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Zeitschrift für Humor und Kunst

Auf der Parforce-Jagd

Der Armensessel

stand eine Polpourrivase, die jeden Lerbst frisch gefüllt
wurde und dann den ganzen Winter hindurch angenehme
Düfte ausströmte. Das hätte nun dem Zimmer leicht eine
altjungferliche Art gegeben, wenn nicht als Gegengewicht
der Schreibtisch dagewesen wäre, der — Sekretär genannt
— ein würdiges männliches Möbel war. Vor ihm aber
stand das Glanzstück der Stube, ein ansehnlicher Ruhesessel,
den Wilhelm Tornseiffer stch an jenem schönen Tage ge-
kauft, da er die letzte Lypothek ausbezahlt hatte und schulden-
frei in seinem Lause saß.

Es war ein schöner Sessel. Sitz, Nücken und Arm-
lehnen waren dick gepolstert und mit vortrefflichem schwarzen
Leder überzogen. Ein Vorzug dieses Leders war es, daß
es sich immer wieder auflackieren ließ, wenn sein Glanz
mählich abgescheuert und abgesessen
war. Einmal hatte Onkel Tornseiffer
den Versuch gemacht, das Leder mit
Perleberger Glanzwichse einzureiben
und dann blank zu wichsen. Aber
das war doch nichts Rechtes gewesen.

So lange und heftig hatte er wichsen
müssen, daß ihn beinahe der Schlag
rührte, und nachher färbte das Leder
doch ab. Er hatte aber keine Lust,
stch jedesmal seinen schwarzen An-
zug anzuziehen, wenn er sich in den
Sessel setzen wollte, schon deshalb
nicht, weil er leidenschaftlich gern
weißleinene Beinkleider trug. Es
blieb also beim Lackieren. Das Schön-
ste an dem Sessel waren die beiden
Armlehnen, denn die endeten jede in
einen wunderbaren, fein geschnitzten
Löwenkops, und jeder Löwenkopf hatte
einen Messingring im Maul, sodaß
man, wenn man diese Ringe an-
packte, den Sessel mit Leichtigkeit
hinziehen konnte, wohin man nur
wollte, denn seine vier Füße hatten
solideRollen. Die Löwenköpfe hätten
freilich ebensogut Pudelköpfe vor-
stellen können, aber ihr Versertiger
hatte ste nun einmal Löwenköpfe ge-
nannt, und dabei war es dann auch
geblieben. Denn wer ein Kunstwerk
erzeugt, hat auch das Recht, festzu-

fetzen, was es vorstellen soll, und die übrige
Welt hat.ihm gehorsam darin zu folgen.

Ia, das war ein prächtiger Sessel.
Früher hatle Wilhelm Tornseiffer ihn nicht
so recht genießen können, denn er hatte ihn
doch nicht in seinen Laden stellen und von
diesem erhabenen Sitze aus Kaffee und
Zucker, Wajchblau und saure Gurken, Le-
ringe und die sonstigen schönen Dinge seines
Warenlagers verkaufen können. Als aber
der Neffe Albert die Lerrschast im Laden
angetreten hatte, — ja, da hatte Onkel
Tornseiffer es gut; den ganzen Tag konnte
er nun in semem Sessel sitzen. Das tat er
denn auch meistens und war wohl und zu-
frieden dabei. Zu ganz bescnderer Bedeu-
tung aber kam das behagliche Sitzgerät an
jedem Sonnabend von vier bis sechs !lhr
nachmittags. Mit dem Glockenschlage vier nahm Wilhelm
Tornseiffer, frisch gestärkt durch eine bekömmliche Kaffee-
mahlzeit, glatt rasiert, mit frisch gewaschenen weißen Bein-
kleidern, einer peinlich sauber gebürstcten blauen Ioppe »nd
einem schwarzen Samtkäppchcn angetan, in seinem Sesscl
Platz. Der „Sekretär" war geöffnet; auf der grün bezogenen
Platte waren ein Porzellantintenfaß nebst Schreibfeder, ein
Streusandbehälter, eine Kassette und ein dickes Buch bereit
gehalten. And dann blickte Onkel Tornseiffer feisilich vor
sich geradeaus und harrte seiner Sonnabendbesucher. Lange
brauchte er nie zu warten. Gewöhnlich drückke sich ein alter
Mann zuerst zur Türe herein, machte eine Verbeugung und
sagte seinen Namen: August Toporrek. Onkel Tornseiffer

nickte gemessen und schlug das dicke Buch auf. „L-

O-P-T-Teichert-Tilitzki — aha, da

ist er: Toporrek, August, wohnhafl
Langgarten 64, nicht wahr? Am
16. August hier gewesen, erhalten
zwanzig Pfennige." Dann wurde
die Kassette aufgeschlossen, zwei
Groschen herausgenommen, August
Toporrek überreicht und schließlich
in das Buch eingetragen: „Lier ge-
wesen am 23. August, erhalten zwan-
zig Pfennige." — Toporrek mar-
schierte ab und wurde abgelöst von
andern armen Leuten der Stadt,
Männlein und Weiblein, bunt durch-
einander, die alle ihre Namen —
Ida Kagel, Adolf Kurbjeweit, Aloi-
sia Zamaitzens und so weiter —
nannten und jeder ihre zwei Groschen
oder auch drei erhielten, je nach Bc
sonderheit des Falles, was alles
genau und umständlich in das dicke
Buch eingetragen wurde, damit ge-
naue Ordnung in dieser Wohltätig-
keitsmaschine wäre, die Onkel Torn
seiffer bald nach seinem Austritt aus
der Landelswelt mit behagl-chem
Eifer erdacht und geschaffen hatte.
Kam aber einmal ein Neuer daher,
dessen Name noch nicht im Buch
verzeichnet war — ja, dann hieß es
zu warten, bis alle andern abgefer-
tigt waren, und dann wurde ein
ganzes Protokoll aufgenommen mit

Rücksichtslos — „Gerade wie

ich mein Buch beendet, das ihn wissen-
schaftlich töten sollte, stirbt er tatsächlich!"
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