54 Meggendorfer-Blätter, München
Gänzlich veraltet V°n Pet°r R°bins°»
Als unsere brave Dienstmagd Karoline vor einem
Iahre frisch vom Lande zu uns zog, brachte sie natür-
lich auch ein Traumbuch mit. Das benutzte sie tüchtig,
denn sie träumte fleißig Wild gewordener Bulle, umge-
schüttete Milch, Feuers- und Wasiersnot, ausgefallene
Zähne, Sturz vom Wagen, Begegnung mit Betrunkenen,
— das waren so die gebräuchlichsten Gegenstände ihrer
Träume, In jedem Fall gab das Traumbuch gewissenhaft
Auskunft. Llebrigens: ausgefalleneZähnesind das Schlimmste,
was einem träumen kann. Danach tut man am besten, sich
gleich begraben zu lassen; alle Loffnung auf irdisches Glück
ist dahin.
Vor einem halben Iahre nun entdeckte Karoline die
Genüsse des Kino, und seine mannigfachen Reize und unbe-
streitbaren Vorzüge nahmen ste bald gefangen. An jedem
Ausgehtag ging sie ins Kinothcater. Aber in der letzten
Gegenseitig
— „Warum grüßen Sie mich immer so freundlich, wir
kennen uns doch gar nicht?"
— „Ia, warum danken Sie denn immer so freundlich?"
Einladend
Gast: „Ihre Stiefel scheinen mit Tran geschmiert zu
sein, Kellner?"
Kellner: „Nee, das ist der Salat, der so riechtl"
Kennzeichen
Frau: „And warst du auch im Auskunflsbureau, wegen
des Verehrers unserer Tochter? And wie steht es mit ihm?"
Gatte: „Ich denke ganz gut; vorrätig hatten sie ihn nicht."
— „Daß Papa dir gar nicht erlauben wollte, mitzugehen."
— „Das ist nur Aerger, daß er siebzig zu jung war und jetzt zu alt ist."
Zeit ist in ihr Wesen eine
merkwürdige Ansicherheit
und Zerfahrenheit ge-
kommen; ganz steuerlos
scheint ihr Lebensschiff
lein dahin zu treiben.
Gestern fanden wir sie
in Tränen; vor ihr lag
das Traumbuch, dessen
Seitcn schon ganz durch-
feuchtet waren. Aengst
lich erkundigtcn wir uns,
was es denn Schreckliches
gäbe. Da jammerte
Karoline:
„Ach Gott, ich träume
so allcrhand Sachen, und
ich weiß gar nicht. was
sie bedeuten. Neulich
hab' ich von einem Aero-
plan (Karoline sagte
natürlich „äroplan") ge
träumt, und dann von
einem Automobil, das
einen Eisenbahnzug ein-
holen wollte. Ia, und
dann bin ich einmal auf
einem Telephondraht ent-
lang gelaufen, ganz hoch
in der Luft. And die
letzte Nacht, ach Gott,
da hat mir geträumt,
mein Bräutigam hatte
faliches Papiergeld ge-
macht, und da rückten
wir beide vor der Polizei
aus, und unter der Erde
sind wir gelaufen, in einer
ganz dicken Röhre von
der Klanision oder wie
das heißt. Und nun
möcht' ich doch wissen, ob
das was Gutes bedeu-
tet oder was Schlechtes.
Aber es steht nichts davon
in meinem Traumbuch,
aber auch rein gar nichts."
Copyright 1915 by I. F. Schrciber
Gänzlich veraltet V°n Pet°r R°bins°»
Als unsere brave Dienstmagd Karoline vor einem
Iahre frisch vom Lande zu uns zog, brachte sie natür-
lich auch ein Traumbuch mit. Das benutzte sie tüchtig,
denn sie träumte fleißig Wild gewordener Bulle, umge-
schüttete Milch, Feuers- und Wasiersnot, ausgefallene
Zähne, Sturz vom Wagen, Begegnung mit Betrunkenen,
— das waren so die gebräuchlichsten Gegenstände ihrer
Träume, In jedem Fall gab das Traumbuch gewissenhaft
Auskunft. Llebrigens: ausgefalleneZähnesind das Schlimmste,
was einem träumen kann. Danach tut man am besten, sich
gleich begraben zu lassen; alle Loffnung auf irdisches Glück
ist dahin.
Vor einem halben Iahre nun entdeckte Karoline die
Genüsse des Kino, und seine mannigfachen Reize und unbe-
streitbaren Vorzüge nahmen ste bald gefangen. An jedem
Ausgehtag ging sie ins Kinothcater. Aber in der letzten
Gegenseitig
— „Warum grüßen Sie mich immer so freundlich, wir
kennen uns doch gar nicht?"
— „Ia, warum danken Sie denn immer so freundlich?"
Einladend
Gast: „Ihre Stiefel scheinen mit Tran geschmiert zu
sein, Kellner?"
Kellner: „Nee, das ist der Salat, der so riechtl"
Kennzeichen
Frau: „And warst du auch im Auskunflsbureau, wegen
des Verehrers unserer Tochter? And wie steht es mit ihm?"
Gatte: „Ich denke ganz gut; vorrätig hatten sie ihn nicht."
— „Daß Papa dir gar nicht erlauben wollte, mitzugehen."
— „Das ist nur Aerger, daß er siebzig zu jung war und jetzt zu alt ist."
Zeit ist in ihr Wesen eine
merkwürdige Ansicherheit
und Zerfahrenheit ge-
kommen; ganz steuerlos
scheint ihr Lebensschiff
lein dahin zu treiben.
Gestern fanden wir sie
in Tränen; vor ihr lag
das Traumbuch, dessen
Seitcn schon ganz durch-
feuchtet waren. Aengst
lich erkundigtcn wir uns,
was es denn Schreckliches
gäbe. Da jammerte
Karoline:
„Ach Gott, ich träume
so allcrhand Sachen, und
ich weiß gar nicht. was
sie bedeuten. Neulich
hab' ich von einem Aero-
plan (Karoline sagte
natürlich „äroplan") ge
träumt, und dann von
einem Automobil, das
einen Eisenbahnzug ein-
holen wollte. Ia, und
dann bin ich einmal auf
einem Telephondraht ent-
lang gelaufen, ganz hoch
in der Luft. And die
letzte Nacht, ach Gott,
da hat mir geträumt,
mein Bräutigam hatte
faliches Papiergeld ge-
macht, und da rückten
wir beide vor der Polizei
aus, und unter der Erde
sind wir gelaufen, in einer
ganz dicken Röhre von
der Klanision oder wie
das heißt. Und nun
möcht' ich doch wissen, ob
das was Gutes bedeu-
tet oder was Schlechtes.
Aber es steht nichts davon
in meinem Traumbuch,
aber auch rein gar nichts."
Copyright 1915 by I. F. Schrciber