Zeitschrift für Humor und Kunst ^-^2 11
Der verfolgte Brief
Adresse. Ich komme um vier-
undzwanzig Stunden zu spät,
nicht wahr? Enlschuldigen Sie
gütigst, der Neid der Götter
hatte unüberwindliche Linder-
nisse zwischen Sie und mich ge-
türmt. Ich bin schuldlos; es
liegt vis mnjor vor, höhere
Gewalt. 0,0,0! Lundemüde
bin ich, wie ein Iagdhund, der
eine Antilope hat jagen müssen,
die bekanntlich zu den schnell-
füßigsten Tieren gehört."
Damit ließ Adam sich in
einen Sessel fallen und streckte
die Beine in ihrer ganzen
Länge von sich. „Bitte, nehmen
Sie nicht Anstoß daran, daß
ich mich in dieser Weise aus-
dehne! Sie werden in Kürze
begreifen, warum ich ein nicht
zu unterdrückendes Begehren
darnach verspüre. And dann
— wenn ich Sie um ein Butter-
brot ersuchen dürfte oder auch
zwei oder drei! Ich bin ganz ent-
setzlich ausgehungert. Eigent-
lich hatte ich im Speisewagen
essen wollen, aber mancherlei
Gründe waren mir im Wege. Mein Kragen war nur noch
wenig sauber, mein Laar so ungepflegt, — ja, und dann
hatte ich auch kein Geld mehr, wenigstens kein bares Geld."
Ich wunderte mich. „Im Speisewagen haben Sie essen
wollen, lieber Adam? Nun sagen Sie einmal an: Sie haben
also eine Reise unternommen. Wie ist denn das so schnell
gekommen? Als Sie gestern von mir fort gingen wußten
Sie noch nichts davon."
„Ahnt der Sterbliche, was die Götter in der nächsten
Stunde über ihn zu verhängen gedenken! Ia, Verehrtester,
ich bin gereist, ganz mächtig gereist, — als wenn mich der
Teufel beim Kragen gepackt und durch die deutschen Lande
geschleift hätte. So etwas Blödsinniges kann auch nur mir
passieren. Aber einzig der Postmensch ist daran schuld.
Warum gab er mir nicht eine erschöpsende Auskunft? Sein
Postamt war freilich schon geschlossen, und er hatte den be
greiflichen Wunsch, zu seinem Abendbier zu kommen. Aber
man ist doch auch ein Mensch und kann seinem Nächsten
wohl eine Minute opsern, wenn man ihm dadurch Stunden
der Pein und zudem Kosten und Anstrengungen erspart.
Der Mann, der den Briefkasten leerte, hätte übrigens auch
pünktlicher sein können, dann wäre ich sicher noch zur Zeit
nach dem Postamt gekommen. Aber ich werde mich rächen,
an der ganzen Post. Sehen Sie das Paket, es enthält die
Werkzeuge meiner Rache."
Ich fand, daß Adam nicht recht klar sprach. „Wollen
Sie mir die Geschichte nicht lieber im Zusammenhange dar
stellen? Essen Sie, lieber Adam, und dann erzählen Sie."
„Vortrefflich!" sagte Adam und nahm den ersten Bissen.
„Oder besser noch: ich esse und erzähle. Dann esse ich nicht
so sehr schnell, wie zu tun mein Lunger mich verleiten könnte,
und was mir vielleicht schädlich sein könnte. Also paffen
Sie aus!"
And Adam speiste und erzählte.
„Pflichtgetreu, wie das in meiner Natur liegt, besorgte
ich also gestern, nachdem ich Sie verlassen, sofort die Adresse,
die ich Ihnen am Abend bringen wollte. Dann begab ich
mich nach Lause, ein Vorhaben zu erledigen, von dem ich,
wenn ich nicht irre, Ihnen bereits Mitteilung gemacht hatte.
