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Nr. 1288

Zeitschrift für Humor und Kunst

141

Tasteye

So schnell das Pferd war, so ausdauernd war es auch.
Es zeigte nie eine Spur von Erschöpfung, und einmal bin
ich vierzehn Tage und Nächte auf seinem Nücken geseffen,
ohne abzusteigen.

Ich könnte Ihnen nun noch hunderte der glänzendsten
Proben seiner Leistungssähigkeit geben, aber da würde ich
in vierzehn Tagen nicht fertig. Außerdem beschleicht mich
immer ein wehmütiges Gefühl, wenn ich an das edle Tier
denke. Denn ich sollte mich nur kurze Zeit seines Besitzes
erfreuen. Eines Tages kam ich nämlich nach New Orleans
und traf dort auf einen Wanderzirkus, der in einer Vor°
stadt eine offene Arena hielt. Neugierig ritt ich auf meinem
klugen Tasteye näher, um ein wenig zuzuschauen. Den Glanz-
punkt der Vorführungen bildete der sogenannte Spiral-
galopp, geritten von Mr. Kollaps auf einem südamerika-
nischen Ponny. Der Inhalt dieser Nummer war folgender:

Mr. Kollaps setzte auf dem äußeren Ninge ein und
ritt in elegantem Galopp nach dem Mittelpunkte der Spi-
rale zu. In demselben Maße, in dem er nach innen kam
und die Kurven immer schärfer wurden, steigerte sich auch
das Tempo seines Pferdes, sodaß man Roß und Reiter
kaum noch unterscheiden konnte. Im Mittelpunkte ange
kommen, stieg das Ponny auf die Linterbeine, dreht sich
nm seine eigene Achse und nahm dann die Amläufe der
Spirale wieder nach rückwärts. Es war eine schöne Leistung
und Tier und Mensch verdienten die Anerkennung, die
ihnen das Publikum willig und reichlich spendete. Freilich,
wenn ich dachte, wie ich auf memem Tasteye diesen Ritt
ausgeführt haben würde-?

Latte nun das ehrgeizige und kluge Tier ähnliche Ge-
danken gehabt, wie ich, oder stach es der Laser, genug, plötz-
lich fing es an zu schnauben, nahm einen kurzen Anlauf,
sehte mit einem sichern Sprunge über die Köpfe der Zu-
schauer — etwa zwanzig Meter in der Breite — hinweg
und landete stampfend in der Manege. Die Menge schrie

entsetzt auf, aber ehe sie noch Zeit hatte. den Vorgang recht
zu begreifen, flog auch mein Tasteye schon die Spirale entlang.

Aber meine Lerren, mit was für einer Bravour! Die
Leistung des Ponnys, so großartig sie gewesen waren,
stellte in Wirklichkeit nur ein Schneckentempo dar. Alles
um mich herum drehte sich wie im Wirbel, was nicht niet°
und nagelfest an uns war, riß sich los und wurde weit ab-
geschleudert. Das Publikum, das endlich begriffen hatte,
bei was sür einem ungeahnten Wettkampfe es hier Zeuge
wurde, schrie rasenden Beifall und feuerte dadurch das edle
Tier nur noch mehr an.

Immer enger und enger wurden nun die Ringe und
immer rapider die Geschwindigkeit. Mehr und mehr kamen
wir auf das Zentrum der Spirale zu, und damit steuerte
mein gutes Roß in sein Verhängnis. Die letzte Amdrehung
machte es noch in der denkbar schärfften Wendung, im
nächsten Augenblick lag es da, ein unentwirrbarer Laufen
von Knochen, Fleisch und Fell. Es hatte sich selbst zer-
quetscht. Wie durch ein Wunder entging ich dem gleichen
Schicksal indem ich im lehen Moment aus dem Sattel ge-
schleudert wurde.

So endete mein braves und einzigartiges Tier, und ich
vergoß Tränen über sein tragisches Geschick."

Mit atemloser Spannung und gläubigem Staunen hatte
die Stammtischrunde der Erzählung Mr. Kaylors gelauscht.
Sie machten Gesichter wie Knaben, denen man die Geschichte
von Aladins Wunderlampe erzählt hat und deren Wangen
im Eifer des Milerlebens purpurn glühen.

„Ia, ja," ergriff endlich der Landmesser zur Sache das
Wort, „es gibt gar merkwürdige Sachen auf der Welt.
Wer hätte nicht von dem berühmten ,Nih^ des Karl May
gelesen, und welcher Gymnasiast wußte nicht die Geschichte
von ,Buzephalus' und dem jungen Alexander. Auch sonst
weist die Geschichte eine ganze Anzahl denkwürdiger Bei-
spiele von Pferdetreue und Pferdeklugheit auf, ganz ab-
gesehen von den allerneuesten Entdeckungen auf dem Gebiete

^lr. 1288. 2. äbpl. 1915. Instzrtions^tzbübren 4^6spu!t. I^onpursille/eile i Narlc. /Uleinige InstzrLttzn-^nnablne boi k?Ul!oIs 1^0886) 1l1l10l1L6k1'^XP6lIiÜl)s1.

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