Zeitschrift für Humor und Kunst 107
Falsche Taktik
Profitlich " „Der A'aver muß doch bei jeder Gelegenheit seine Postkarte schreiben.'
— „Natürlich, wo's doch nichts kostet."
ganz sanft. „Wenn du jeht an-
sängst, dich zu mästen, wird es
dein eigener Schade sein. Dann
wirst du sicher Soldat werdeu
müssen. Wenn du aber bleibst,
wie du bist, werden sie dich laufen
lassen. Also: wenn du durchaus
Lust hast, in die Kaserne zu
kommen, — bitte sehr, mein
Iunge!"
Donnerwetter, die Mutter
hatte recht. Nein, Marcel hatte
durchaus keine Lust, rote Losen
anzuziehn. Da hätte er beinahe
eine schöne Dummheit angestellt.
Nun, das eine Mal schadete ja
nichts, aber künftig wollte er klug
sein. O, so leicht sollten sie ihn
nicht zu fassen bekommen! Die
paar Iahre wollte er sich noch
recht zusammennehmen. Nachher,
wenn das Vaterland mit großem
Bedauern auf seine Dienste hatle
verzichten müssen, konnte er sich
ja um so mehr entschädigen. Sein
Magen hatte so lange auf gute
Tage gewartet. daß er es auch
noch etwas länger aushalten
konnte.
And Marcel Piscot lebte
weiter, wie es der Mutter wohl-
gefällig war. Er aß wenig, er
machte alle Wege zu Fuß, er
wuchs noch etwas und wurde
noch magerer. Zufrieden und hoffnungsvoll stellte er von
Zeit zu Zeit fest, daß sein Brustumfang wahrhaftig gar
zu sehr unter dem geringsten erforderlichen Maß war und
das Wenige, was er an Muskelfleisch besaß, für die tüchtige
Landhabung eines Gewehrs und die Last soldatischen
Gepäcks zweisellos nicht ausreichte. Aber eine ganz aus-
gezcichnete Konstitution mußte er doch wohl haben, daß
keine zehrende Krankheit sich
auf dem so vorbereiteten
Boden niederließ.
Im Iahre 1911 mußte
Marcel Piscot stch stellen.
Die Musterungskommission
schaute ihn traurig an, aber
sie suchte sich mit der Loff-
nung zu trösten, daß der
körperliche Zustand des so
jehr schwächlichen jungen
Mannes stch vielleicht doch
noch bessern würde. Marcel
Piscot wurde auf ein Iahr
zurückgestellt. 1912 mußte
er wieder ein Bad nehmen
und noch einmal zeigen, was
an ihm war. Das war im
letzten Iahr noch weniger
geworden, denn er hatte in
diesen zwölf Monaten natür-
lich alle Kräfte zusammen-
genommen, so schwächlich
wie möglich zu werden. Die Musterungskommission schüttelte
bedauernd die Köpfe. Nein, dieser Marcel Piscot war
wirklich nicht zu gebrauchen. Er konnte gehn, Frankreich
rief ihn nicht.
Sowie die französische Republik diesen Verzicht aus-
gesprochen hatte, stürzte Marcel — allerdings erst, nachdem
er sich wieder angekleidet hatte — zum nächsten Bouillon
Duval. Diesmal betrug die
Rechnung vier Francs fünf-
unddreißig Ccntimes. And
wenn auch, — das war ihm
gerade recht! Ietzt konnten
sie ihm nichts mehr tun;
jetzt wollte er es daraus an-
legen, ein strammer, forscher
junger Mann zu werden.
Wenn die Mutter ihre geizige
Wirtschaft fortsetzen wollte,
würde er sich seine eigene
Läuslichkeit einrichten. Er
hatte es jetzt dazu. Bei
Monsieur Bertrand war er
inzwischen zu einem ganz
ansehnlichen Posten auf-
gerückt. Ietzt, da er militär-
frei geworden, bekam er sogar
eine nicht unansehnliche Zu-
lage. Denn der Prinzipal
schätzte die militärfreien An-
gestellten. Sie konnten keinen
— „Dös hat mir mei Mutter a net an der
Wiege gsunga, daß mir heut so schlecht geht."
— „San Sie aus ara bessern Familie?"
— „Na, aber mei Mutter war taubstumm."
