Zeitschrift für Humor und Kunst
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Dle langcn Losen
hatte sich die Sache schließlich noch ansehn lassen, aber seit-
dem das Griechische dazu gekommen war, — pfui Deiwel!
Ietzt war die beste Gelegenheit, den ganzen Krempel los-
zuwerden; er zog in den Krieg.
Spät am Abend ging Paul Schlichtegroll mit dem
langen Meißner — sie wohnten Tür an Tür — vom Markt-
platz, wo der größte Lärm gewesen war, nach Äause, Der
lange Meißner hatte sich eine Zigarre angesteckt. Er hätte
mal sehn wollen, wer ihn jeht daran hindern konnte. Para-
graph fünf der Schulordnung, — pah, er pfiff darauf, er,
der Kriegsfreiwillige Gustav Meißner. „Morgen früh melde
ich mich," sagte er; „die werden eine Freude haben, wenn
ste so einen Kerl sehen."
Paul Schlichtegroll schämte sich ein wenig, den sicheren
Meißner mit einer Frage zu belästigen. „Kann ich mit
dir gehn? Wo meldest du dich?"
Derlange Meißner gestattete gnädig, daß Paul Schlichte-
groll den Weg mit ihm zusammen machte. Seinen Plan
hatte er schon sertig. In dcr größeren Nachbarstadt wollte
er sich melden. Lier am Ort wäre sein Alter zu bekannt,
und der würde sich am Ende auf die Linterbeine stellen
und ihn nicht so ohne weiteres fort lassen wollen. Freilich,
deffen Genehmigung mußte er ja wobl nachweisen können,
aber wenn er sich erst einmal mit Erfolg vorgestellt hätte,
würde sich die Sache schon machen. Gut drei Stunden
sehr scharfen Marsches waren es, deshalb sollte es früh
gegen halb steben losgehen. Also abgemacht!
Abgemacht! sagte Paul Schlichtegroll und war froh,
der Sorge um die Förmlichkeiten der Meldung und deren
Ort und Stelle enthoben zu sein. Es war spät, und er
war recht müde, aber bevor er sich ins Bett legte, machte
er noch eine Mertelstunde Muskelübungen. Er war sonst
nie sehr fürs Turnen gewesen und hatte schwächliche Arme.
Aber ein wenig half's vielleicht doch bis morgen. And
dann nahm er schnell noch einmal seine „Weltgeschichte in
Amrissen für den Schulgebrauch" vor und las die Ansprache
Friedrichs des Großen an seine Generale vor der Schlacht
bei Leuthen. „-Meine Widerwärtigkeiten würden
aufs höchste gestiegen sein, setzte ich nicht ein unbegrenztes
Vertrauen in den Mut, die Standhaftigkeit und die Vater-
landsliebe, welche Sie bei so vielen Gelegenheiten bewiesen
haben." — Ia, darauf kam es nun einmal wieder an.
Der lange Meißner hatte für den weiten Marsch seinen
Sportanzug angezogen. Paul Schlichtegroll war das sehr
angenehm. Es beruhigte ihn wegen seines eigenen Anzuges.
Denn leider mußte er noch immer kurze Losen tragen. Tante
Kolbe war noch nicht zu bewegen gewesen, ihre Einwilligung
zu langen Losen zu geben. „Die kosten mehr Stoff," er-
klärte sie, „und du hast es wahrhaftig nötig, an Sparsam-
keit zu denken."
Gewiß, es war eigentlich peinlich, in kurzen Losen als
Kriegsfreiwilliger anzutreten. Aber nun hatte glücklicher-
weise der lange Meißner seinen Sportanzug an, und so
würden sie auch den Anzug Paul Schlichtegrolls als einen
solchen ansehn. Ganz sicher. Also nur Mut und recht un-
verzagt!
Ach Gott, der gute Paul Schlichtegroll hatte vergebens
gehofft. Sie lachten ihn aus, wenn auch sehr freundlich,
recht väterlich und beinahe ein bißchen gerührt. „Nein,
mein lieber Iunge, wir können dich wahrhaftig nicht ge-
brauchen. Geh' nur wieder nach Lause. Du hast ja über-
haupt noch kurze Losen."
So sprachen sie zu ihm. Mit dem langen Meißner
Das kleine Trinkgeld
aber war es eine ganz andere Sache. Der wurde mit Sie
angeredet — und im Gymnasium saß er doch eine ganze
Klasse tiefer —, und von kurzen Losen war gar nicht die
Rede. Freilich, die kurzen Losen, die bei Paul Schlichte-
groll ein Nachteil waren, brachten Meißner noch eher einen
Vorteil, — da sah man doch vor jeder Antersuchung, was
für stramme Wadenmuskeln der Kerl hatte. Gewiß, man
würde ihn einstellen. Wie wäre es mit der väterlichen Ein-
willigung? Der alte Lerr wäre etwas abgeneigt. Ach was,
gut zureden würde man ihm; freuen sollte er sich, daß er
solch einen Kerl von Sohn hatte. Punktum; der lange
Meißner war so gut wie eingestellt.
Lerablaffend klopfte er Paul Schlichtegroll auf die
Schulter. „Na, Mensch, es geht wirklich nicht. Ich hab's
mir gleich gedacht."
