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Zeitschrist für Humor und Kunst 105

Grund genug

— „Nächsten Winter muß aber der Krieg endlich mal
aus sein. Da möcht ich dann in die Tanzstunde gehen."

Der gerade Sugsne und der bucklige Iean
stattlich. Die Mutter hatte angeordnet, daß er sich dem
Rechtsstudium widmen sollte. Irgendwo in der Provinz
lebte nämlich eine begüterte Tante, die einmal zu beerben
sein würde, aber nicht nur von den Nicollerats, sondern
auch von einigen anderen Leuten, weshalb mit ziemlicher
Sicherheit ein größerer Erbschaftsprozeß durch alle Jnstanzen
vorauszusehen war.

Die Tante war aber noch nicht gar so alt und eine
sehr rüstige, kerngesunde Dame, sodaß Eugene mit seinem
Studium gewiß noch Zeit hatte. Auch würde er erst ein-
mal seiner Militärpflicht nachkommen müssen. Darüber
klagte Papa Nicollerat. „Der arme Iunge tut mir leid,"
hatte er wiederholt gesagt; „diese Schinderei in der Kaserne!
Aber natürlich werden sie ihn nehmen — leider!"

„Leider? L>at man so etwas gehört!" hatte Madame
Nicollerat dann erwidert. „Freuen sollen wir uns, daß
der Iunge so stramm ist. Der Dienst wirv ihm nur gut
tun, so verwöhnt, wie er bei uns wurde." —

Das war ihre ehrliche Meinung. Aber der Mensch
ist manchmal durch den belehrenden Zwang der Umstände
genötigt, seine Anstchten zu ändern. Ganz außerordentlich

belehrend und viele Ansichten umflürzend wie kaum je ein
Ereignis zuvor wirkte der Krieg, dessen plötzlicher Ausbruch
im Sommer 1914 die Familie Nicollerat von St. Lelier
nach Paris zurückjagte. Monsieur Nicollerat war sehr
bestürzt; ihm bangte vor einer Entwertung seiner Renten-
titel. Madame dagegen fand zunächst einen starken Trost.
„Ein Glück ist es, ein Riesenglück, daß die Geschichte jetzt
losgegangen ist. Einmal mußte der Krieg ja doch kommen.
Denke dir, wenn es erst »ächstes Iahr gewesen wäre! Da
wäre Eugene gerade zum Militär gekommen, und dann
hätte er wohl auch gleich mit müssen. Gar nicht auszu-
denken wäre das! Aber jetzt — pah, ich habe keine Sorge!
Wir haben die Russen und die Engländer — in ein paar
Wochen ist der Krieg aus."

Madame Nicollerat irrte sich. Zwar, man hatte die
Russen und die Engländer, aber sie vermochten den Krieg
nicht abzukürzen. Ganz im Gegenteil. Wenn die Ruffen
und die Engländer nicht dabei gewesen wärcn, dann viel-
mehr wäre es ein kurzer, ein ganz, ganz kurzer Krieg ge-
worden, — das wurde manchem sehr bald gründlich klar.
Aber so wurde er lang und immer länger, und das Ende
war überhaupt nicht abzusehen. Für Madame Nicollerat
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