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155

Zeitschrift für Humor und Kunst

Die Eichel

war ja auch sein gutes Recht. „Geh, Otto, spiele
ein bißchen," sagte die Mutter. „Aber laufe nicht
zu weit von uns fort, hörst du. Daß du mir ja nicht
ins Waffer fallst!"

Der Vater aber war ungeduldig. „Nun laff'
ihn doch schon, Oltilie," sagte er. „Immer gibt es mit
dem Iungen zu tun; wir kommen ja gar nicht vor-
wälts. Lies weiter!"

Darauf schlug die Dame das dicke Buch unge-
fähr in der MitLe auf und begann: An demselben
Tage, ungefähr zu der Stunde, wo Madame Dang-
lars die Anterredung im Kabinett des Staatsanwalts
hatte, lenkte eine Kalesche in die Rue du Lelder
ein, fuhr durch das Tor von Nr. 27 und hielt im
Lofe an. Nach einem Augenblick öffnete sich der
Kutschenschlag, und Frau von Morcerf stieg, gestützt
auf den Arm ihres Sohnes, aus. Kaum hatte Albert
seine Mutter in ihre Wohnung zurückgeleitet, als er
seine Pferde verlangte und sich nach den Champs-
Elysees zudem Grafen vonMonteChristo führenließ.—

So, nun war es klar: die Lerrschaften gaben sich
dem Genuß der Lektüre des Grafen von Monte Christo
hin. Die Dame las außerordentlich schnell. Vielleicht
war das Buch gegen tägliche Leihgebühr geborgt und
sollte deshalb rasch bewältigt werden. Freilrch lag
auch die Vermutung nahe, daß die unbestreitbare
Spannung, die das Werk des phantasievollen Mulatten Du-
mas bereitet, das Geschwindtempo veranlaßte. Der Gatte
hielt den Kopf gesenkt; sein rechtes Ohr trank die Worte
der Gattin förmlich von ihrem Munde.

Sie mußten schon den ganzen Tag so, der eine gelesen, der
andere zugehört haben, denn der Otto genannte Iunge schien
daran gewöhnt zu sein. Er sah erst eine Weile auf die
schnell sich bewegenden Lippen der Mutter. Da ihm aber
das Schicksal der tückischen Feinde des rächenden Grafen
von Monte Christo wohl völlig gleichgültig war, wandte er
sich ab und fing nun an, uns anzusehn, länger und nach-
drücklicher als seine Eltern. Das war begreiflich. Seine
Eltern kannte er schon, uns aber noch nicht. Wir schienen
ihm zu gefallen. Das war auch begreiflich. Er krähte uns
vergnügt an, wie um uns aufzumuntern: Na, wollt ihr mich
nicht ein bißchen unterhalten?

„Wir haben ja die Eicheln,"
meinte meine Frau; „ich werde
ihm ein paar geben."

Damit war ich einverstan-
den, aber mit einer Einschrän-
kung. „Eine genügt," meinte ich.

Denn ich wollte natürlich meine
Kinder nichtberauben. Die frem-
den Lerrschasten hätten für ihren
Iungen ja ebenso gut Eicheln
sammeln können. Aber nein, sie
hatten ihr eigenes Vergnügen
vorgezogen; sie hatten den Gra-
fen von Monte Christo gelesen.

Meine Frau holte eineEichel
aus der Tasche, eine sehr große,
schön gelblich-grüne und glän-
zende. Der Iunge griff gleich da-
nach. „Ah!" sagte er. Es war ein
langgezogenes, aber einzelnes a,
kein doppeltes. Glücklicherweise.

Er schien durch das Geschenk sehr

Moderne Kinder

— „Gretchen, warum willst du denn
deine Schulaufgaben nicht machen?'
„Ach, Mama, ich bin kulturmüde!"

angenehm berührt. Mißtrauisch sah er sich nach seiner Mutter
um, ob die ihn vielleicht in seinem Besitz zu stören gedächte.
Aber die Dame hatte überhaupt nichts gesehen: sie las gerade:
Monte Christo erbleichte und schaute Albert an, während er mit
prächtigen Pistolen spielte, deren Federn er rasch knacken ließ.

Otto war beruhigt. Von dort war keine Slörung zu
befürchten. Er begann, sich mit dem ihm gänzlich neuen
Gegenstand zu beschäftigen. Auf der Landfläche l^eß er die
Eichel rollen. Aber da war zu wenig Platz; das war kein
besonderes Vergnügen, auf dem Boden mußte das entschieden
beffer gehn. So ließ er die Eichel auf den nach der Bord-
seite zu ein wenig sich senkenden Planken langsam entlang
kullern, schaute ihr gespannt nach wie die Katze der Maus
und gnff sie dann wieder, um sie von neuem in Freiheit
zu setzen. Das war eine sehr vernünftige Beschäftigung.
So, wir hatten unsere Menschenpflicht an Otto erfüllt.

Ietzt brauchten wir nicht mehr
auf ihn zu achten und schauten
eine Zeitlang nach dem Afer
hinüber, wie man das immer tut,
wenn man auf dem Starnberger
See spazieren fährt. Dazu sind
ja seine !lfer da. Die Dame
neben uns aber las unaufhalt-
sam weiter, und das Ohr ihres
Gatten nahm gierig auf, was
ihm durch ihren Mund der alte
Dumas so fesselnd erzählre. Die
Dame las ausdrucksvoll, wie mit
verteilten Rollen. Gerade kam
es dumpf von ihren Lippen: Es
scheint mir, Sie schlagen nicht den
rechten Weg ein, um ihn zu töten,
bemerkte der Fremde, — da wur-
de meine Frau aus einmal sehr
blaß. Ich dachte erst, die pein-
Ober! Seit wann werden lichen Worte des „Fremden"

wären daran schlud, aber nein,—

Beschwerde

denn bei Ihnen die Rouladen mit Laaren gewickelt?"
 
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