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Zeitschrift für Humor und Kunst 187

Auf Nekognoszierung

— „Sechs Franzosen sitzen auf der Veranda und trinken Kaffee."

— „Dann wollen wir ihnen noch ein paar Bohnen dazu schicken."

Die Rasterklingen

Er machte ein so trauriges Gesichtz
daß ich doch auf die Sache einging, trotz-
dem mir seine Bartangelegenheiten ei-
gentlich ganz gleichgiltig sein konnten.

„Sind Sie denn mit Ihrem Apparat
nicht zusrieden?"

Er strich sich über die Backen. „Da
ist nicht zu klagen. Sehen Sie: glatt
wie eine Kinderwange oder die eines
jungen Mädchens, wenn der Vergleich
mir gestattet ist. Wenn man nur tüch-
tig einseift und keine zu verbrauchte
Klinge nimmt, — im Landumdrehn ist
die Geschichte erledigt. Gar keinen Aer-
ger gibt es. Das Messer kratzt? Pah,
macht nichts, — nehmen wir einfach eine
andere Klinge her. Llnd die alte, ja,
sehen Sie, mein Lerr, da ist der einzige
Laken: man kann sie nicht wegwerfen,
was doch das Einfachste und Angenehmste
wäre."

Er nahm seinen Lut ab und fuhr
sich wild durch das Laar. Eben setzte
ihm die Kellnerin ein frisches Glas Bier
hin. Er stürzte die Lälfte des Jnhalts
aufgeregt mit einem Male hinunter.

„Man kann sie nicht wegwerfen," wie-
derholte er. „Bei gewiffenhafter Aeber-
legung erweist sich das als ganz und
gar ausgeschloffen."

Ich wollte ihn schon fragen, welche
Gründe denn bei ihm dagegen sprächen,
unterließ es aber, da es ja solche ökonomischer Natur sein
mochten. Doch er hatte ohnehin die Absicht, mir Aufklä-
rung zu geben. Zuerst trank er sein Glas aus und winkte
der Kellnerin nach einem neuen. Dann nahm er das Päck-
chen, das er vorhin auf den Tisch geworfen hatte, legte es
auf die flache Land und schlug nachdrücklich mit der andern
darauf. „Darin find drei Dutzend alte Klingen. Es ist
nichts mehr mit ihnen anzufangen. Ich könnte ja noch
warten, bis ein viertes oder schließlich auch ein fünftes
Dutzend dazu kommt. Aber ich habe Kinder im Lause,
fünf kleine Kinder. An meinen Rassierapparat gehn sie
nicht heran. Den kennen sie, das ist ihnen eingeschärft.
Das kleine Kästchen, darin er samt einem Dutzend noch zu
gebrauchender Klingen steckt, kann ich ruhig auf dem Wasch-
tisch stehn laffen. Aber hier, diese andern Klingen? Ge-
wiß, ich kann sie fort tun, hinter Schloß und Riegel. Aber
Schloß und Riegel können einmal ausstehn, denn Vergeß-
lichkeit ist menschlich, und das Anglück, das bekanntlich an
Schlaflosigkeit leidet, will es, daß ein Kind darüber gerät.
Es öffnet das Päckchen — ha, da hat es sich auch schon
geschnitten. Es mag ein kleiner Schnitt sein, es kann aber
ebenso leicht auch eine Pulsader verletzt werden, und das
Kind verblutet, ehe ein Mensch im Lause etwas davon ahnt.
Schrecklich! Wie Gift im Lause sind diese Nasierklingen.
Fort damit, fort!"

„In den Mülleimer!" fagte ich.

Er lachte höhnisch, beinahe unhöflich, was ich ihm eigent-
lich gar nicht zugetraut hatte. Und sein frisches Glas Bier
trank er jetzt sogar auf einen einzigen Zug aus.

„In den Mülleimer? Wahrhaftig, beinahe wäre ich
so leichtsinnig, so entsetzlich gedankenlos gewesen. Ia, die
Wahrheit zu gestehen : ich hatte das Päckchen schon in den

Müll geworfen, aber dann kam mir glücklicherweise die
Einsicht, und ich habe es wieder heraus geholt. Was
geschieht mit dem Müll, mein Lerr? Sortiert wird er,
ganz genau durchgesehen, denn er enthält ost mannigfache
Schätze, von dem der mit dem Müllabfuhrwesen nicht ver-
traute Laie gar keine Ahnung hat. Alte Frauen besorgen in
der Regel diese Arbeit, habe ich gehört. Das muß natürlich
schnell gehn, denn der Müll wird zum Zwecke der Sortierung
auf einem breiten endlosen Gurt vor den Arbeiterinnen
vorübergezogen. Da kommt mein Päckchen mit den Rasier°
klingen. Lastig greift so eine alte Frau zu, hastig und
derb. Da hat sie sich auch schon geschnitten. Ihre Land
aber ist schmutzig, vom Müll natürlich, und der Müll ent-
hält Bazillen, alle möglichen Bazillen. Nehmen wir ein-
mal an, in die kleine Wunde geraten Streptokokken. Es
gibt eine Eiterung, die alte Frau ist von schwacher Gesund-
heit, sie stirbt. And warum? Weil ich meine Rasiermeffer
in den Müll geworfen habe. Nein, das wäre ja geradezu
eine Gemeinheit, wenn ich so leichtsinmg sein wollte!"

„Werfen Sie Ihr Paket in die Isar," schlug ich vor.

Er zuckte überlegen die Achseln. „Von einer Brücke,
meinen Sie? Genau in die Mitte des Fluffes, nicht wahr?
And dann ist alles schön und gut, denken Sie? Aber ich
bitte Sie: die Isar hat eine außerordentlich starke Strömung,
die das Päckchen, wenn es auch gleich auf den Grund geht,
am Ende weiter schwemmen würde, vielleicht nach dem Afer
zu. And dann braucht nur jemand zu kommen, der sich
die Füße kühlen will oder auch waschen, was ja auch vor-
kommen kann, und der auf meine verfluchten Rasierklingen
tritt. Was sagen Sie nun?"

„Vergraben Sie das Satanszeug, irgendwo im tiefen
Walde."
 
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