Zeitschrift für Humor und Kunst 139
Die Lindenburgstraße
helmstraße. Die mußten natürlich, bei
allem Respekt vor dem »errn General-
feldmarschall von Lindenburg, ihre al-
ten Namen behalten. Denn die Frie-
drichstraße, die älteste Straße von Pus-
terberg, hieß so nach Friedrich dem
Großen. Sie durfte also nicht umgetauft
werden. Das hätte sich iogar der L>err
von Lindenburg wahrscheinlich ver-
beten. Und die Wilhelmstraße, — na,
das ging natürlich auch nicht.
Nun blieben noch übrig die Zem-
pelburgerstraße, der Grllne Weg und
die Breitestraße, alle drei gleichwertige
und so schöne Straßen, wie man sie
in Pusterberg überhaupt finden konnte.
Keine hatte einen Vorzug vor den
anderen; ganz beliebig konnte man
unter ihnen wählen. Aber eben darin,
daß man wählen konnte, lag die große
Schwierigkeit. Daß Wählen oft eine
gewiffe unangenehme Kraftanstren-
gung des Geistes erfordert, sagt ja
schon der Volksmund, der seit alters-
her große Geschwätzigkeit entfaltet.
Bürgermeister Zobel war ein
weitstchtiger Mann. Er wußte genau,
daß die meisten Leute die an der durch
Pusterberg gehenden Bewegung An-
teil nahme», ebenso wie er selbst nur
an die Zempelburgerstraße,den Grünen
Weg und die Breitestraße dachten. An-
genommen nun, die Zempelburgerstraße
würde den Sieg davon tragen, dann
würden die auf dem Grünen Weg und
in der Breitenstraße wohnenden Leute
darüber empört sein. And genau so
empört sein würden in den beiden an°
dern denkbaren Fällen die Bewohner
der beiden dann ausgeschiedenen
Straßen.
Gegen wen aber würde sich die
Empörung richten? Doch zumeist gegen
ihn, gegen den Bürgermeister Albert
Zobel. Der aber hatte, wie ein Zar,
alle Veranlassung, eine Empörung nicht
emporkeimen zu laffen, Wegen des bevorstehenden Ablaufs
seiner Amtszeit nämlich und seiner Äoffnungen auf eine
Wiederwahl. Das heißt, — dieser Grund galt nur für den
Bürgermeister. Ein Zar hat natürlich andere Gründe, denn
ein Zar wird bekanntlich nicht gewählt. Wenn Zaren ge-
wählt würden, dann wäre — — — — Doch das gehört
nicht hierher.
Jn der Zempelburgerstraße — Nummer 3 übrigens,
falls jemand wegen einer Auskunft in strategischen Dingen
an ihn zu schreiben wünscht — wohnte Lerr Lauptmann a. D.
Philipp Danneboom, der miliiärische Mitarbeiter des „All-
gemeinen Beobachter und gemeinnützigen Anzeigers für
Pusterberg und Amgegend". Der war natürlich schon felsen-
sest davon überzeugt, daß nur die Zempelburgerstraße zur
Lindenburgstraße werden könnte. Wenn er sich in dieser
selsenfesten Aeberzeugung getäuscht sehn würde, — o, wie
würde er dann den Bürgermeister aufs heftigste angreifen!
Im „Allgemeinen Beobachter und gemeinnützigen Anzeiger",
Srimulation
— „Wenn ich in Stimmung kommen will, muß ich entweder rauchen oder einen
Kognak trinken."
— „Da mache ich's einfacher. Ich lege einfach ein Postanweisungssormular
neben mich, und dann fließen mir die Verse nur so aus der Feder."
dessen Spalten ihm jederzeit offen standen. Schon weil er
sie ganz umsonst füllte.
Auf dem Grünen Weg aber besaß der Nentner Groschke
vier Läuser, in deren schönstem er selbst wohnte. Groschke
war der reichste Mann von Pusterberg und von gewaltigem
Einfluß, trotzdem er nicht für die Zeitung schrieb. Es ist
übrigens eine große Seltenheir, daß ein Mann Einfluß hat,
der nicht für die Zeitung schreibt.
!lnd nun die Breitestraße? Ach Gott, in der hatte der
Stadtverordnete Mühlbanz sein Quartier, und wenn Bürger-
meister Zobel an den dachte, mußte er immer schnell einen
Schnaps trinken. Mühlbanz war nämlich der Fllhrer der
Opposition. Außerdem hatte er eine Tochter, die mit einem
Affessor verlobt war, und das Brautpaar wollte heiraten,
sobald der Assessor eine angenehme Stellung erwischt hätte.
Am liebsten, so hieß es, wollte er Vürgcrmeister werden.