Sie hatten mir doch ein freundschastliches Darlehen gewährt
und mich dadurch seelisch so gestärtt, daß ich meiner Tante
gründlich die Wahrheit schreiben wollte, der unbarmherzigen
Tante, die, selbst im Aeberflusse schwelgend, mich grausam
am schlecht schmeckenden Lungertuche nagen ließ. Ich wollte
mir das Vergnügen machen, ste gründlich zu ärgern. Wenn
ich bei einem Vergnügen bin, Pflege ich es auch in vollen
Zügen zu genießen. Ich kann Ihnen sagen: es wurde ein
prächtiger Brief. Scherz, Satire, Ironie und tiefere Be-
deutung lagen darin, und mit großer Genugtuung malte
ich mir aus, wie meine schäbige Tante in ihrer der meinen
so ungleich überlegenen ökonomischen Lage wenigstens
für einige Zeit durch dieses Schreiben der Behaglichkeit
beraubt werden würde. Ich ging auch gleich mit dem
Brief nach dem nächsten Briefkasten, ihn der Fürsorge der
Post zu überantworten. Im Moment abcr, als der Vrief
hinter den Zähnen der Klappe verschwand, durchzuckte mich,
wie gute Feuilletonisten sich ausdrücken, blitzartig die Emp-
findung, daß ich etwas getan hätte, was ich später lieber
nicht getan zu haben wünschen würde. Ich gestehe, schon
bei früheren Gelegenheiten diese Empfindung gehabt zu
haben. Sie hat mich nie getäuscht und auch dies letzte Mal
leider nicht.
Geben Sie acht, Verehrtester! Ich begab mich nun auf
einem kurzen Amwege des Schlenderns nach Lause zurllck.
Da geht vor mir der Briefträger die Treppe hinauf. Viel-
leicht hat er etwas für dich, denke ich, und bleibe zurück,
erst einmal zu lauschen, ob er nicht eine Nachnahme oder
sonst etwas Anangenehmes bringt. Was aber muß ich
hören? Eine Postanweisung hat der Mann. Ich flattere
die Treppe hinauf, — es sind 300 Mark. Denken Sie;
Der verfolgte Brief
Adresse. Ich komme um vier-
undzwanzig Stunden zu spät,
nicht wahr? Enlschuldigen Sie
gütigst, der Neid der Götter
hatte unüberwindliche Linder-
nisse zwischen Sie und mich ge-
türmt. Ich bin schuldlos; es
liegt vis mnjor vor, höhere
Gewalt. 0,0,0! Lundemüde
bin ich, wie ein Iagdhund, der
eine Antilope hat jagen müssen,
die bekanntlich zu den schnell-
füßigsten Tieren gehört."
Damit ließ Adam sich in
einen Sessel fallen und streckte
die Beine in ihrer ganzen
Länge von sich. „Bitte, nehmen
Sie nicht Anstoß daran, daß
ich mich in dieser Weise aus-
dehne! Sie werden in Kürze
begreifen, warum ich ein nicht
zu unterdrückendes Begehren
darnach verspüre. And dann
— wenn ich Sie um ein Butter-
brot ersuchen dürfte oder auch
zwei oder drei! Ich bin ganz ent-
setzlich ausgehungert. Eigent-
lich hatte ich im Speisewagen
essen wollen, aber mancherlei
Gründe waren mir im Wege. Mein Kragen war nur noch
wenig sauber, mein Laar so ungepflegt, — ja, und dann
hatte ich auch kein Geld mehr, wenigstens kein bares Geld."
Ich wunderte mich. „Im Speisewagen haben Sie essen
wollen, lieber Adam? Nun sagen Sie einmal an: Sie haben
also eine Reise unternommen. Wie ist denn das so schnell
gekommen? Als Sie gestern von mir fort gingen wußten
Sie noch nichts davon."
„Ahnt der Sterbliche, was die Götter in der nächsten
Stunde über ihn zu verhängen gedenken! Ia, Verehrtester,
ich bin gereist, ganz mächtig gereist, — als wenn mich der
Teufel beim Kragen gepackt und durch die deutschen Lande
geschleift hätte. So etwas Blödsinniges kann auch nur mir
passieren. Aber einzig der Postmensch ist daran schuld.
