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Kriegschronik der Meggendorfer°Blätter, München


Vor der Schlacht — „Soll ich Lerrn General den

Degen oder den Schirm anhängen?"
— „Natürlich den Schirm, siehst du
nicht, daß der Frosch unten siht?"

England muß sein Geld zusammenhalten

Mister Sowerbeer hatte in den „Times" einen Artikel
gelesen, der ihn — was nicht bei allen Zeitungsartikeln
der Fall ist — zu tiefem Nachdenken veränlaßte. Das
war ja eine verfluchte, eine ganz ekelhafte Geschichte!
Ieden Tag gab das englische Volk eine ganze Million
Pfund Sterling an das Ausland hin für Dinge des Ueber-
flusses, des Luxus der Prasserei! Dreihundertfünfundsechzig
Millionen Pfund Sterling wurden so alljährlich aus dem
Lande hinausgejagt! And jetzt kam Mister Asquith und
sagte dem Volke: So geht das nicht weiter! Sparen sollt
ihr, und wenn ihr schon etwas kauft. dann laßt euer Geld
wenigstens in britischen Kaffen bleiben. Sonst um's Äimmels
willen, geraten unsere Finanzen in einen geradezu blöd-
sinnigen Verfall.

Mister Sowerbeer war bestürzt. Wahrhaftig, so durfte
das nicht weiter gehn. Ein schlechter Brite, wer jetzt nicht
auf Mister Asquith' ernste Mahnung hörte! Er, Mister
Sowerbeer, aber war ein braver Brite, sein Geld sollte im
Lande bleiben, auf dieser vortrefflichen Insel, die so leicht
von keinem Feinde zu erreichen war, — mit der bedauer-
lichen Ausnahme des Luftweges. Llnd zur Bekräftigung
dieses löblichen Entschlusses leerte er ein ganzes Glas Claret
und stopfte sich dann eine frische Pseife mit seinem Lieb-
lingstabak, — ^in68t 8UN eureä Vii-oinja. Bei Claret und
Virginiatabak verbrachte Mister Sowerbeer regelmäßig
seine Abende; jetzt war es neun Ahr, und er hatte zwei
Flaschen und sechs Pfeifen hinter sich.

Da trat Mistreß Sowerbeer ins Zimmer. „Ich brauche
zwanzig Pfund, lieber Iohn. Gib sie mir lieber gleich
jetzt, — morgen früh hast du es doch wieder so eilig, und
am Morgen bist du auch immer übler Laune, wenn du
Geld geben sollst."

Der Richtigkeit dieser nicht nur auf ihn selbst, sondern
auf die meisten Männer zutreffenden Bemerkung konnte
sich Mister Sowerbeer nicht entziehen; er holte sein Check-
buch und seinen Füllhalter hervor. „Du brauchst ein neues
Kleid, nicht wahr? LLnd wahrscheinlich auch einen Äut."

„Mistreß Äopkins war am letzten Sonntag mit einem
neuen Grauseidenen in der Kirche," erzählte Mistreß Sower-
beer. „Ich muß ein Schwarzseidenes haben — sonst kann
ich mich nicht mehr in der Kirche sehn lassen."

Mister Sowerbeer, der seinen Füllhalter hatte
aufschrauben wollen, hielt damit inne. „Erlaube mir
ein ernstes Wort, meine Liebe. Schaffe dir ein Tuch°
kleid an, — wir fabrizieren in Lancaster die herr°
lichsten Stoffe. Mister Asquith hat an das britische
Volk appelliert, das Geld nicht an das Ausland zu
verschwenden. Seide kommt im Nohstoff aus China,
und das fertige Fabrikat erhalten wir aus Frankreich.
Wenn wir in England Seidenwürmer und Seiden-
fabriken haben werden, dann, aber auch erst dann
bin ich herzlich gern bereit, dir jede Woche ein
seidenes Kleid zu kaufen. Oder sagen wir jeden
Monat."

„Sehr wohl, lieber Iohn " sagte Mistreß Sower-
beer nachgiebig. „Einen neuen Äut, wie du ganz
richtig geraten hast, brauche ich auch; ich dachte an
einen Florentiner."

Mister Sowerbeer räusperte sich energisch. „Du
scheinst mich noch nicht richtig verstanden zu haben,
meine Liebe. Einen Florentiner? Es ist wahr, in
der Gegend von Florenz, namentlich in Fiesole wer-
den recht kleidsame Lüte geflochten, aber es wäre
ein Verbrechen an der Finanzwirtschaft Britanniens,
unser gutes Geld dorthin wandern zu laffen. Geh'
nach Oxfordstreet zu Lineoln Bennet, wo ich meine Äüte
kaufe; er hat auch ganz vortreffliche Filzhüte für Damen.
Kaufe dir meinelwegen gleich zwei davon."

„Sehr wohl, lieber Iohn," sagte Mistreß Sowerbeer
nachgiebig. „Ich werde zwar mit solch einem Filzhut aus-
sehn wie eine Suffragette, aber das macht nichts. DLe
Äauptsache ist, daß englisches Geld in England bleibt."

And bei diesen letzten Worten nahm Mistreß Sowerbeer
ihrem Gatten die dritte Flasche Claret fort, die er eben
hatte entkorken wollen. Sie nahm sie in die rechte Äand,
in die linke aber die Dose mit dem guten Virginiatabak
und fchickte sich an, mit beiden Gegenständen das Zimmer
zu verlaffen.

„Äallo, meine Liebe," rief Mister Sowerbeer erstaunt,
„was soll das? Es ist ja noch nicht zehn Ahr; ich will noch
ein Fläschchen trinken, und ein paar Pfeifen will ich auch
noch rauchen."

„Ich habe auch nichts dagegen, lieber Iohn," sagte
Mistreß Sowerbeer nachgiebig. „In der Küche muß noch
etwas Gin für die Dienstboten fein; den werde ich dir
bringen und eine Karaffe Wasser dazu."

„Erlaube mal, — Kartoffelschnaps mag ich doch nicht."

„Er hat aber den Vorzug, daß er in England hergestellt
ist. Claret aber kommt doch aus Frankreich. Wenn wir
erst in England Notwein keltern werden, kannst du davon
soviel trinken, wie du willst. Aber deinen Virginiatabak
wirst du dir abgewöhnen müffen; der kommt aus den Ver-
einigten Staaten, und dahin geht doch gerade jeht schon
genug Geld für Munition. Du mußt deine Pfeife schon
mit in England gewachsenem Kraut füllen."

„Du weißt doch, daß man bei uns nicht einmal als
Zierpflanzen im Garten Tabak ziehn darf, — wegen der
Steuer."

„Das macht doch nichts^ lieber Iohn," entgegnete Mistreß
Sowerbeer sehr sanft. „Wir haben doch Kastanien- und
Kirschblätter. Geh' dir nur gleich morgen welche Pflücken.
Für heute abend werde ich dir aus der Matrahe der Köchin
etwas Seegras rupfen." —

Da schraubte Mister Sowerbeer seinen Füllhalter auf.
„Also laff' den Tabak und den Claret hier und kaufe dir
dein seidenes Kleid und den Florentiner Lut. Die Sache

ist doch nicht so verdammt einfach, wie Mister Asauitb
sie sich denk:." ^
 
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