Aeberhaupt: die Stadtverordneten! Die meisten von
ihnen wohnten in der Zempelburgerstraße. auf dem Grünen
Die Lindenburgstraße
helmstraße. Die mußten natürlich, bei
allem Respekt vor dem »errn General-
feldmarschall von Lindenburg, ihre al-
ten Namen behalten. Denn die Frie-
drichstraße, die älteste Straße von Pus-
terberg, hieß so nach Friedrich dem
Großen. Sie durfte also nicht umgetauft
werden. Das hätte sich iogar der L>err
von Lindenburg wahrscheinlich ver-
beten. Und die Wilhelmstraße, — na,
das ging natürlich auch nicht.
Nun blieben noch übrig die Zem-
pelburgerstraße, der Grllne Weg und
die Breitestraße, alle drei gleichwertige
und so schöne Straßen, wie man sie
in Pusterberg überhaupt finden konnte.
Keine hatte einen Vorzug vor den
anderen; ganz beliebig konnte man
unter ihnen wählen. Aber eben darin,
daß man wählen konnte, lag die große
Schwierigkeit. Daß Wählen oft eine
gewiffe unangenehme Kraftanstren-
gung des Geistes erfordert, sagt ja
schon der Volksmund, der seit alters-
her große Geschwätzigkeit entfaltet.
Bürgermeister Zobel war ein
weitstchtiger Mann. Er wußte genau,
daß die meisten Leute die an der durch
Pusterberg gehenden Bewegung An-
teil nahme», ebenso wie er selbst nur
an die Zempelburgerstraße,den Grünen
Weg und die Breitestraße dachten. An-
genommen nun, die Zempelburgerstraße
würde den Sieg davon tragen, dann
würden die auf dem Grünen Weg und
in der Breitenstraße wohnenden Leute
darüber empört sein. And genau so
empört sein würden in den beiden an°
dern denkbaren Fällen die Bewohner
der beiden dann ausgeschiedenen
Straßen.
Gegen wen aber würde sich die
Empörung richten? Doch zumeist gegen
ihn, gegen den Bürgermeister Albert
Zobel. Der aber hatte, wie ein Zar,
alle Veranlassung, eine Empörung nicht
emporkeimen zu laffen, Wegen des bevorstehenden Ablaufs
seiner Amtszeit nämlich und seiner Äoffnungen auf eine
Wiederwahl. Das heißt, — dieser Grund galt nur für den
Bürgermeister. Ein Zar hat natürlich andere Gründe, denn
ein Zar wird bekanntlich nicht gewählt. Wenn Zaren ge-
wählt würden, dann wäre — — — — Doch das gehört
nicht hierher.
Jn der Zempelburgerstraße — Nummer 3 übrigens,
falls jemand wegen einer Auskunft in strategischen Dingen
an ihn zu schreiben wünscht — wohnte Lerr Lauptmann a. D.
Philipp Danneboom, der miliiärische Mitarbeiter des „All-
gemeinen Beobachter und gemeinnützigen Anzeigers für
Pusterberg und Amgegend". Der war natürlich schon felsen-
sest davon überzeugt, daß nur die Zempelburgerstraße zur
Lindenburgstraße werden könnte. Wenn er sich in dieser
selsenfesten Aeberzeugung getäuscht sehn würde, — o, wie
würde er dann den Bürgermeister aufs heftigste angreifen!
Im „Allgemeinen Beobachter und gemeinnützigen Anzeiger",
Srimulation
— „Wenn ich in Stimmung kommen will, muß ich entweder rauchen oder einen
Kognak trinken."
— „Da mache ich's einfacher. Ich lege einfach ein Postanweisungssormular
neben mich, und dann fließen mir die Verse nur so aus der Feder."
dessen Spalten ihm jederzeit offen standen. Schon weil er
sie ganz umsonst füllte.
Auf dem Grünen Weg aber besaß der Nentner Groschke
vier Läuser, in deren schönstem er selbst wohnte. Groschke
war der reichste Mann von Pusterberg und von gewaltigem
Einfluß, trotzdem er nicht für die Zeitung schrieb. Es ist
übrigens eine große Seltenheir, daß ein Mann Einfluß hat,
der nicht für die Zeitung schreibt.
!lnd nun die Breitestraße? Ach Gott, in der hatte der
Stadtverordnete Mühlbanz sein Quartier, und wenn Bürger-
meister Zobel an den dachte, mußte er immer schnell einen
Schnaps trinken. Mühlbanz war nämlich der Fllhrer der
Opposition. Außerdem hatte er eine Tochter, die mit einem
Affessor verlobt war, und das Brautpaar wollte heiraten,
sobald der Assessor eine angenehme Stellung erwischt hätte.
Am liebsten, so hieß es, wollte er Vürgcrmeister werden.
Aeberhaupt: die Stadtverordneten! Die meisten von
ihnen wohnten in der Zempelburgerstraße. auf dem Grünen