In Paul Schlichtegroll stieg in diesem Augenblick der
Verdacht auf, dcr lange Meißner hätte ihn nur mitgenom-
men, um recht vorteilhaft neben ihm abzustechen und desto
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Dle langcn Losen
hatte sich die Sache schließlich noch ansehn lassen, aber seit-
dem das Griechische dazu gekommen war, — pfui Deiwel!
Ietzt war die beste Gelegenheit, den ganzen Krempel los-
zuwerden; er zog in den Krieg.
Spät am Abend ging Paul Schlichtegroll mit dem
langen Meißner — sie wohnten Tür an Tür — vom Markt-
platz, wo der größte Lärm gewesen war, nach Äause, Der
lange Meißner hatte sich eine Zigarre angesteckt. Er hätte
mal sehn wollen, wer ihn jeht daran hindern konnte. Para-
graph fünf der Schulordnung, — pah, er pfiff darauf, er,
der Kriegsfreiwillige Gustav Meißner. „Morgen früh melde
ich mich," sagte er; „die werden eine Freude haben, wenn
ste so einen Kerl sehen."
Paul Schlichtegroll schämte sich ein wenig, den sicheren
Meißner mit einer Frage zu belästigen. „Kann ich mit
dir gehn? Wo meldest du dich?"
Derlange Meißner gestattete gnädig, daß Paul Schlichte-
groll den Weg mit ihm zusammen machte. Seinen Plan
hatte er schon sertig. In dcr größeren Nachbarstadt wollte
er sich melden. Lier am Ort wäre sein Alter zu bekannt,
und der würde sich am Ende auf die Linterbeine stellen
und ihn nicht so ohne weiteres fort lassen wollen. Freilich,
deffen Genehmigung mußte er ja wobl nachweisen können,
aber wenn er sich erst einmal mit Erfolg vorgestellt hätte,
würde sich die Sache schon machen. Gut drei Stunden
sehr scharfen Marsches waren es, deshalb sollte es früh
gegen halb steben losgehen. Also abgemacht!
Abgemacht! sagte Paul Schlichtegroll und war froh,
der Sorge um die Förmlichkeiten der Meldung und deren
Ort und Stelle enthoben zu sein. Es war spät, und er
war recht müde, aber bevor er sich ins Bett legte, machte
er noch eine Mertelstunde Muskelübungen. Er war sonst
nie sehr fürs Turnen gewesen und hatte schwächliche Arme.
Aber ein wenig half's vielleicht doch bis morgen. And
dann nahm er schnell noch einmal seine „Weltgeschichte in
Amrissen für den Schulgebrauch" vor und las die Ansprache
Friedrichs des Großen an seine Generale vor der Schlacht
bei Leuthen. „-Meine Widerwärtigkeiten würden
aufs höchste gestiegen sein, setzte ich nicht ein unbegrenztes
Vertrauen in den Mut, die Standhaftigkeit und die Vater-
landsliebe, welche Sie bei so vielen Gelegenheiten bewiesen
haben." — Ia, darauf kam es nun einmal wieder an.
Der lange Meißner hatte für den weiten Marsch seinen
Sportanzug angezogen. Paul Schlichtegroll war das sehr
angenehm. Es beruhigte ihn wegen seines eigenen Anzuges.
Denn leider mußte er noch immer kurze Losen tragen. Tante
Kolbe war noch nicht zu bewegen gewesen, ihre Einwilligung
zu langen Losen zu geben. „Die kosten mehr Stoff," er-
klärte sie, „und du hast es wahrhaftig nötig, an Sparsam-
keit zu denken."
Gewiß, es war eigentlich peinlich, in kurzen Losen als
Kriegsfreiwilliger anzutreten. Aber nun hatte glücklicher-
weise der lange Meißner seinen Sportanzug an, und so
würden sie auch den Anzug Paul Schlichtegrolls als einen
solchen ansehn. Ganz sicher. Also nur Mut und recht un-
verzagt!
Ach Gott, der gute Paul Schlichtegroll hatte vergebens
gehofft. Sie lachten ihn aus, wenn auch sehr freundlich,
recht väterlich und beinahe ein bißchen gerührt. „Nein,
mein lieber Iunge, wir können dich wahrhaftig nicht ge-
brauchen. Geh' nur wieder nach Lause. Du hast ja über-
haupt noch kurze Losen."
So sprachen sie zu ihm. Mit dem langen Meißner
Das kleine Trinkgeld
aber war es eine ganz andere Sache. Der wurde mit Sie
angeredet — und im Gymnasium saß er doch eine ganze
Klasse tiefer —, und von kurzen Losen war gar nicht die
Rede. Freilich, die kurzen Losen, die bei Paul Schlichte-
groll ein Nachteil waren, brachten Meißner noch eher einen
Vorteil, — da sah man doch vor jeder Antersuchung, was
für stramme Wadenmuskeln der Kerl hatte. Gewiß, man
würde ihn einstellen. Wie wäre es mit der väterlichen Ein-
willigung? Der alte Lerr wäre etwas abgeneigt. Ach was,
gut zureden würde man ihm; freuen sollte er sich, daß er
solch einen Kerl von Sohn hatte. Punktum; der lange
Meißner war so gut wie eingestellt.
Lerablaffend klopfte er Paul Schlichtegroll auf die
Schulter. „Na, Mensch, es geht wirklich nicht. Ich hab's
mir gleich gedacht."
In Paul Schlichtegroll stieg in diesem Augenblick der
Verdacht auf, dcr lange Meißner hätte ihn nur mitgenom-
men, um recht vorteilhaft neben ihm abzustechen und desto