2 Zeitschrift sür Humor und Kunst L
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Dann ist es still, die Qual ist überstanden.
!lnd von Lerrn Ratschke ist nichts mehr vorhanden.
C A. Lennig
Die Illuminationskerzen Vo» P-ier Rovinson
Die Geschichte ist jetzt schon lange her. Anno 1889,
zu Kaisers Geburtstag passterte sie, an dem es damals
hoch herging.
Wir waren in Pension bei unserer Tante Laura, mein
Vetter Walter und ich die wir damals in die Tertia gingen,
wo wir eine Menge zu lernen halten, denn die Aeberbür-
dung der Schuljugend war zu jener Zeit noch nicht erfun-
den worden. Tante Laura freilich sprach schon davon und
erklärte oft genug: „Iungens, das ist ja geradezu schreck-
lich, was ihr über den Büchern sttzen müßt. Ieden Abend
bis um zehn oder gar elf. Und man merkt nicht einmal,
daß ihr besonders gescheiter werdet. Eine Sünde und
Schande ist es, das teure Petroleum verbrennen zumüfsenl"—
Ia, dieser Aerger um das teure Petroleum beschäftigte
Tante Laura wohl mehr als irgend welche Sorge um unsere
Entlastung von ungebührlicher Arbeit. Denn sie war spar-
sam von Nalur und gegen alle unnützen Ausgaben. !lnd
Petroleum war gewiß eine ganz unnütze Aus-
gabe. Zur Beleuchtung ist die Sonne da,
und wenn sie nicht da ist, dann hat man zu
schlafen. Das ist vernünftig, weil es natur-
gemäß ist. Die Tiere machen es auch so, die
Lühner, die Schweine, die Schafe usw. And
diejenigen Tiere, die es nicht so machen, son-
dern in der Nacht umherstrolchen, sind eben
auf solche Lebensweise eingerichtet, aber Pe-
troleum brauchen sie nicht.
„Das geht so nicht weiter I" erklärte Tante
Laura eines Tages, als sie auf ihrer Rechnung
bei Krämer Priebe einen besonders hohen
Posten für das lichtspendende Erdöl verzeich-
net fand. Sie ging herum und klagte ihr
Leid. Bei allen Bekannten erkundigte ste stch.
Ob denn das wirklich und wahrhaftig nötig
wäre, daß Iungen von dreizehn Iahren sich
so anstrengen müßten? Sie bekam einige Aus-
künfte, schüttelte den Kopf und kam mit einem
energischen Entschluß nach Lause. „Das wird
jetzt anders!" sprach sie machtvoll. „Was
andere können, werdet ihr doch auch fertig
bringen. Andere Iungens aus eurer Klasse
arbeiten überhaupt nicht mehr nach dem Abend- MüNgel
brot. Bis um halb neun dürft ihr bei den
Büchern sitzen. Dann könnt ihr euch noch
etwas beschäftigen, denn gleich von der Arbeit
fort ins Bett zu gehn, ift nicht gesund. Aber punkt neun
Ahr liegt ihr in den Federn. Dies e'ende Ochsen, wie
ihr es ganz richtig nennt, hört jetzt aus. Wenn ihr so
dämlich seid, ist es eure Schuld. Dann müßt ihr Schuster
oder Schneider werden."
Schuster oder Schneider werden zu müssen, wird Gym-
nasiasten häufig angedroht. Aber es geht dieser Drohung
wie so vielen anderen, leichtsinnig abgegebenen: sie ersüllt
sich sehr selten. Weder Vetter Walter noch ich sind Schuster
oder Schneider geworden. Es mag schade darum sein;
vielleicht wären wir Koryphäen in einem dieser Fächer ge-
worden. Tante Lauras Worte machten auch nicht den ge-
ringsten Eindruck auf uns, desto mehr aber ihre Taien.
Denn ste machte Ernst, und um neun Ahr holte sie jetzt
jeden Abend aus unseim Schlafzimmer die Kerze heraus.
Sie durfte nur brennen, während wir uns auszogen. und
eine Woche mindestens mußte ste vorhalten. Das war
nun eine niederträchtige Geschichte. Aus war es mit den
schönen Abendstunden bei Tante Lauras Petroleum, das
mildes Licht gegossen hatte über die Bücher, aus denen
wir nach Tantes frommem Glauben Weisheit und Be-
lehrung für das Leben schöpften. Näher angesehen hatte
sie diese Bücher niemals. Vielleicht hätten ste ihr gefallen;
vielleicht hätte auck sie Geschmack gefunden an Karl May,
der damals seine frischen Triumphe feierte, und an Selma
Wörishöfer, die so herrliche Geschichten für Iungen zu
schreiben wußte. Freilich, daß ste Selma hieß, verschwieg
sie klug und trat nur als S. Wörishöfer vor ihre jugend-
lichen Leser, die gewiß alle auf einen stattlichen, in kühnen
Abenteuern und gewaltigen Reisen erfahrenen Siegfried
rieten. —
Lätte Tante Lauras Wohnung schon eine elektrische
Lichtanlage gehabt, dann hätten wir nun zweifellos eine
private Leitung heimlich abgezweigt und sie um etivas
Elektrizitüt bestohlen. Der einfachste Weg, ein paar Kerzen
zu kaufen und im Schlafzimmer zu brennen, wenn die wach-
same Tante sich zur Nuhe begeben hatte, war aus dem
— „Der junge Treuherz redet heute wieder nur vom
Wetter zu unserer Olga."
— „Ia, es ist ein Iammer, daß er nicht in den Krieg hat
mit müssen, — da hätte er mehr Entschlossenheit bekommen."