Warum gab er mir nicht eine erschöpsende Auskunft? Sein
Postamt war freilich schon geschlossen, und er hatte den be
greiflichen Wunsch, zu seinem Abendbier zu kommen. Aber
man ist doch auch ein Mensch und kann seinem Nächsten
wohl eine Minute opsern, wenn man ihm dadurch Stunden
der Pein und zudem Kosten und Anstrengungen erspart.
Der Mann, der den Briefkasten leerte, hätte übrigens auch
pünktlicher sein können, dann wäre ich sicher noch zur Zeit
nach dem Postamt gekommen. Aber ich werde mich rächen,
an der ganzen Post. Sehen Sie das Paket, es enthält die
Werkzeuge meiner Rache."
Ich fand, daß Adam nicht recht klar sprach. „Wollen
Sie mir die Geschichte nicht lieber im Zusammenhange dar
stellen? Essen Sie, lieber Adam, und dann erzählen Sie."
„Vortrefflich!" sagte Adam und nahm den ersten Bissen.
„Oder besser noch: ich esse und erzähle. Dann esse ich nicht
so sehr schnell, wie zu tun mein Lunger mich verleiten könnte,
und was mir vielleicht schädlich sein könnte. Also paffen
Sie aus!"
And Adam speiste und erzählte.
„Pflichtgetreu, wie das in meiner Natur liegt, besorgte
ich also gestern, nachdem ich Sie verlassen, sofort die Adresse,
die ich Ihnen am Abend bringen wollte. Dann begab ich
mich nach Lause, ein Vorhaben zu erledigen, von dem ich,
wenn ich nicht irre, Ihnen bereits Mitteilung gemacht hatte.
Sie hatten mir doch ein freundschastliches Darlehen gewährt
und mich dadurch seelisch so gestärtt, daß ich meiner Tante
gründlich die Wahrheit schreiben wollte, der unbarmherzigen
Tante, die, selbst im Aeberflusse schwelgend, mich grausam
am schlecht schmeckenden Lungertuche nagen ließ. Ich wollte
mir das Vergnügen machen, ste gründlich zu ärgern. Wenn
ich bei einem Vergnügen bin, Pflege ich es auch in vollen
Zügen zu genießen. Ich kann Ihnen sagen: es wurde ein
prächtiger Brief. Scherz, Satire, Ironie und tiefere Be-
deutung lagen darin, und mit großer Genugtuung malte
ich mir aus, wie meine schäbige Tante in ihrer der meinen
so ungleich überlegenen ökonomischen Lage wenigstens
für einige Zeit durch dieses Schreiben der Behaglichkeit
beraubt werden würde. Ich ging auch gleich mit dem
Brief nach dem nächsten Briefkasten, ihn der Fürsorge der
Post zu überantworten. Im Moment abcr, als der Vrief
hinter den Zähnen der Klappe verschwand, durchzuckte mich,
wie gute Feuilletonisten sich ausdrücken, blitzartig die Emp-
findung, daß ich etwas getan hätte, was ich später lieber
nicht getan zu haben wünschen würde. Ich gestehe, schon
bei früheren Gelegenheiten diese Empfindung gehabt zu
haben. Sie hat mich nie getäuscht und auch dies letzte Mal
leider nicht.
Geben Sie acht, Verehrtester! Ich begab mich nun auf
einem kurzen Amwege des Schlenderns nach Lause zurllck.
Da geht vor mir der Briefträger die Treppe hinauf. Viel-
leicht hat er etwas für dich, denke ich, und bleibe zurück,
erst einmal zu lauschen, ob er nicht eine Nachnahme oder
sonst etwas Anangenehmes bringt. Was aber muß ich
hören? Eine Postanweisung hat der Mann. Ich flattere
die Treppe hinauf, — es sind 300 Mark. Denken Sie;