88 Meggendorfer-Blätter, München
llnüberlegt — „Donnerwetter, Iohann, Sie nehmen stch aber wirk-
lich zuviel heraus. Meinen Wein trinken Sie, meine Zi
garren rauchen Sie, und jetzt küssen Sie auch noch das Stubenmädchen!"
Der Fund im Speicher
Leimgang seines Besitzers ebenso still und friedlich ent-
schlafen. Früher allerdings, so etwa vor zwanzig Iahren,
hatte ein erstaunlich lebhafter Verkehr in dem alten Ge-
schäftshause geherrscht. Da waren Briefträger gekommen,
Frachtwagen hatten gehalten, die geheimnisvolle Ballen
gebracht und abgeholt hatten, Leute mit spekulativen Mie-
nen waren aus- und eingegangen, Boten der Reichsbank-
filiale mit ihren unangenehmen, steinernen Gesichtern hatten
Säcke voll Geld hinein- und herausgetragen,
und einmal hatte sogar ein Gerichtsvollzieher,
allerdings irrtümlichweise, das Laus betreten.
Mittags und abends waren einige jüngere
Lerrn mit weißen Flecken an den Ellenbogen
herausgestürmt, denen bedächtig ein alter, ver-
staubter Buchhalter gefolgt war, und oft hatte
man noch bis Mitternacht Licht in den Kontor-
räumen gesehen. Das alles war so mit der
Zeit anders geworden; die jungen Lerren
waren in andere Konditionen gegangen, der
Buchhalter hatte flch zur Ruhe gesetzt, die
Bankboten ließen das Laus hochmütig im
Stiche, der Briefträger warf, was er zu
bringen hatte, in einen am Laustor angebrach-
ten Briefkasten,und die Rollwagen hatten, wie
es schien, die für das Bärmannsche Produkten-
geschäft bestimmten Güter mit samt den Fracht-
zetteln unterwegs verloren. Nur Lerrn Bär-
mann sen., der das altersschwache Laus ganz
allein bewohnte, sah man von früh bis abends
im Kontor sitzen, wo er anscheinend über Pa-
pieren und Rechnungen brütete, denn genaues
konnte man durch die grünen Drahtvorsetzer
hinter den vergitterten Fenstern nicht beob-
achten. Auch Frau Popp, die Frau des Zei-
tungshändlers gegenüber, die Lerrn Bärmann
die Auswartung machte und ihm aus dem
„Goldenen Schwan" das Essen holte, konnte
bestimmtere Angaben nicht machen. And nun
standen das Produktengeschäft, sowie das Lerz
seines greisen Besitzers gänzlich still. Lerr Bär-
mann sen. wurde in einem einfachen Sarge
unter dem Geleite der wenigen Verwandten,
der teilnehmenden Nachbarschaft und einiger
anhänglicher Kunden hinausgetragen, und Lerr
Bärmann jun., der einzige Sohn, der Werft-
leiter in Lamburg war, schloß mit einem ge-
wichtigen Schlüssel Laus und Geschäft zu.
Denn das Laus sollte nach dem ausdrück-
lichen Wunsch des Verstorbenen der Bär-
mannschen Familie erhalten bleiben; was das
Geschäft anbetraf, so kamen diesbezügliche
testamentarische Verfügungen nicht in die
Oeffentlichkeit.
Lier wäre nun eigentlich die Geschichte zu
Ende. Denn Lerr Bärmann jun. ging wieder
nach Lamburg, die Frau des Zeitungshänd-
lers suchte sich einen andern Dienst, und Briefe
kamen überhaupt keine mehr. And dennoch
beginnt sie hier eigentlich erst.
Etwa drei Monate mochten vergangen
sein, da tauchte in der Scheffelgasse sowie in
den angrenzenden Neben- und Quergassen ein
merkwürdiges Gerücht auf. Demzufolge sollte
die Beisetzung des Lerrn Bärmann sen. nur
ein Scheinbegräbnis gewesen sein. In dem Sarg seien
lediglich einige Ziegelsteine gewesen, der alte Landelsherr
aber solle in einer festen Kiste auf dem Speicher seines
Lauses liegen, angeblich, um sich auch im Tode von seinem
Eigentum nicht trennen zu müssen. So absurd das auch
klang, so glaubten es doch die Leute, denn moderner Geist
war, wie schon gesagt, in dem Scheffelgassenviertel noch
nicht zu Lause, und Lerr Bärmann sen. war ja als absonder-
licher Mensch bekannt gewesen.
llnüberlegt — „Donnerwetter, Iohann, Sie nehmen stch aber wirk-
lich zuviel heraus. Meinen Wein trinken Sie, meine Zi
garren rauchen Sie, und jetzt küssen Sie auch noch das Stubenmädchen!"
