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Zeitschrift für Humor und Kunst v»v»v^vvvvvv?v. 107

Von Peter Nobinson

5)err Rentner Böhme hat schon schrecklich viel zu tun gehabt,
seit Krieg ist. Er merzt nämlich aus, — alles Fremdländische
will er ausrotten helfen, das sich in unser gutes Deutschland ein-
geschlichen hat, und das ihm als wackeren Patrioten ein Greuel
ist. Wenigstens seit Krieg ift. In den ersten Augusttagen 1914
nahm er sechs Pfund ab, weil er durch alle Stcaßen laufen mußte,
nachzuschauen, ob irgendwo ein Schild mit einer englischen oder
französischen Vokabel übrig geblieben war. Am 20. August hat
er sogar einen alten Kimono seiner Gattin zerrißen, den sie als
Morgenrock benutzte. Das war zwar — im Kinblick auf die Em-
pfindungen der Gattin — ein recht gewagtes Anternehmen, aber
Lerr Böhme war auch zu wütend gewesen. Aus Enttäuschung,
denn vorher hatte er den Kimono mit besonderem Wohlwollen
betrachtet. Da hatte er nämlich angenommen, die Iapaner würden
gegen die Russen gehn.

Nachher kamen die Fremdwörter heran, die Mode oder viel-
mehr die Tracht, denn Mode ist ja auch ein Fremdwort, und vor
allem die scharfe Kontrolle — verdammt noch mal! natürlich nicht
die scharfe Kontrolle sondern die scharfe Lleberwachung von Be-
kannten und Nachbarn, ob Gesinnungen und Lebensführung auch
nicht gegen die Forderungen der großen Zeit verstießen. Vor
einem Monat hat Lerr Böhme mit seinem besten Freunde, dem
Zahnarzt Preislich für immer gebrochen, weil der noch nicht auf-
gehört hat, sich mit einem Gilletteapparat zu rasieren. Der Gillette-
apparat aber ist doch amerikanisches Fabrikat, und die Amerikaner,
— na, der Teufel soll sie holen! — —

Gestern nun sah ich Lerrn Böhme aus einem Kaffeehause
herauskommen, in das, wie er mir früher einmal erklärt hatte,
ein anständiger Bürger nicht gehn dürfte. Es ist nämlich ein
Künstlerkaffee, aber die Künstler, die dort verkehren oder vielmehr
seßhaft sind, können eigentlich, wie man so sagt, nur als „an-
gehende" bezeichnet werden. Das ist aber bei vielen von ihnen
auch das einzige, was angeht. Es sind recht schlimme darunter.

Daß Lerr Böhme aus diesem Lokal herauskam, war also recht
merkwürdig, noch merkwürdiger aber, daß er einen jungen Mann
bei sich hatte, der augenscheinlich einer der Stammgäste jenes
Kaffees war. Einer von den ganz schlimmen, — mit wüster Mähne,
wenig gewaschenem Gesicht und
einer an vielen Stellen abge-
scheuerten und lederartig gewor-
denen Samtjacke. Äerr Böhme
hatte gerade nur Zeit, mir guten
Tag zu sagen, aber da er wohl
meinen verwunderten Blick be-
merkte, fügte er noch eilig hin-
zu: „Labe mir da eben jemand
besorgt, — eine Lilfskraft, wis-
sen Sie." — Das war vollends
das Merkwürdigste.

Äeute nun komme ich nach°
mittags zu Lerrn Böhme. Wer
siht da und rekelt sich in einem
von Lerrn Böhmes prächtigen
Sesseln? Wer schlürft eine Taffe
Kaffee? Wer raucht dabei eine
von Böhmes Importen? Der
junge Mann in der ehemaligen
Samtjacke, — der selbe, mit dem
Äerr Böhme gestern aus dem
Künstlerkaffee kam. Die Äilfs-
kraft. Die Fenster des Zimmers
stehen weit offen. Auf Äerrn
Böhmes Schreibtisch ist ein statt-

Ganz genau — „Leucht' ein wenig näher

zu, Urschel, damit ich kein Wasser net verschütt'."

licher Briefbogen zurecht gelegt, und der Federhalter
steckt schon im Tintenfaß.

Äerr Böhme stellt den jungen Mann vor: „Lerr
EdmundÄartmeier, Komponist und Musikstudierender."

„Seit wann interessieren Sie sich für Musik, Äerr
Böhme?" frage ich. Bisher ist das nämlich nicht der
Fall gewesen; er kennt keine Note, nicht die einsachste
Melodie, und wenn er pfeift, ist es nur nach seinem
Äunde."

„Pst, warten Sie!" sagt Äerr Böhme. „Gleich
fangt sie an. Von vier bis sechs ist ihre Zeit." Er
deutet über die Straße, wo gerade gegenüber auch
die Fenster offen sind. Dann sieht er mit gierigen

Augen auf den Briefbogen und
den Federhalter auf seinem
Schreibtisch.

Da wird drüben ein Klavier
angeschlagen, — tralalala—li—a.
Wie ein hungriges Raubtier
sieht Äerr Böhme auf Edmund
Äartmeier. Der schüttelt den
Kopf. „Mendelsohn," sagt er,
„Frühlingslied." Lerr Böhme
sinkt etwas zusammen.

Fünf Minuten verstreichen,
dann geht drüben etwas anderes
an: Wie so schön, wie so traut,
aber nur Musik, ohne die Worte.
Edmund Äartmeier ächzt: „Aus
Martha, — von Flotow!" und
will sich entrüstet die Ohren zu-
halten. Aber Kerr Böhme reißt
ihm die Äände herunter. „Nanu,"
schreit er, „Sie bekommen doch
drei Mark sür den Nachmittag."

Zehn Minuten dauert es,
bis „Martha" erledigt ist. Aber
dann klimpert es drüben auf ein-
mal gewaltig forsch los. Äerr

— „Äier, lieber Schwager, schenke ich dir ein kleines
Schlummerkiffen. Es ist ein seltenes Geschenk, denn
es ist mit Äaaren von meinem lieben Fido gestopft."

— „Na, Tante Laura, hoffentlich sind keine Flöhe
von dem Köter darin."
 
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