https://doi.org/10.11588/diglit.35882#0059

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Demonstration dieses Wertes in der Werbung. Setbst die mögtiche Aussage, Latein sei besser
als das Poster, brächte einen unschätzbaren Werbeeffekt. Und wenn jemand gar auf den
Gedanken käme, vor dem Hintergrund seiner leichthin und mit wenig Aufwand gesprochenen
oder geschriebenen Kritik das Konzept einer besseren Alternative zu liefern, dann wäre für die
Sache Latein sehr viel gewonnen.
FRIEDRICH MAIER
„Du hast keinen Antei! an den Rosen Pierias ..."
Nachlese zu Sappho fr. 58*
„ Wenn DU gestorben b/sf, w/'rsf DU da//egen, und n/'ema/s mehr w/rd Fr/nnerung an D/Ch/ se/'n,
auch be/n Verm/'ssen bün/f/gh/n, denn DU hast be/nen Ante/7 an den Rosen,
denen von F/er/'a, ne/nr anonym auch /n des Hades Haus
w/rsf du herumgehen müssen, unter den kra/f/osen Föten, davon/7/egend."
Dem Zeugnis von Plutarch („an eine von den ungebildeten und amusischen Frauen gerichtet")
und philologischem Vorverständnis folgend, auch unser Vor-Wissen von der Bedeutung des
Ruhmes in der Antike erwägend, hätte ich von mir aus nie vermutet, das „DU" in diesem
Fragment könnte Sapphos ALTER EGO meinen, Sappho würde also „DU" zu sich selber sagen
und in diesem Fragment ihre Dichter-Existenz grundsätzlich in Frage stellen, - bis Freunde
antiker Dichtung, in deren Kreis ich das Fragment vorstellte, diesen Sinn-Verdacht äußerten und
plausibel fanden. Ich wehrte zunächst ab: Das sei eine interessante, aber vom modernen
Lebensgefühl suggerierte Deutung und mit anderen Äußerungen der Dichterin unvereinbar.
Nachdenklich geworden, ließ ich das versuchsweise einmal gelten. Welche Konsequenzen
hätte das für Sapphos Selbstverständnis? Können wir uns vorstellen, daß sie, vereinsamt oder
resigniert, in einer Lebenskrise so zu sich selbst gesprochen hätte?
Und plötzlich wurde mir die Signifikanz einer Leerstelle bewußt: Es gibt kein „Ich" in dem
Fragment, nur dieses anaphorische, resonanzlos verhallende „DU". Ist es durch einen
Überlieferungszufall verlorengegangen oder bleibt es nur ungenannt, ist aber mit-gemeint (und
mit-betroffen)?
Welche Möglichkeiten, dieses DU von einem Ich her zu identifizieren, sind überhaupt denkbar?
Etwa:
- Das DU, das ICH nicht bin und auch nicht sein möchte,
- das DU, das DICH meint, aber MICH irgendwie mit-meint,
- das DU, das im Grunde gar nicht DICH meint, sondern eigentlich MICH,
- das DU, das ICH auch göttlichem Mund vernahm und das ICH - Sappho dichtend nachahme:
DU sage und ICH meine.
Die Selbstanrede ist episch (Odysseus, der zu seinem Herzen spricht: „Halt aus, mein Herz,
schon Hündischeres hast DU erduldet"), aber auch lyrisch vom THYMOS (Archolochos: „Herz,
mein Herz, von ausweglosem Kummer aufgerührt...") belegt. Man kann „Herz" und „Mut"
direkt anreden, sie vielleicht auch als autonom funktionierende Teile im ICH empfinden.
Verzweiflung, auch Selbstermutigung, können, gewissermaßen auf dem Instanzenweg, über

*Vgl. Verfasser: Du hast keinen Anteil an den Rosen Pierias ..." Überlegungen zu Sapphos Selbstbild, AU
XXXV 6, 92, 5-18.

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