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Dann ist es still, die Qual ist überstanden.
!lnd von Lerrn Ratschke ist nichts mehr vorhanden.
C A. Lennig
Die Illuminationskerzen Vo» P-ier Rovinson
Die Geschichte ist jetzt schon lange her. Anno 1889,
zu Kaisers Geburtstag passterte sie, an dem es damals
hoch herging.
Wir waren in Pension bei unserer Tante Laura, mein
Vetter Walter und ich die wir damals in die Tertia gingen,
wo wir eine Menge zu lernen halten, denn die Aeberbür-
dung der Schuljugend war zu jener Zeit noch nicht erfun-
den worden. Tante Laura freilich sprach schon davon und
erklärte oft genug: „Iungens, das ist ja geradezu schreck-
lich, was ihr über den Büchern sttzen müßt. Ieden Abend
bis um zehn oder gar elf. Und man merkt nicht einmal,
daß ihr besonders gescheiter werdet. Eine Sünde und
Schande ist es, das teure Petroleum verbrennen zumüfsenl"—
Ia, dieser Aerger um das teure Petroleum beschäftigte
Tante Laura wohl mehr als irgend welche Sorge um unsere
Entlastung von ungebührlicher Arbeit. Denn sie war spar-
sam von Nalur und gegen alle unnützen Ausgaben. !lnd
Petroleum war gewiß eine ganz unnütze Aus-
gabe. Zur Beleuchtung ist die Sonne da,
und wenn sie nicht da ist, dann hat man zu
schlafen. Das ist vernünftig, weil es natur-
gemäß ist. Die Tiere machen es auch so, die
Lühner, die Schweine, die Schafe usw. And
diejenigen Tiere, die es nicht so machen, son-
dern in der Nacht umherstrolchen, sind eben
auf solche Lebensweise eingerichtet, aber Pe-
troleum brauchen sie nicht.
„Das geht so nicht weiter I" erklärte Tante
Laura eines Tages, als sie auf ihrer Rechnung
bei Krämer Priebe einen besonders hohen
Posten für das lichtspendende Erdöl verzeich-
net fand. Sie ging herum und klagte ihr
Leid. Bei allen Bekannten erkundigte ste stch.
Ob denn das wirklich und wahrhaftig nötig
wäre, daß Iungen von dreizehn Iahren sich
so anstrengen müßten? Sie bekam einige Aus-
künfte, schüttelte den Kopf und kam mit einem
energischen Entschluß nach Lause. „Das wird
jetzt anders!" sprach sie machtvoll. „Was
andere können, werdet ihr doch auch fertig
bringen. Andere Iungens aus eurer Klasse
arbeiten überhaupt nicht mehr nach dem Abend- MüNgel
brot. Bis um halb neun dürft ihr bei den
Büchern sitzen. Dann könnt ihr euch noch
etwas beschäftigen, denn gleich von der Arbeit
fort ins Bett zu gehn, ift nicht gesund. Aber punkt neun
Ahr liegt ihr in den Federn. Dies e'ende Ochsen, wie
ihr es ganz richtig nennt, hört jetzt aus. Wenn ihr so
dämlich seid, ist es eure Schuld. Dann müßt ihr Schuster
oder Schneider werden."
Schuster oder Schneider werden zu müssen, wird Gym-
nasiasten häufig angedroht. Aber es geht dieser Drohung
wie so vielen anderen, leichtsinnig abgegebenen: sie ersüllt
sich sehr selten. Weder Vetter Walter noch ich sind Schuster
oder Schneider geworden. Es mag schade darum sein;
vielleicht wären wir Koryphäen in einem dieser Fächer ge-
worden. Tante Lauras Worte machten auch nicht den ge-
ringsten Eindruck auf uns, desto mehr aber ihre Taien.
Denn ste machte Ernst, und um neun Ahr holte sie jetzt
jeden Abend aus unseim Schlafzimmer die Kerze heraus.
Sie durfte nur brennen, während wir uns auszogen. und
eine Woche mindestens mußte ste vorhalten. Das war
nun eine niederträchtige Geschichte. Aus war es mit den
schönen Abendstunden bei Tante Lauras Petroleum, das
mildes Licht gegossen hatte über die Bücher, aus denen
wir nach Tantes frommem Glauben Weisheit und Be-
lehrung für das Leben schöpften. Näher angesehen hatte
sie diese Bücher niemals. Vielleicht hätten ste ihr gefallen;
vielleicht hätte auck sie Geschmack gefunden an Karl May,
der damals seine frischen Triumphe feierte, und an Selma
Wörishöfer, die so herrliche Geschichten für Iungen zu
schreiben wußte. Freilich, daß ste Selma hieß, verschwieg
sie klug und trat nur als S. Wörishöfer vor ihre jugend-
lichen Leser, die gewiß alle auf einen stattlichen, in kühnen
Abenteuern und gewaltigen Reisen erfahrenen Siegfried
rieten. —
Lätte Tante Lauras Wohnung schon eine elektrische
Lichtanlage gehabt, dann hätten wir nun zweifellos eine
private Leitung heimlich abgezweigt und sie um etivas
Elektrizitüt bestohlen. Der einfachste Weg, ein paar Kerzen
zu kaufen und im Schlafzimmer zu brennen, wenn die wach-
same Tante sich zur Nuhe begeben hatte, war aus dem
— „Der junge Treuherz redet heute wieder nur vom
Wetter zu unserer Olga."
— „Ia, es ist ein Iammer, daß er nicht in den Krieg hat
mit müssen, — da hätte er mehr Entschlossenheit bekommen."