Die Eichel
Also, wie schon ge-
sagt, der Weg ist sehr
schön. Wenn man ihn
ungefähr zur Lälfte ge-
gangen ist, trifft man
auf eine prächtige alte
Eiche. Als wir, meine
Frau und ich, an diese
Eiche gelangten, lagen
darunter eine Menge
Eicheln, die vor ganz
kurzer Zeit erst herab-
gefallen sein mußten, so
glatt und sauber waren
sie noch. Es war ordent-
lich eine Freude, sie an-
zusehn.
„Nehmen wir ein
paar davon für die Kin-
der mit," schlug meine
Frau vor; „sie werden
ihnen Freude machen."
Damit war ich
durchaus einverstanden.
„Es sind ganz außer-
ordentlich gut geratene
Eicheln," stimmte ich bei.
„Sie werden die natur-
geschichtlichen Kennt-
niffe unserer Kinder be-
deutend erweitern, und
dann wird ihnen wohl
auch irgend etwas ein-
fallen, was sie damit
spielen können. Siewer-
den sehr zusrieden damit
sein, und so brauchen
wir ihnen heute gar
nichts anderes mitzu-
bringen. Wir haben es
ihnen nun einmal leider
angewöhnt, immer e(-
was mitgebracht zu be°
kommen. Das läuft mit
der Zeit ins Geld. Man
traut sich ja schließlich
gar nicht mehr, von Lau-
se fortzugehn, wenn man
nicht mit leeren Taschen zurückkommen darf. Diese Eicheln
aber sind glücklicherweise ganz umsonst zu haben. Ich weiß
zwar nicht, ob es erlaubt ist, sie ohne weiteres stch anzu-
eignen. Aber wem mag überhaupt der Baum gehören?
Vielleicht dem bayrischen Staat. Run, dem wird es ja
auf ein paar Eicheln nicht ankommen."
Inzwischen hatten wir jeder eine Manteltasche mit Ei-
cheln gefüllt. Ich bemerkte noch: „Es ist nur gut, daß vor
uns hier kein Schwein vorbeigekommen ist."
^ „Ach, jetzt gehen hier ja so wenig Leute," sagte meine
^rau darauf. Aber das war ein Mißverständnis. Ich hatte
selbstverständlich ein naturgeschichtliches Schwein gemeint,
das bekanntlich Eicheln als großen Leckerbissen betrachtet.
Dann gingen wir weiter, und in Ambach stiegen wir
wieder auf das Dampfschiff. Wir waren die einzigen Fahr-
gäste darauf. In Ammerland aber kamen noch drei durch
— „Na, ein paar neue Stiebeln wirst du dir wohl besorgen müffen."
— „Ia, — verdammte Geschichte, daß die Vogelscheuchen keine Stiebel anhaben."
Familienbande verkettete Menschen an Bord: ein Ehepaar
mit einem kleinen Iungen. Der Lerr überschritt den Lauf-
steg sehr ängstlich; er trug einen Kneifer mit blauen Glä-
sern und mußte wohl schwache Augen haben. Die Dame
hatte ein dickes Buch unter dem Arm, das zweifellos nicht
ihr, sondern einer Leihbibliothek gehörte. Es sah sehr abge-
griffen aus, ungefähr so, wie ein weitgewanderter Darlehens-
kassenschein. Ob es aber wenigstens irgend einen Wert
hatte, ließ sich nicht erkennen; der Titel war nicht ersichtlich.
Der Iunge, der nicht ganz drei Iahre alt sein mochte, hatte
ein dickes Mäntelchen an, das unten einen Knopf zu viel
hatte. Der Grund dieser Erscheinung war darin zu suchen,
daß dafür oben ein Knopfloch zu viel war. Da so kleine
Iungen sich ihre Mäntel nicht allein anzuziehen pflegen, fiel
höchstwahrscheinlich die mangelhafte Kongruenz der Knöpfe
und Knopflöcher einem der Eltern zur Last; vielleicht hatte
Also, wie schon ge-
sagt, der Weg ist sehr
schön. Wenn man ihn
ungefähr zur Lälfte ge-
gangen ist, trifft man
auf eine prächtige alte
Eiche. Als wir, meine
Frau und ich, an diese
Eiche gelangten, lagen
darunter eine Menge
Eicheln, die vor ganz
kurzer Zeit erst herab-
gefallen sein mußten, so
glatt und sauber waren
sie noch. Es war ordent-
lich eine Freude, sie an-
zusehn.
