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138 Meggendorfer-Blätter, München

— „Klärchen, kannst du mir die feststehenden Feiertage
aufzählen

— „Mein Geburtstag."

Die Lindenburgstratze

und ümgegend" stets sehr genau zu lesen und viel auf
dessen Ratschläge zu geben, denn er war sehr bestrebt, sich
das Wohlwollen der Bürgerschaft, deren Sympathien in
nicht geringem Grade von der Meinung der Zeitung ge-
lenkt wurden, zu erhalten und womöglich in noch reicherem
Maße als bisher zu erwerben. Im nächsten Iahre nämlich
lief seine Amtszeit ab, und er wußte nicht genau — das
war ihm ein peinliches Gefühl — ob sie ihn auch wirklich
wieder wählen würden. Auf acht Iahre war er gewählt
worden. In den ersten vier Iahren hatte er den „Be-
obachter und Anzeiger" nicht so genau gelesen und sich nicht
so sehr um das Wohlwollen der Bevölkerung bekümmert.
Er war sogar ein recht harter Lerr gewesen. Mit der
Zeit aber war er dann, wie ein Sahnenkäse, immer weicher
geworden. Es war aber auch wieder ein Gegensatz zum
Käse dabei, denn der Äerr Bürgermeister war
nicht schärfer, sondern milder geworden.

Also, Äerr Bürgermeister Zobel las jene
Notiz über die allgemeine Bewegung, die sich
unter der Bürgerschaft geltend machte. Drei-
mal las er sie, und jedesmal seufzte er danach.

Lerr Zobel sah sich nämlich einer großen Schwie-
rigkeit gegenüber, einer so großen, wie sie ihm
noch nie vorgekommen war, seit er die Geschicke
Pusterbergs lenkte.

Der „Beobachter und Anzeiger" hatte sehr
Anrecht, das Oberhaupt der Stadt in so augen-
fälliger und seiner Wertschätzung seitens der
Bürgerschaftwenig dienlicher Weise zu mahnen.

Die Wahrheit zu sagen: Bürgermeister Zobel
hatte schon längst daran gedacht, daß Puster-
berg dem Generalfeldmarschall eine bescheidene
Ehrung darbringen und eine Straße nach ihm
benennen müßte. Lerr Zobel war, wie auf
ein Kolumbusei, sosort auf diesen Gedanken
gestoßen, als er zum erstenmal vernommen hatte,
daß eine deutsche Stadt sich eine Lindenburg-
straße angeschafft hatte. Welche Stadt mag
übrigens wohl damit den Anfang gemacht ha-
ben? Augenblicklich läßt sich das nicht feststellen.

Alle in Betracht kommenden Städte können das vielleicht
später miteinander ausmachen. Wahrscheinlich werden sie sich
dann mächtig darum zanken, und das wird recht lustig sein.

Bürgermeister Zobel hatte also gleich zu sich gesagt:
Äalt! Das machen wir auch. Pusterberg soll auch eine
Lindenburgstraße habenl Das können wir uns leisten. Denn
auch Pusterberg hat Straßen.

Kaum war er aber so wcit in seinen Aeberlegungen
gekommen, als sein innerer Iubel jäh nachließ. Zum Donner-
wetter, welche Straße sollte es sein, die umgetauft würde?
— Ia, da liegt der Lauptpunkt! sagte sich der Lerr Bürger-
meister. Das war nicht ganz richtig ausgedrückt. Denn
ein Punkt liegt nicht und steht auch nicht; er ist ja nur
etwas Imaginäres. Das bedachte Lerr Zobel aber nicht,
denn er war kein Mathematiker, sondern Iurist. Die Iu-
risterei aber hat viele Punkte, darunter auch Kostenpunkte,
und sie sind nichts Imaginäres. O nein, im Gegenteil!
Pusterberg hatte Straßen. Gewiß. Es hätte freilich nvch
mehr haben können, das hätte ihm nichts geschadet. Dem
Lerrn Bürgermeister wäre das gegenwärtig sogar sehr will-
kommen gewesen. Denn das eben war seine Verlegenheit:
er wußte keine Straße, die er ohne weiteres dem Stadt-
verordnetenkollegium zur Amtaufe hätte vorschlagen können.

Zunächst war doch zu bedenken, daß doch nur eine
bessere, dieser Auszeichnung wirklich würdige Straße nach
dem Generalfeldmarschall benannt weiden durfte. Man
konnte doch nicht der aufhorchenden Welt verkünden, daß
man etwa die Schusterstraße oder den Katergang in Linden-
burgstraße umgetauft habe. Noch schlimmer wäre das beim
Dungwinkel und beim Ochsenweg gewesen. Die Kraut-
straße, die Sandstraße, die Rosenstraße und einige andere
mit ähnlich unauffälligen Namen konnten auch nicht in
Frage kommen, weil es ganz einsame Gäßchen waren, ohne
jeden Durchgangsverkehr.

Nachdem Lerr Bürgermeister Zobel so mit sorgfältigem
Ueberlegen ausgesiebt hatte, blieben ihm nur fünf Straßen
übrig, deren Charakter die beabsichtigte Neutaufe zuge
laflen hätte. Aber zwei davon schieden von vornherein
wieder aus. Das waren die Friedrichstraße und die Wil-

Ach so! — „And dieses kleine Kerlchen da, der holt

dir schon das Bier aus dem Gasthause?"
— „Ia, ich hab' extra einen Maßkrug mit
zwei Lenkeln machen lassen!"
 
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