Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Meggendorfer-Blätter, München

Äre ^tnndl^nf^ten (8äfte Von Peter Nobinson

Seit zehn Iahren betrieb Monsieur Petitpierre das
,Äotel Washington" in der Avenue de Wagram, ein stilles
Laus, das vorzüglich für gut bemittelte Dauergaste ein-
gerichtet war. Da die beliebtesten solcher Gäste in Paris
die Amerikaner sind, hatte Monsieur Petitpierre seine Lu-
xusherberge aus den Namen Washingtons getauft. Er ent-
sann sich nämlich dunkel aus seiner Schulzeit, daß Washing-
ton ein bedeutender und bei seinen Landsleuten außerordent-
lich beliebter Amerikaner gewesen sei. Genaueres wußte er
freilich nicht, denn der Geschichtsunterricht in seiner Schule
hatte sich eigentlich doch nur mit Frankreich besaßt und

dessen gewaltige einstige, herrliche gegenwärtige und über
alle Maßen erhabene zukünftige Größe behandelt. Aber
das hatte Monsieur Petitpierre später als Oberkellner sich
gemerkt, daß die Amerikaner großen Nespekt vor dem Namen
Washington hatten. Vielleicht war er ein großer Geschäfts-
manir gewesen, ein Trustmagnat oder dergleichen, denn solche
Leute haben ja in Amerika den meisten Einfluß. Aebrigens
war das Monsieur Petitpierre ganz egal; er ließ das Schild
anfertigen, hing es an sein Äaus, und damit war die Sache
für ihn erledigt. Es kommt ja auch anderwärts vor, daß
Geschäftsleute Schilder aushängen, ohne sich Nechenschaft
ablegen zu können von dem, was darauf steht. Oder sagen
wir lieber: es ist anderwärts früher vorgekommen. In-
zwischen hat sich das geändert. Äoffen wir, daß diese Aender-
ung von Dauer sein wird.

Es kann uns ja ganz gleichgültig sein, ob ein so un-
gebildeter Mensch wie dieser Monsieur Petitpierre gute
Geschäfte machle, aber um es doch zu erwähnen: das „Äotel
Washington" ging vortrefflich. Es ging sogar glänzend,
wie die Leute sagen, was aber eigentlich eine sonderbare
Redensart ist. Man kann schnell oder langsam gehn, gerade
oder krumm und so weiter, — aber glänzend? Das klingt
doch recht merkwürdig und sollte einmal von einem tüchtigen
Sprachgelehrten untersucht werden. Den Schriftsteller geht
das nichts an; der braucht sich um die Sprache nicht so
genau zu bekümmern.

Also: das „Lotel Washington" war immer recht gut
besetzt. Im Lochsommer ließ der Besuch natürlich nach.
In der letzten Iuliwoche des Iahres 1914 standen sogar
ausnahmsweise viel Zimmer leer. Monsieur Petitpierre
war deshalb übler Laune, und was er in seinen Zeitungen
las, war nicht geeignet, ihn in bessere Stimmung zu bringen.
Freilich: auch in gewöhnlichen Zeitläuften kann man vom
Zeitunglesen in sehr schlechte Laune geraten. Aber diesmal
schien die Zeit etwas ungewöhnlich werden zu wollen. Ver-
dammt noch mal, — wenn die Geschichte wirklich losging,
dann konnte er sein Laus wahrscheinlich für eine ganze
Weile zumachen. And wenn die Geschichte, nachdem sie
losgegangen war, auch noch schies ging. — na, er hatte ja
schließlich den Washington als Schutzpatron, der würde am
Ende respektiert werden, wenn Paris sogar unwillkommene
Besucher erhalten sollte.

Am Montag abend — das war der 27. Iuli, — so
gegen halb zehn Ahr, hielt endlich wieder einmal eine Droschke
vor dem „Äotel Washington." Monsieur Petitpierre freute
sich darüber, trotzdem es nur eine Pferdedroschke war. Wäre
es eine Autodroschke gewesen, dann hätte er sich mehr ge-
freut. Das Gepäck auf dem Dach des Wagens konnte
zwar keine besonderen Loffnungen erwecken: ein Weiden-
korb und drei Pappschachteln. Solch Gepäck liebte Monsieur
Petitpierre eigentlich nicht. Er zog Behälter aus solidem
Leder vor, und am liebsten sah er Krokodilleder. Gäste mit
Krokodillederkoffern haben 5ootelrechnungen gegenüber meist
eine genau so harte Laut wie es das Fell ihrer Gepäck-
stücke ist.

Die Leute, die aus der Droschke stiegen, entfprachen
ihrem Gepäck. Die Taxe, die sie an den Kutscher zu zahlen
hatten, bewies Monsieur Petitpierre, daß sie vom Lyoner
Bahnhof kommen mußten. Ach du lieber Gott, — Lands-
leute aus dem Süden! Das waren jene Gäste, die sich
Monsieur Petitpierre am allerwenigsten wünschte; sie paßten
meistens sehr schlecht in sein Etablissement. Aber in der
Not srißt der Teufel Fliegen, und in der toten Saisorr kann
der Wirt eines Pariser Lotels ersten Ranges auch einmal
Landsleute aus der Provence aufnehmen.





^ j»,

'derhj,,
 
Annotationen