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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 38.1995

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Aktuelle Themen
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Maier, Friedrich: Zum Ziel-Profil eines zeitgemäßen L2-Unterrichts: fachpolitische und fachdidaktische Überlegungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.33096#0003

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Zum Ziei-Profit eines zeitgemäßen L2-Unterrichts
Fachpolitische und fachdidaktische Überlegungen
Wer Latein als 2. Fremdsprache wählt und das Fach einer modernen Fremdsprache vorzieht, ver-
bindet damit zweifelsohne feste Erwartungen. Für nicht wenige mag das Latinum, das für be-
stimmte Studiengänge als Voraussetzung gefordert wird, das eigentliche Movens der Entscheidung
sein; doch auch diese Schüler erwarten mehr als den bloßen Berechtigungsschein von einem Ge-
genstand, der sie einen erheblichen Teil der Zeit und der Energie ihrer Jugend kostet.
Was das ,Traditionsfach' Latein einem jungen Menschen für Studium, Beruf und Leben mitgeben
kann und will, ist in den einschlägigen Lehrplänen bzw. Rahmenrichtlinien ausführlich und detail-
liert beschrieben; hier ist freilich ein Ideal gezeichnet. Die Wirklichkeit verlangt Abstriche, oft er-
hebliche, und Modifikationen, ja eine zunehmend sich wandelnde Sichtweise. Die Veränderung der
Schule und der Schüler, die sich auf dem Weg über die Jahrtausendgrenze erkennbar vollzieht,
erzwingt eine didaktische Wende, die das bisher übliche Ziei-Profil des Faches in Frage stellt.
Zwei Forderungen stellen sich unausweichlich:
1. Der L2-Unterricht muß unbedingt von seinem Beginn in der Spracherwerbsphase bis zum Zeit-
punkt der Abwahl in Jgst. 10/11 als eine didaktische Einheit aufgefaßt werden; es wäre unredlich
und pädagogisch nicht zu vertreten, das Leistungsangebot vom hohen Standard der Oberstufe her
zu bestimmen oder daraufhin abzustellen; kaum mehr als 10 % der L2-Schüler erfahren dieses
Fachangebot. Der Bildungsgewinn definiert sich für den weitaus größeren Teil der Lateinlernenden
aus den Inhalten der Mittelstufe. Was in den Leistungs- und Grundkursen der Oberstufe an Fachlei-
stungen geboten wird, ist für das Ziel-Profil zwar belangvoli, aber nicht entscheidend; es ist von der
Wirkung her betrachtet ein AdditumJ Prägend im Meinungsbild der Öffentlichkeit ist der Eindruck,
mit dem die Masse der L2-Schüler am Ende der Mittelstufe das Fach abschließt. Darin liegt auch die
fachpolitische Brisanz. Jedem Lateinlehrer sollte es täglich wie ein Menetekel an der Wand des Klas-
senzimmers stehen: Die impressionen der Lateinarbeit am Ende der Mittelstufe sind nachhaltig und
folgenschwer; ihre Wirkung zeigt sich spätestens in der nächsten Generation. Eltern müßten schon
greulich sein, wollten sie ihr Kind wieder einem Fach anvertrauen, von dem sie sich selbst einmal
mit mehr oder weniger Grauen verabschiedet haben.
2. Innerhalb des als Einheit begriffenen didaktischen Kontinuums von Jgst. 7 bis 10/11 ist in der
Zeitvorgabe ein erträgliches Verhältnis zwischen Spracherwerbs- und Lektürephase herzustellen; es
müssen die Sprache gelernt und zugleich Texte gelesen werden. Beide Bereiche lassen sich nicht
mehr hermetisch gegeneinander abschotten; sie sind ineinander verzahnt: Sprachunterricht ist be-
reits Lektüreunterricht, in der Lektüre wird immer noch ergänzend, wiederholend, vertiefend an der
Sprache gearbeitet. Die moderne Didaktik versucht diese Vorstellung im sog. Integrations-
modell zu erfassen; danach werden in der Spracherwerbsphase ein statistisch abgesichertes
Fundamentum an Sprachkenntnissen und -fähigkeiten angelegt, in der Lektürephase wird nachge-
holt, was sich besser erst am Originaltext klären läßt (z.B. Oratio obliqua, Ncl, Besonderheiten der
Relativsätze, verallgemeinernde Relativpronomina, bestimmte Gliedsätze, Satzperioden) oder was
das autorenbezogene Schwerpunktprofil jeweils verlangt (z. B. indefinite Pronomina, Deponentia,
Supinum) Die Texte der Sprachlehrbücher bieten inhaltlich ergiebige Themen der Antike; Autoren
und Texte gerade der Übergangslektüre nehmen Rücksicht auf die Forderung, die sprachlichen
Grundlagen zu sichern und zu erweitern.

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