Der Fund im Speicher
Leimgang seines Besitzers ebenso still und friedlich ent-
schlafen. Früher allerdings, so etwa vor zwanzig Iahren,
hatte ein erstaunlich lebhafter Verkehr in dem alten Ge-
schäftshause geherrscht. Da waren Briefträger gekommen,
Frachtwagen hatten gehalten, die geheimnisvolle Ballen
gebracht und abgeholt hatten, Leute mit spekulativen Mie-
nen waren aus- und eingegangen, Boten der Reichsbank-
filiale mit ihren unangenehmen, steinernen Gesichtern hatten
Säcke voll Geld hinein- und herausgetragen,
und einmal hatte sogar ein Gerichtsvollzieher,
allerdings irrtümlichweise, das Laus betreten.
Mittags und abends waren einige jüngere
Lerrn mit weißen Flecken an den Ellenbogen
herausgestürmt, denen bedächtig ein alter, ver-
staubter Buchhalter gefolgt war, und oft hatte
man noch bis Mitternacht Licht in den Kontor-
räumen gesehen. Das alles war so mit der
Zeit anders geworden; die jungen Lerren
waren in andere Konditionen gegangen, der
Buchhalter hatte flch zur Ruhe gesetzt, die
Bankboten ließen das Laus hochmütig im
Stiche, der Briefträger warf, was er zu
bringen hatte, in einen am Laustor angebrach-
ten Briefkasten,und die Rollwagen hatten, wie
es schien, die für das Bärmannsche Produkten-
geschäft bestimmten Güter mit samt den Fracht-
zetteln unterwegs verloren. Nur Lerrn Bär-
mann sen., der das altersschwache Laus ganz
allein bewohnte, sah man von früh bis abends
im Kontor sitzen, wo er anscheinend über Pa-
pieren und Rechnungen brütete, denn genaues
konnte man durch die grünen Drahtvorsetzer
hinter den vergitterten Fenstern nicht beob-
achten. Auch Frau Popp, die Frau des Zei-
tungshändlers gegenüber, die Lerrn Bärmann
die Auswartung machte und ihm aus dem
„Goldenen Schwan" das Essen holte, konnte
bestimmtere Angaben nicht machen. And nun
standen das Produktengeschäft, sowie das Lerz
seines greisen Besitzers gänzlich still. Lerr Bär-
mann sen. wurde in einem einfachen Sarge
unter dem Geleite der wenigen Verwandten,
der teilnehmenden Nachbarschaft und einiger
anhänglicher Kunden hinausgetragen, und Lerr
Bärmann jun., der einzige Sohn, der Werft-
leiter in Lamburg war, schloß mit einem ge-
wichtigen Schlüssel Laus und Geschäft zu.
Denn das Laus sollte nach dem ausdrück-
lichen Wunsch des Verstorbenen der Bär-
mannschen Familie erhalten bleiben; was das
Geschäft anbetraf, so kamen diesbezügliche
testamentarische Verfügungen nicht in die
Oeffentlichkeit.
Lier wäre nun eigentlich die Geschichte zu
Ende. Denn Lerr Bärmann jun. ging wieder
nach Lamburg, die Frau des Zeitungshänd-
lers suchte sich einen andern Dienst, und Briefe
kamen überhaupt keine mehr. And dennoch
beginnt sie hier eigentlich erst.
Etwa drei Monate mochten vergangen
sein, da tauchte in der Scheffelgasse sowie in
den angrenzenden Neben- und Quergassen ein
merkwürdiges Gerücht auf. Demzufolge sollte
die Beisetzung des Lerrn Bärmann sen. nur
ein Scheinbegräbnis gewesen sein. In dem Sarg seien
lediglich einige Ziegelsteine gewesen, der alte Landelsherr
aber solle in einer festen Kiste auf dem Speicher seines
Lauses liegen, angeblich, um sich auch im Tode von seinem
Eigentum nicht trennen zu müssen. So absurd das auch
klang, so glaubten es doch die Leute, denn moderner Geist
war, wie schon gesagt, in dem Scheffelgassenviertel noch
nicht zu Lause, und Lerr Bärmann sen. war ja als absonder-
licher Mensch bekannt gewesen.