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Zeitschrift sür Humor und Kunst 91

Das Festgedicht

Festgedichles erwogen wurde. Tlber — und das berieten
die Senioren des Geschästshauses mit ernster Miene —
wer will und kann dieses Festgedicht schreiben?

And stehe da — es meldete fich einer, dem Vetter Emil
sein Aeltester.

Erst mißtrauisch betrachtet, wußte er seine dichterische
Neigung und Begabung in so flammenden Worten darzu-
tun, daß ihm vom Seniorenkollegium ohne obligo und per
Annahme nach Sicht die Lerstellung des Festgedichtes
übertragen wurde.

Nun aber stellte es sich heraus, wie weise der Vetter
Emil gehandelt hat, daß er seinen Aeltesten nicht Dichker
werden ließ, sondern zu Müller L Co. in Kondition gab.

Schon beim ersten Ritt auf den Parnaß fiel der Bub
vom Pegasus und sah nach der vierten Zeile ein, daß es
leichter sein würde, ein abendfüllendes, alle Welt hinreißen-
des Drama zu verfassen, als ein Festgedicht, das dem Chef,
Lerrn Justus Müller, zum 25. Geschäftsjubiläum mit An-
stand hätte überreicht werden können.

Diese Meinung ergab sich bei Vetter Emils Aeltesten
aus der Tatsacbe, daß der junge Poet noch nie ein abend-
füllendes Drama hatte schreiben wollen, dagegen nun schon
zwei Stunden zum Festgedicht verschiedene mißglückte An-
läufe nahm. Nun wollte er lieber in den Tod gehen, als
den Senioren einzugestehen, daß er sich übernommen habe

und nicht imstande fei-ihre Bestellung zu effektuieren.

Tatsächlich ging er nicht in den Tod, sondern zu mir und
beichtete seine verzweifelte Lage.

Er hatte mich bis jetzt als Dichterkollegen nie sonder-
lich geschätzt, weil ich mit Absicht Sachen schrieb, über die
andere Leute lachen sollten, während er noch ganz andere
Ansichten über die Aufgaben und Ziele eines Dichters hatte.

Dieses Mal unterdrückte er großmütig feine Verachtung
über meine untergeordnete Poetentätigkeit und nahm so-
gar mit herablassender Dankbarkeit mein Anerbieten an,
das betreffende Festgedicht für ihn zu verfassen, ohne auf
der Kundmachung meiner Autorschaft zu bestehen.

Ich gab mir alle Mühe — erstens, um mich nicht vor
Vetter Emils Aeltestem zu blamieren, dann aber auch, weil
doch der Iustus Müller ein alter Freund von mir war,
dem ich schon ein recht erhebendes feierliches Iubiläums-
gedicht gönnte.

Der junge Dichter aus Vetter Emils Stamm kam stolz
mit dem Gedicht ins Geschäft und legte es zunächst dem
ersten Buchhalter zur Begutachtung vor. Der erste Buch-
halter war schon dreißig Iahre im Geschäft und hatte über
seinen Zahlenreihen längst vergessen, daß es eine Zeit ge-
geben, da er felbst Leines „Buch der Lieder" auswendig
lernte und dann Verse schrieb, vor denen der Leine sich
hätte verkriechen können. Ietzt aber fiel ihm das alles
wieder ein — und die Erinnerung daran packte ihn so
mächtig, daß mir Vetter Emils Aeltester am Abend mit ver-
steckter Schadenfreude erzählen konnte, der Lerr Buchhalter
Simmerl habe umfassende Aenderungen an dem Gedicht
vornehmen müssen, bevor es dem ersten Korrespondenten
zur Emsicht unterbreitet werden konnte. Der erste Korre-
spondent hatte diesen Titel, obgleich er eigentlich selbst gar
nicht korrespondierte, sondern einfach die Briefe, die seine
Llntergebenen verfaßten,durchlas,korrigierteundunterschrieb.
Es war ausgeschlossen, daß er bei der Durchsicht der Kon-
zepte nicht in jedes den einen oder den andern Satz hin-
einschrieb oder herausstrich, nicht weil er das an und für
sich immer für nötig hielt, sondern weil es ihm wichtig
schien, bei seinen Lilfskräften nicht die Meinung aufkommen

Anno äazumal

öacht übers giebeihohe Rachaus ging
Der Monä, umkränzt vom Fliriergolä äer Zrerne,
Wctreifernä init äer Oeliatecne,

Die schwankcnä an äec langen kietre hing.

Nur marr noch traf ihr ächein äas nächsic Haus.
Tlnä jusi, als äer Herr Rat, äer vielgesirenge,
Lteifleäern stelzre äurch äic Sassenenge,
Blies kcck äer Winä äas blasse Lichrlein aus.

Anä auch äcr Monä kroch in sein Wolkenbett.
Horch — klang nichr werternä äes Seftrcnqcn Zrimme?
Doch sinnenä lächclre äer sonst so Srimme,
k»s ob ein Traum ihn sanfc umfangen härr'.

Der Minä, äer iau unä äuftgesärrigt war
Vom süßen Deilchenhauch äes jungen Märzen,
Sriss leis wie eine hanä nach seinem Herzen . . .
Einft quo» äer Dufr aus braunem Määchenhaar!

Zein altes Herz schlug weh unä wunäerlich
Anä sehnsuchtstrunken, wie vor vierzig fahcen . . .
klch, wic äie Nächre äamals selig warcn,

Wenn so äurchs Dunkel er zuc Liebften schlich!

Thusnelda Wolff-Kettner
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