Zeitschrift für Hurnor und Kunst
— „Ganz vortrefflich; er ißt vorher immer so
viel, daß er dann einen verdorbenen Magen hat."
Der Armensessel
Warum? Woher? Welcher Art?
Welchen Alters? und vielen an-
dern, genau und auf Ehre und
Gewissen zu beantwortenden
Fragen, und auf Grund dieses
Pretokolls fertigte Onkel Torn-
seiffer dann am nächsten Montag
ein ganzes Aktenstück an, das
schließlich zu vielen andern in
eine eigens dafür angelegte Re-
gistratnr gestellt wurde.
Wenn Onkel Tornseiffer diese
Registratur und sein dickes Buch
anschaute, füllte ihn das immer
mit einem angenehmen kleinen
Stolz. Er hätte ja die Groschen,
die seine Gutmütigkeit verstreute,
auch ohne solche Amständlichkeit
hergeben können, und srüher, als
sein Laden ihn noch in Anspruch
nahm, hatte er das auch getan,
denn, daß Wilhelm Tornseiffer
ein armes altes Männlein oder
Weiblein unbeschenkt von seiner
Tür hatte weggehn lassen, war
niemals vorgekommen. DerRuhe-
stand aber hatte ihm doch eine
gewisse Leere gebracht, schon weil
ihm ja die Kunden des Ladens
fehlten, und so hatte er sich denn
diese Verwaltungsarbeit geschaf-
fen, die ein freundliches Bändchen
zwischen ihm und seinen Orts-
armen wurde und seine beschei-
dene Fürsorge über den kalten
Zufall hinaus in ein schönes Patro-
natsverhältnis erhob. Aebrigens
kam sich der alle Tornseiffer seiner
Registratur und seinem dicken
Buch gegenüber genau so wichtig
vor, wie eine mit Mühe belastete
Obrigkeitsperson, die in ihrem
Lirn und auf von ihrenFingern be-
schriebenem Papier unendlich viele
Fäden eines verwickelten Regierungsapparats vereinigt.
And warum sollte er auch nicht so fühlen? Ob Onkel Torn-
seiffers Tun und Treiben nicht genau so wertvoll war wie
das einer solchen hoben Ob igkeitsperson, — nun, das
kommt eben ganz auf die Instanz an, der diese Frage zur
Entscheidung vorgelegt wird.
Freilich, der N.ffe Albert und die Nichte Grete hätten
sie nicht zu des Onkels Gunsten entschieden. Albert gab
in dem jetzt ihm unterstehenden Laden zwar manchmal einem
Kinde ein Lakritzenstänglein vder ein Slückchen Iohannis-
brot oder einem Dienstmädchen ein S:ück Seife von groß-
artigem Aussehen und eigenarligem Wohlgeruch. aber das
geschah aus geschäftlicher Spekulation und wurde auf andere
Art reichlich wieder eingebracht. Sonst jedoch gab er nichts
umsonst her, und schon ganz und gar nicht bares Geld an
arme Leute, die ja doch nichts von ihm kaufen konnten.
In den ersten Wochen, nachdem er das Geschäft übernommen,
hatte noch viel Bettelvolk vorgesprochen, trotzdem Torn-
seiffer senior, der immer kleme Münzen liegen gehabt hatke,
nun nicht mehr da war. Wie Wespen kamen sie, die noch
den Platz umschwirren, auf dem eben ein Stück Zucker ge-
legen hat. Tornseiffer junior aber wies ihnen energisch
die Tür und drohte mit der Polizei. Wenn dann ein
altes Männchen vder Frauchen die Treppe hinauf tappte
und im Obergeschoß anpochte, — ja, dann war auch dieser
Weg umsonst gewesen. Frau Grete Ka'schky sagte kurz:
„Lier wird nichts gegeben!" War aber Lerr Katschky
selbst zu Lause, dann erfolgte noch eine Erklärung, warum
nichts gegeben würde, eine ernste und nachdrückliche Er-
kiärung, die auf dre zahlreichen staatlichen und städtischen
Wohltäligkeitsanstalten hinwies und zum Aeberfluß mit
der Bemerkung schloß: „Aeberhaupt könnten Sie noch ganz
gut arbeiten!" — Denn Lerr Katschky, der ja ein Beamter
war, vertrat ständig und nachdrücklich die Meinung, der
Mensch müffe unablässig tüchtig und angestrengt arbeiten.
Neffe und Nichte und dazu der angeheiratete Lerr
Registrator Katschky sahen mit großem Mißbehagen auf
die Wohltätigkeitsübungen des alten Onkel Tornseiffer.
