Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
136 Meggendorfer-Blätter, München

— „Sie kennen doch den Lerrn Müller auch, Lerr Federl?'

— „Nicht genauer. Wir treffen einander nur immer auf dem Büroweg."

Edwards Stellvertreter V»n Peier Robinson

.Ein Brieff Sir Edward!" kündigte der Diener an,
der faule, immer ein wenig grinsende Lümmel Dennis, der
nur deshalb nicht fchon lange hinausgeschmissen worden
war, weil er sich fo ausgezeichnet auf das Aufbügeln der
Anzüge seines Lerrn verstand. Es war eigentlich nicht
nötig, dah er den Brief
noch besonders anzeigte,
da er ihn im gleichen
Augenblick ja schon dar-
reichte, aber es geschah
wohl. weil Briefe etwas
so Seltenes im Laufe
waren. Der Lerr er-
ledigte seine Beziehungen
zur Außenwelt meistens
mündlich, weil ihm das
bequdmer war.

„Sir Edward," —
das stimmte eigentlich
nicht. Es war nur ein
ganz gewöhnlicher Sir,
ohne Linzufügung des
Vornamens, wie es dem
Baronet gebührt, ein
ganz simpler Edward
Nesbitt, ein Bürgerlicher,
der zudem nur ein ge
ringes, in ständiger
Schrumpfung dem grau-
enhaften Nichts sich

näherndes Vermögen besaß. Aber aus Löslich-
keit und Politik nannte man ihn allgemein
Sir Edward. Denn eines Tages, früher oder
später, würde Edward Nesbitt den großen
Sprung aus die Leiter der Nobility machen
und sogar feinen Sitz im Oberhause der Ver-
einigten Königreiche einnehmen. Das war
totstcher, und zwar buchstäblich totsicher, da
dieser erfreuliche Wechsel in der irdischen
Stellung Mister Nesbitts nur noch vom Tode
des jetzt neunundsiebzigjährigen Lord Leitrim
abhing.

Lord Leitrim war ein Nesbitt. Im Iahre
I6Ü5 hatte Iakob I, die Streitschrifien gegen
den Teufel verfassende und daneben großartige
Schulden aufhäufende Majestät, einen seiner
Gläubiger, Ionas Nesbitt, zum britischen
Lord erhoben. Die Legende behauptet, daß
dem neuen Lord of Leitrim das Diplom mit
der königlichen Anterschrift ausgehändigt
wurde gegen Rückgabe einer auf etliche tausend
Pfund lautenden, gleichfalls mit der königlichen
Anterschrift versehenen Arkunde, — Zug um
Zug. wie das manchmal bei Geschäften üblich ist.

Ionas Nesbitt, Lord of Leitrim, hatte
sieben Söhne, von denen der älteste ihm auf
der Löhe der Lordschaft folgte, während die
andern sechs in der Ebene der Bürgerlichkeit
verharren mußten. Ihre zahlreichen Nach-
kommen fchenkten in den folgenden Genera-
tionen dem englischen Vaterland Vertreter
aller Berufsarten: Kaufleute, Reverends,
Bierbrauer, Fabrikanten, Seeleute, Politiker
und auch gewöhnliche Straßenräuber, — wie es die Wogen
der Schicksale bestimmten. Manche hatten viel, manche
wenig und manche gar kein Geld.

So alle hundert Iahre war immer ein Lord of
Leitrim ohne direkten Nachkommen dahingegangen, und
dann hatte jeweils der auf dem weitverzweigten Baume der

Nesbitts dem Laupt-
stamm am nächsten Sit-
zende die Erbschaft auf
Leitrim Castle angetreten,
— ein aus dem großen
englischen Volksbottich zu
der dünnen Rahmschicht
der Aristokratie empor-
gestiegenes Sahnentröpf-
chen. And jetzt, im Iahre
1915, hatte Edward Nes-
bitt die Anwartschaft, der
Sohn des Etahlwaren-
fabrikanten William
Nesbitt.

Edward Nesbitt hatte.
mit der sicheren Ausstcht
auf Leitrim Castle, die
Lordschast und die folche
bevorzugte Stellung stüt-
zenden gewaltigen Geld-
säcke natürlich nie etwas
in seinem Leben getan.
Mit dreiundzwanzig Iah-
ren hatte er zunächst ein

!1msah — „Du hast vier Rabattmarken ausge-

geben — was war für ein Käufer da?"
— „Nachbar Schulzes Magd hat vier
Briefmarken geholts"
 
Annotationen