„Nehmen wir ein
paar davon für die Kin-
der mit," schlug meine
Frau vor; „sie werden
ihnen Freude machen."
Damit war ich
durchaus einverstanden.
„Es sind ganz außer-
ordentlich gut geratene
Eicheln," stimmte ich bei.
„Sie werden die natur-
geschichtlichen Kennt-
niffe unserer Kinder be-
deutend erweitern, und
dann wird ihnen wohl
auch irgend etwas ein-
fallen, was sie damit
spielen können. Siewer-
den sehr zusrieden damit
sein, und so brauchen
wir ihnen heute gar
nichts anderes mitzu-
bringen. Wir haben es
ihnen nun einmal leider
angewöhnt, immer e(-
was mitgebracht zu be°
kommen. Das läuft mit
der Zeit ins Geld. Man
traut sich ja schließlich
gar nicht mehr, von Lau-
se fortzugehn, wenn man
nicht mit leeren Taschen zurückkommen darf. Diese Eicheln
aber sind glücklicherweise ganz umsonst zu haben. Ich weiß
zwar nicht, ob es erlaubt ist, sie ohne weiteres stch anzu-
eignen. Aber wem mag überhaupt der Baum gehören?
Vielleicht dem bayrischen Staat. Run, dem wird es ja
auf ein paar Eicheln nicht ankommen."
Inzwischen hatten wir jeder eine Manteltasche mit Ei-
cheln gefüllt. Ich bemerkte noch: „Es ist nur gut, daß vor
uns hier kein Schwein vorbeigekommen ist."
^ „Ach, jetzt gehen hier ja so wenig Leute," sagte meine
^rau darauf. Aber das war ein Mißverständnis. Ich hatte
selbstverständlich ein naturgeschichtliches Schwein gemeint,
das bekanntlich Eicheln als großen Leckerbissen betrachtet.
Dann gingen wir weiter, und in Ambach stiegen wir
wieder auf das Dampfschiff. Wir waren die einzigen Fahr-
gäste darauf. In Ammerland aber kamen noch drei durch
— „Na, ein paar neue Stiebeln wirst du dir wohl besorgen müffen."
— „Ia, — verdammte Geschichte, daß die Vogelscheuchen keine Stiebel anhaben."
Familienbande verkettete Menschen an Bord: ein Ehepaar
mit einem kleinen Iungen. Der Lerr überschritt den Lauf-
steg sehr ängstlich; er trug einen Kneifer mit blauen Glä-
sern und mußte wohl schwache Augen haben. Die Dame
hatte ein dickes Buch unter dem Arm, das zweifellos nicht
ihr, sondern einer Leihbibliothek gehörte. Es sah sehr abge-
griffen aus, ungefähr so, wie ein weitgewanderter Darlehens-
kassenschein. Ob es aber wenigstens irgend einen Wert
hatte, ließ sich nicht erkennen; der Titel war nicht ersichtlich.
Der Iunge, der nicht ganz drei Iahre alt sein mochte, hatte
ein dickes Mäntelchen an, das unten einen Knopf zu viel
hatte. Der Grund dieser Erscheinung war darin zu suchen,
daß dafür oben ein Knopfloch zu viel war. Da so kleine
Iungen sich ihre Mäntel nicht allein anzuziehen pflegen, fiel
höchstwahrscheinlich die mangelhafte Kongruenz der Knöpfe
und Knopflöcher einem der Eltern zur Last; vielleicht hatte