Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Zeitschrift für Humor und Kunst

91

Die Patriotin

Kerr Taucher mit der Klammer

an dem Tafelklavier aus Kirschbaumholz.das Ludwig Taucher
zur Lochzeit hatte ins Laus stellen lafsen, Liedchen ihres
alten Programms trällerte und alle Weihnachten sich einen
französischen Roman schenken ließ, den sie dann im Laufe
des Iahres mit Mühe bewältigte.

Einmal hatte sie versucht, diese mehr theoretische Vor-
liebe für das Französische in die Praxis zu übertragen.
aber das war ihr nicht gelungen. Sie wollte ihren einzigen
Sohn auf einen französischen Vornamen taufen laffen —
Armand oder Raoul. „Unsinn." sagte der Gatte, „der Junge
heißt Ludwig." Dagegen war nicht aufzukommen. Karoline,
in diesem Fall mehr die einstige Claire, hatte sich zu helfen
gesucht, indem sie für Ludwig das ihr schöner klingende
Louis gewissermaßen als Koseform einzuschmuggeln ge
dachte. Da aber war Ludwig der Aeltere sogar grob ge-
worden. „Donnerwetter, Louis war doch ein scheußlich
gemeiner Name. Ein Louis, — pfui Deiwel! — man wußte
doch, wen die Leute in Berlin so zu nennen pflegten." Dagegen
war auch nicht aufzukommen. So legte denn vie Mutter den
„Louis" in den Schrein ihrer Olsirs äe la Loso Empfindungen.

Später schuf es ihr einigen Schmerz, daß Ludwig, der
heimliche Louis, in der Schule nichts so miserabel lernen
wollte, wie gerade das Französische. Sie versuchte zu helfen.

Aber damit war es nun gar nichts. Denn es ist eine
andere Sache, ein Iahr hindurch einen einzigen französischen
Noman, und den auch nur flüchtig, zu lesen odcr zweimal
die Woche ein französisches Ererzitium zu korrigieren. Sie
brachte noch mehr Fehler hinein, als Ludwig schon ver-
brochen hatte, und statt einer Vier bekam er dann eine
Fünf. Da ließ sie es bleiben. Als Ludwig sechzehn Iahre
alt wurde, kam er in die väterliche Werkstatt. Drei Iahre
später hieß es dann: der Iunge muß auch einmal die Nase
hinausstecken. Da erwachte in Mutter Karoline zum lehten-
mal 6Ieire äe lu lkoss. „Rach Paris muß er," sagte sie;
„nur dort kann sich ein Goldschmied den wirklich feinen Ge-
schmack aneignen." — „Unsinn!" erklärte der Vatcr, und Lud
wig der Iüngere wurde nach Pforzhcim geschickt, und zwei
Iahre später kam er zurück, für die ernste Seite des Lebens
ausgerüstet mit allen notwendigen Kenntnissen seines Beruss
und für die heitere mit einer anerkennenswerten Leistungs-
fähigkeit in Bezug auf den Genuß edlerer Biere. Karoline
Taucher seufzte dazu; das schien ihr so ganz und gar un-
französisch. Aber besonders stark ans Kerz rührte ihr das
doch nicht mehr, dazu war im Lauf der Iahre Oluire äs I» Loso
allzu sehr verblaßt. Sie las auch keine französischen Romane
mehr, und an das Tafelklavier ging sie kaum noch heran.

1890 starb Ludwig Taucber der Aeltere, und der Sohn
 
Annotationen