Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
sss Zeitschrift für Hurnor und Kunst b

d i71

Das Vorbild -„Eine prächtige Ehrenjungfrau bist du, Nannerl.

Ietzt gehst und schaust zu. wie unsere alte
Lenne scharrt, daß du einen feinen Lofknix
machen kannst, wenn der Fürst zu dir spricht."

Der Fischelhof

Schuhwerkstätte, eine Schleif- und Polieranstalt,
eine Feinwäscherei, die zugleich Annahmestelle sür
das städtische Leihhaus war, ferner eine elektrische
Strumpfwirkerei, eine kleine Buchhandlung mit ff.
Schreibwaren, ein Küchelbäcker, ein Kohlenkeller, ein
Kaffee- und Bierausschank, eine Schweinemehgerei,
ein Tabakverschleiß, ja, und endlich, in der entlegen-
sten und düstersten Ecke, das Laus mit dem grünen
Auge, das Fischelhaus.

Mit einem befriedigten Aufatmen schritt der
geheimnisvolle Besucher, ein junger Mann in alt-
väterlicher Sonntagsgala, mit gravitätischen Schrit-
ten auf das Fischelhaus zu. Eine Weile blieb er
vor den zerbröckelten Stufen stehen, bürstete seinen
Lut mit dem Rockärmel glatt und zog dann an dem
rostigen Klingelgriff. Ein heiserer, scheppernder Ton
drang wie aus weiter Ferne an sein Ohr, die wurm-
stichige Tür öffnete sich ein wenig und eine runzelige
§>and, anscheinend die der alten Magd. zog ihn am
Rockärmel vorsichtig in den dunklen Lausgang, der
von Natur aus dazu bestimmt schien, die Leute, die
ihn betraten, glattweg zu verschlucken.

„Labcn der Lerr nur keine Furcht, es ist ein biß-
chen dunkel hier," sliisterte eine Stimme. „Aber die
Lerrschaften, die zu uns kommen, haben das gerne so."

Dann wurde ewe Tür geöffnet, eine matte Licht-
welle quoll heraus und der junge Mann wurde von
derselben Äand in ein angenehm erwärmtes Zimmer
geschoben. Es war ein langer schmaler Naum, nach
rechts durch eine verhängte Glastür abgeschlossen,
nach links sich gegen das Fenster fortsetzend, wo ein
großer viereckiger Tisch mit einer Lampe darauf stand.
An dem, Tisch saß Mutter Fischeln und las >n einem
dicken Buche, wie es die Zauberer zu besitzen Pflegen.
Anordentlich hingen ihr die weißen Laarsträhnen über das
Gestcht, aber sonst war sie äußerst sauber gekleidct. Auch
ihre Amgebung machte einen wohlgeordneten anheimeln-
den Eindruck.

„Guten Abend, Mutter Fischeln," sagte der junge Mann
mit leichtem Anstande und tat einige Schritte auf den Tisch zu.

„Guten Abend, junger Lerr," erwiderte Mutter Fischeln
den Gruß, „treten.Sie nur gefälligst näher und besorgen
Sie nicht, daß ich Sie mit aufdringlichen Fragen belästige.
Ich srage meine Kundschaft nie nicht, was sie zu mir führt,
noch lasse ich mich für meine Kunst bezahlen, nee, nee-
Wenn aber jemand die Güte hat, eine kleine Erkenntlichkeit
in die blaue Tasse dort auf der Kommode niederzulegen,
so kann das als ehrenhast betrachtet und genommen werden.
And nun nehmen Sie mir gegenüber Platz, junger Lerr.
Wollen gewiß wissen, ob Ihnen die Lerzallerliebste treu ist,
und ob Sie bald ins Ehebett kommen? Läh?"

Der junge Mann blickte etwas erstaunt drein, leistete
aber der Aufforderung, Platz zu nehmen, Folge. Mutter
Fischeln hatte währenddefsen ihr Zauberbuch beiseite gelegt
und ein Spiel Karten aus der Tasche gezogen, das sie jetzt
mit geschäftiger Miene auf dem Tische auebreitete. Doch
da streckte der junge Mann wie abwehrend die Land
darüber aus und fagte: „Nicht so, beste Mutter Fischeln!
Ihre Kunst in allen Ehren, aber was ich über meine
Lerzensangelegenheiten wiffen möchte, erfahre ich aus Ihrem
Munde besser als aus den Karten. Multer Fischeln, werte
Frau," fuhr er tiefausatmend und feierlich fort, „Sie haben
eine Enkelin!"

„Was soll das?" fuhr die Alte erschreckt und miß-
trauisch auf und schob die Karten rasch wieder zusammen.

„Mutter Fischeln," nahm der junge Mann von neuem
das Wort, „mein Name ist Linke. Guktav Linke, Land-
schuhmacher von Profession. And ich möchte mir erlauben — "

Lerr Gustav Linke aber kam nicht weiter, die Glastüre
wurde aufgerissen, als ob dort längst jemand gestanden
und gelauscht hätte, und heraus stürzte Erna.
Image description
There is no information available here for this page.

Temporarily hide column
 
Annotationen