76
Meggendorfer-Blätter, München
— „So viel wie im Feld hab' ich in meinem ganzen Leben vorher nicht gelesen. Aeberhaupt,
was da draußen für Bücher verschlungen werden!"
— „Na ja, deshalb haben auch manche Schriftsteller, als der Krieg kam, wie verrückt drauf-
los geschrieben."
Der Armenseffcl
noch angegangen. Aber daß er fich diesen ganzen Troß
ins Laus bestellte, daß er dann jedem zwanzig oder gar
dreißig Pfennige auszahlte, — nein, das war denn doch
zuviel. Das mußte ja aus die Dauer merkliche Rückwirkungen
aus das schöne Barvermögen haben, das Neffe und Nichte
und mit dieser auch der angeheiratete Äerr Registrator
Katschky noch zu erwarten hatten. Das Kapital selbst
würde ja wohl nicht dadurch angegriffen werden; aber
warum mußten denn seine Zinsen in dieser Weise in An-
spruch genommen werden? Was Onkel Tornseiffer von
den Zinsen nicht für die eigene Person allein brauchte, das
hätte er doch besser zur Stärkung und Abrundung des
Kapitals verwenden müffen. Jeder vernünftige alte Mann
hälte das getan, der Onkel aber war ein Narr. Vollends
bewies er das durch die Art, wie er das Geld zum Fenster
hinauswarf, durch
seine alberne Buch-
führung, durch die
verrückte Registratur,
durch die lächerliche
Pose, die er jeden
Sonnabend um vier
Llhr nachmittags an-
nahm. Wie ein Kirch-
fpielvorsteher führte
er fich auf. geradezu
wie eine richtigeAmts-
person. Breit und
großspurig saß er in
seinem Seffel. Gerade
dies machten die vor-
läufig »och nicht lachen
den, sondern schimpfen-
den Erben dem Onkel
zum besonderen Vor-
wurf. Äätte er stehend
oder auch auf einem
bescheidenen Nohrstühl-
chen sitzend sein Beltel-
pack abgesertigt, dann
wäre das einzelne Al°
mosen am Ende geringer
ausgefallen. Der Seffel
dagegen mit seiner Be-
haglichkeit verlockte ja
geradezu zur Ueber-
schreitung der vernünf-
tigen Grenzen. Viel-
leicht sagte fich Onkel
Tornseiffer manches
Mal: Wie bin ich hier
doch mollig und bequem
aufgehoben! Das alte
Frauchen, das da de-
mütig zur Türe herein-
kommt, hat es nicht so
gut; nun, dafür soll ste
auch gleich dreiGroschen
bekommen. — — Auf
Grund dieser am Ende
nicht ganz unzutreffen-
den Ueberlegung über-
trugen nach und nach
der Neffe Albert, die
Nichte Grete und der angeheiratete Äerr Registrator
Katschky einen Teil ihrer Wut vom Onkel Tornseiffer auf
seinen Sessel. Den „Armenseffel" nannten fie ihn spöttisch.
Davon aber hatte Onkel Tornseiffer keine Ahnung.
löätte er es gemerkt, dann hätte es ihn vielleicht betrübt.
Am Ende hätte er sich auch sehr geärgert und dann irgend
welche anderen Versügungen über sein Barvermögen ge-
troffen. Vielleicht hätte er dann eine Stiftung gegründet,
aus der jeden Sonnabend eine Anzahl Stadtarmer mit
einigen Grojchen beschenkt werden sollten, worüber ein Ver-
weser genau Buch zu führen hätte, und dieser Verweser
hätte dabei dann ja auch in einem schwarzen Ledersessel
sitzen können. Aber wie gesagt: Der alte Tornseiffer merkte
nichts, und das war sehr erfreulich, nicht um der drei
späteren Erben willen, sondern was den Onkel selbst an-
ging. Denn es hätte wohl in seine letzten Lebensjahre einen
bedauerlichen Miß-
klang gebracht. So
aber spannen ste stch
behaglich ab. Zm
letzten Iahre war
OnkelTornseiffer recht
schwach. Seinen Ar-
menvienst versah er
zwar pünktlich wie
immer, aber sonst
wurde er stumpf und
gleichgültig. Sogar
den Seffel ließ er nicht
Meggendorfer-Blätter, München
— „So viel wie im Feld hab' ich in meinem ganzen Leben vorher nicht gelesen. Aeberhaupt,
was da draußen für Bücher verschlungen werden!"