Lälte er hin und wieder einmal einem zufällig des Weges
kommenden Bettler zwei Pfennige gereicht, das wäre ja
— „Ganz vortrefflich; er ißt vorher immer so
viel, daß er dann einen verdorbenen Magen hat."
Der Armensessel
Warum? Woher? Welcher Art?
Welchen Alters? und vielen an-
dern, genau und auf Ehre und
Gewissen zu beantwortenden
Fragen, und auf Grund dieses
Pretokolls fertigte Onkel Torn-
seiffer dann am nächsten Montag
ein ganzes Aktenstück an, das
schließlich zu vielen andern in
eine eigens dafür angelegte Re-
gistratnr gestellt wurde.
Wenn Onkel Tornseiffer diese
Registratur und sein dickes Buch
anschaute, füllte ihn das immer
mit einem angenehmen kleinen
Stolz. Er hätte ja die Groschen,
die seine Gutmütigkeit verstreute,
auch ohne solche Amständlichkeit
hergeben können, und srüher, als
sein Laden ihn noch in Anspruch
nahm, hatte er das auch getan,
denn, daß Wilhelm Tornseiffer
ein armes altes Männlein oder
Weiblein unbeschenkt von seiner
Tür hatte weggehn lassen, war
niemals vorgekommen. DerRuhe-
stand aber hatte ihm doch eine
gewisse Leere gebracht, schon weil
ihm ja die Kunden des Ladens
fehlten, und so hatte er sich denn
diese Verwaltungsarbeit geschaf-
fen, die ein freundliches Bändchen
zwischen ihm und seinen Orts-
armen wurde und seine beschei-
dene Fürsorge über den kalten
Zufall hinaus in ein schönes Patro-
natsverhältnis erhob. Aebrigens
kam sich der alle Tornseiffer seiner
Registratur und seinem dicken
Buch gegenüber genau so wichtig
vor, wie eine mit Mühe belastete
Obrigkeitsperson, die in ihrem
Lirn und auf von ihrenFingern be-
schriebenem Papier unendlich viele
Fäden eines verwickelten Regierungsapparats vereinigt.
And warum sollte er auch nicht so fühlen? Ob Onkel Torn-
seiffers Tun und Treiben nicht genau so wertvoll war wie
das einer solchen hoben Ob igkeitsperson, — nun, das
kommt eben ganz auf die Instanz an, der diese Frage zur
Entscheidung vorgelegt wird.
Freilich, der N.ffe Albert und die Nichte Grete hätten
sie nicht zu des Onkels Gunsten entschieden. Albert gab
in dem jetzt ihm unterstehenden Laden zwar manchmal einem
Kinde ein Lakritzenstänglein vder ein Slückchen Iohannis-
brot oder einem Dienstmädchen ein S:ück Seife von groß-
artigem Aussehen und eigenarligem Wohlgeruch. aber das
geschah aus geschäftlicher Spekulation und wurde auf andere
Art reichlich wieder eingebracht. Sonst jedoch gab er nichts
umsonst her, und schon ganz und gar nicht bares Geld an
arme Leute, die ja doch nichts von ihm kaufen konnten.
In den ersten Wochen, nachdem er das Geschäft übernommen,
hatte noch viel Bettelvolk vorgesprochen, trotzdem Torn-
seiffer senior, der immer kleme Münzen liegen gehabt hatke,
nun nicht mehr da war. Wie Wespen kamen sie, die noch
den Platz umschwirren, auf dem eben ein Stück Zucker ge-
legen hat. Tornseiffer junior aber wies ihnen energisch
die Tür und drohte mit der Polizei. Wenn dann ein
altes Männchen vder Frauchen die Treppe hinauf tappte
und im Obergeschoß anpochte, — ja, dann war auch dieser
Weg umsonst gewesen. Frau Grete Ka'schky sagte kurz:
„Lier wird nichts gegeben!" War aber Lerr Katschky
selbst zu Lause, dann erfolgte noch eine Erklärung, warum
nichts gegeben würde, eine ernste und nachdrückliche Er-
kiärung, die auf dre zahlreichen staatlichen und städtischen
Wohltäligkeitsanstalten hinwies und zum Aeberfluß mit
der Bemerkung schloß: „Aeberhaupt könnten Sie noch ganz
gut arbeiten!" — Denn Lerr Katschky, der ja ein Beamter
war, vertrat ständig und nachdrücklich die Meinung, der
Mensch müffe unablässig tüchtig und angestrengt arbeiten.
Neffe und Nichte und dazu der angeheiratete Lerr
Registrator Katschky sahen mit großem Mißbehagen auf
die Wohltätigkeitsübungen des alten Onkel Tornseiffer.
Lälte er hin und wieder einmal einem zufällig des Weges
kommenden Bettler zwei Pfennige gereicht, das wäre ja