Falsche Taktik
Profitlich " „Der A'aver muß doch bei jeder Gelegenheit seine Postkarte schreiben.'
— „Natürlich, wo's doch nichts kostet."
ganz sanft. „Wenn du jeht an-
sängst, dich zu mästen, wird es
dein eigener Schade sein. Dann
wirst du sicher Soldat werdeu
müssen. Wenn du aber bleibst,
wie du bist, werden sie dich laufen
lassen. Also: wenn du durchaus
Lust hast, in die Kaserne zu
kommen, — bitte sehr, mein
Iunge!"
Donnerwetter, die Mutter
hatte recht. Nein, Marcel hatte
durchaus keine Lust, rote Losen
anzuziehn. Da hätte er beinahe
eine schöne Dummheit angestellt.
Nun, das eine Mal schadete ja
nichts, aber künftig wollte er klug
sein. O, so leicht sollten sie ihn
nicht zu fassen bekommen! Die
paar Iahre wollte er sich noch
recht zusammennehmen. Nachher,
wenn das Vaterland mit großem
Bedauern auf seine Dienste hatle
verzichten müssen, konnte er sich
ja um so mehr entschädigen. Sein
Magen hatte so lange auf gute
Tage gewartet. daß er es auch
noch etwas länger aushalten
konnte.
And Marcel Piscot lebte
weiter, wie es der Mutter wohl-
gefällig war. Er aß wenig, er
machte alle Wege zu Fuß, er
wuchs noch etwas und wurde
noch magerer. Zufrieden und hoffnungsvoll stellte er von
Zeit zu Zeit fest, daß sein Brustumfang wahrhaftig gar
zu sehr unter dem geringsten erforderlichen Maß war und
das Wenige, was er an Muskelfleisch besaß, für die tüchtige
Landhabung eines Gewehrs und die Last soldatischen
Gepäcks zweisellos nicht ausreichte. Aber eine ganz aus-
gezcichnete Konstitution mußte er doch wohl haben, daß
keine zehrende Krankheit sich
auf dem so vorbereiteten
Boden niederließ.
Im Iahre 1911 mußte
Marcel Piscot stch stellen.
Die Musterungskommission
schaute ihn traurig an, aber
sie suchte sich mit der Loff-
nung zu trösten, daß der
körperliche Zustand des so
jehr schwächlichen jungen
Mannes stch vielleicht doch
noch bessern würde. Marcel
Piscot wurde auf ein Iahr
zurückgestellt. 1912 mußte
er wieder ein Bad nehmen
und noch einmal zeigen, was
an ihm war. Das war im
letzten Iahr noch weniger
geworden, denn er hatte in
diesen zwölf Monaten natür-
lich alle Kräfte zusammen-
genommen, so schwächlich
wie möglich zu werden. Die Musterungskommission schüttelte
bedauernd die Köpfe. Nein, dieser Marcel Piscot war
wirklich nicht zu gebrauchen. Er konnte gehn, Frankreich
rief ihn nicht.
Sowie die französische Republik diesen Verzicht aus-
gesprochen hatte, stürzte Marcel — allerdings erst, nachdem
er sich wieder angekleidet hatte — zum nächsten Bouillon
Duval. Diesmal betrug die
Rechnung vier Francs fünf-
unddreißig Ccntimes. And
wenn auch, — das war ihm
gerade recht! Ietzt konnten
sie ihm nichts mehr tun;
jetzt wollte er es daraus an-
legen, ein strammer, forscher
junger Mann zu werden.
Wenn die Mutter ihre geizige
Wirtschaft fortsetzen wollte,
würde er sich seine eigene
Läuslichkeit einrichten. Er
hatte es jetzt dazu. Bei
Monsieur Bertrand war er
inzwischen zu einem ganz
ansehnlichen Posten auf-
gerückt. Ietzt, da er militär-
frei geworden, bekam er sogar
eine nicht unansehnliche Zu-
lage. Denn der Prinzipal
schätzte die militärfreien An-
gestellten. Sie konnten keinen
— „Dös hat mir mei Mutter a net an der
Wiege gsunga, daß mir heut so schlecht geht."
— „San Sie aus ara bessern Familie?"
— „Na, aber mei Mutter war taubstumm."