— „Na ja, deshalb haben auch manche Schriftsteller, als der Krieg kam, wie verrückt drauf-
los geschrieben."
Der Armenseffcl
noch angegangen. Aber daß er fich diesen ganzen Troß
ins Laus bestellte, daß er dann jedem zwanzig oder gar
dreißig Pfennige auszahlte, — nein, das war denn doch
zuviel. Das mußte ja aus die Dauer merkliche Rückwirkungen
aus das schöne Barvermögen haben, das Neffe und Nichte
und mit dieser auch der angeheiratete Äerr Registrator
Katschky noch zu erwarten hatten. Das Kapital selbst
würde ja wohl nicht dadurch angegriffen werden; aber
warum mußten denn seine Zinsen in dieser Weise in An-
spruch genommen werden? Was Onkel Tornseiffer von
den Zinsen nicht für die eigene Person allein brauchte, das
hätte er doch besser zur Stärkung und Abrundung des
Kapitals verwenden müffen. Jeder vernünftige alte Mann
hälte das getan, der Onkel aber war ein Narr. Vollends
bewies er das durch die Art, wie er das Geld zum Fenster
hinauswarf, durch
seine alberne Buch-
führung, durch die
verrückte Registratur,
durch die lächerliche
Pose, die er jeden
Sonnabend um vier
Llhr nachmittags an-
nahm. Wie ein Kirch-
fpielvorsteher führte
er fich auf. geradezu
wie eine richtigeAmts-
person. Breit und
großspurig saß er in
seinem Seffel. Gerade
dies machten die vor-
läufig »och nicht lachen
den, sondern schimpfen-
den Erben dem Onkel
zum besonderen Vor-
wurf. Äätte er stehend
oder auch auf einem
bescheidenen Nohrstühl-
chen sitzend sein Beltel-
pack abgesertigt, dann
wäre das einzelne Al°
mosen am Ende geringer
ausgefallen. Der Seffel
dagegen mit seiner Be-
haglichkeit verlockte ja
geradezu zur Ueber-
schreitung der vernünf-
tigen Grenzen. Viel-
leicht sagte fich Onkel
Tornseiffer manches
Mal: Wie bin ich hier
doch mollig und bequem
aufgehoben! Das alte
Frauchen, das da de-
mütig zur Türe herein-
kommt, hat es nicht so
gut; nun, dafür soll ste
auch gleich dreiGroschen
bekommen. — — Auf
Grund dieser am Ende
nicht ganz unzutreffen-
den Ueberlegung über-
trugen nach und nach
der Neffe Albert, die
Nichte Grete und der angeheiratete Äerr Registrator
Katschky einen Teil ihrer Wut vom Onkel Tornseiffer auf
seinen Sessel. Den „Armenseffel" nannten fie ihn spöttisch.
Davon aber hatte Onkel Tornseiffer keine Ahnung.
löätte er es gemerkt, dann hätte es ihn vielleicht betrübt.
Am Ende hätte er sich auch sehr geärgert und dann irgend
welche anderen Versügungen über sein Barvermögen ge-
troffen. Vielleicht hätte er dann eine Stiftung gegründet,
aus der jeden Sonnabend eine Anzahl Stadtarmer mit
einigen Grojchen beschenkt werden sollten, worüber ein Ver-
weser genau Buch zu führen hätte, und dieser Verweser
hätte dabei dann ja auch in einem schwarzen Ledersessel
sitzen können. Aber wie gesagt: Der alte Tornseiffer merkte
nichts, und das war sehr erfreulich, nicht um der drei
späteren Erben willen, sondern was den Onkel selbst an-
ging. Denn es hätte wohl in seine letzten Lebensjahre einen
bedauerlichen Miß-
klang gebracht. So
aber spannen ste stch
behaglich ab. Zm
letzten Iahre war
OnkelTornseiffer recht
schwach. Seinen Ar-
menvienst versah er
zwar pünktlich wie
immer, aber sonst
wurde er stumpf und
gleichgültig. Sogar
den Seffel ließ er nicht