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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 36.1993

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Nr. 4
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Aktuelle Themen
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Barié, Paul: Dauerreflexion als Berufsrisiko?: von der Lust und der Not der Legitimation
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Munding, Heinz: Zum Problem des labor improbus (Vergil Georg. I/145 f.)
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https://doi.org/10.11588/diglit.35882#0149

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exakten Behaltens belangloser Details über lahrzehnte hinweg, gibt - und daß wohltuendes
Vergessen von der Natur vorgesehen und ein Zeichen psychischer Gesundheit sei.
Das Freudsche Begriffspaar,,vorbewußt" und ,,bewußt" mag das verdeutlichen. Wer z. B. einen
großen lateinischen Wortschatz besitzt, kann diesen natürlich nicht ständig bewußt halten, ohne
verrückt zu werden; der individuelle Wortspeicher ist aber vorbewußt, d.h. bewußtseinsfah/'g
und daher jederzeit aktivierbar, wenn man ihn braucht, er lauert abrufbereit vor der Schwelle
des Bewußtseins.
Man sollte in diesem Zusammenhang auch erwähnen, daß die Antike eine ausgesprochene
Gedächtniskultur war, daß die Verschriftlichung bei weitem nicht die Rolle spielte wie heute und
daß das aßornorph zu unseren Vorstellungen sei und daher pädagogisch relevantb
An diesem und ähnlichen Präsentationstexten läßt sich zeigen, was unbefangener Transfer ist:
über einen antiken Text Nachdenklichkeit zu erreichen und ins Gespräch zu kommen. Wir
sollten die alten Dokumente ohne Scheu jungen Menschen, aber auch der Öffentlichkeit,
aussetzen, sie sind schließlich robust und strapazierfähig genug, um auch bei dieser Form eines
eher saloppen Transfers keinen Schaden zu leiden.
Wenn wir zu Eltern über Latein sprechen, muß das irgendwie mit dem vergleichbar sein, was
dann im Unterricht auch tatsächlich passiert. Nur dann ist unser MODUS DEMONSTRANDI
aufrichtig und sozusagen mogelfrei: ohne falsche Effekthascherei zu zeigen, was ein lateinischer
Text /m Kontext des modernen Bewußtseins zu leisten vermag, ist Vorbedingung eines
erfolgreichen Gedankenaustausches über Latein in der Öffentlichkeit.
Anmerkungen
1) Weitere Beispiele in meinen Aufsätzen: Formen späten Lateinbeginns, in: Höhn, W./Zink, N. (big.):
Handbuch für den Lateinunterricht/Sekundarstufe II, Frankfurt (Diesterweg) 1979, S. 86 ff., und: Wieso
Latein? Konturen eines Faches, in: Hohn, W. / Zink, N. (Hg.): Handbuch für den Lateinunterricht
Sekundarstufe i, Frankfurt (Diesterweg) 1987, S. 14 ff. -
2) Vgl. dazu Vertu ,,Produktive Ungleichzeitigkeit". Überlegungen zum Selbstverständnis des Lehrers
der Alten Sprachen, in: LATEIN UND GRIECHISCH in Berlin und Brandenburg, Heft 4/1993.
PAUL BARiE, Krämerstraße 26, 76855 Annweiler
Zum Probtem des /abor /mprobt/s (Vergi) Georg. !/145 f.)
Was hat Vergil mit diesen beiden Worten an der angegebenen Stelle der Georgica gemeint? Die
Schwierigkeit liegt darin, daß man vom Kontext her geneigt ist, das Substantiv in einem positiven
Sinn (etwa als ,,lobenswerte Anstrengung" o.ä.) zu verstehen, dies aber sofort durch das Beiwort
durchkreuzt wird, das eindeutig negative Konnotation zu haben scheint. Die Interpreten haben
bisher auf zwei Wegen versucht, die Schwierigkeit zu uberwinden: entweder dadurch, daß sie
das Beiwort semantisch abschwächten, oder dadurch, daß sie dem Substantiv eine negative
Bedeutung beilegten. So kamen zwei Deutungen des Wortpaares zustande: einerseits „rastloser
Fleiß" o.ä. (so die vorherrschende Meinung, die sich auch in den gedruckten Übersetzungen
niederschlägt), andererseits „schlimme Not" (so Altevogt und Effe)b Entsprechend unterschei-
den sich dann die Übersetzungen des gesamten Satzgefüges: entweder,,... Die Arbeit besiegte
ja alles, / rastlos, und die drängende Not in hartem Ringen" (so z.B. Gertrud Hauser-Hansen in
der Ausgabe von Goldmann), oder „Schlimme Not hat in allem die Oberhand gewonnen und
in harter Lage drückender Mangel" (so Effe im Anschluß an Altevogt auf S. 393). Die erste

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