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Zeitschrift für Humor und Kunst <2^2

Der Wahnsinnige

fahrung als die meiner jllngsten Toch
ter identifizieren. Dann wurde die
Türklingel in Bewegung gesetzt, un
aufhörlich, und durch rllcksichtsloses,
wie von rauher Not diktiertes Pol-
ter» gegen die Tür unterstützt. Ich
hörte, wie die Tür geöffnet wurde;

Menschen purzelten in den Korridor
hinein, und dann erfüllte ihn wüster
Lärm.

Natürlich war es meine Pflicht,
nachzusehn, was geschehen war.

Irgendein Kind konnte fich ja irgend
etwas gebrochen haben. Das wenig-
stens ist die Möglichkeit, an die ich
in solchcn Fällen immer mit Schauder
denke. Meine Frau dagegen hat
dann immer die Befürchtung, daß
cin Kind stch cin Loch in den Kopf
geschlagen hat. Sie war natürlich
auch sofort in den Korridor geeilt,
wo nun die ganze Familie nebst dem
Kindermädchen und der Köchin ver
sammelt war.

Es war aber wedcr ein Glied
gebrochen, noch ein Loch in einen Kopf
geschlagen. Meine Iüngste schrie nur,
weil sie vom Kindermädchen gar zu
hestig die Treppe hinaus geschleift
worden war, — auf einer wilden
Flucht, zu der ein unerwartetes Er-
eignis die Veranlassung gegeben
hatte. Das Kindermädchen ver°
mochte nicht gleich zu erzählen. Sie
mußte erst zur Beruhigung ein Glas
Wasser trinken, das ihr die Köchin
auf dringendes Verlangen brachte.

Für gewöhnlich hätte die Köchin zu
solcher Landreichung sich natürlich
niemals bereit gefunden, aber dies-
mal tat sie es aus Neugierde. Also:
was hatte es gegeben?

„Ganz vergnügt sind wir die
Treppe 'nuntergegangen. Da, Maria und Ioseph," — begann
das Kindermädchen meiner Frau und mir zu erzählen. Dieses
„Maria und Ioseph" war natürlich ein Anruf der Leiligen,
nicht etwa eine Anrede, denn meine Frau heißt nicht Maria
und ich nicht Ioseph, und außerdem hätten wir, wenn unsere
Dienstboten auch sonst sich sehr viel erlauben, es uns doch
verbeten, beim Vornamen angeredet zu werden, „Da, Maria
und Ioseph, daß ich so was hab' erleben müffen!" erzählte
also das Kindermädchen, „da, wie wir gerade auf dem letzten
Treppenabsatz sind, wird unten die Äaustür aufgemacht.
Ganz einfach aufgedrückt wird sie. Ich hab's ja schon immer
der Lausmeisterin gesagt, daß das Schloß nicht in Ordnung
ist, und daß jeder Fremde die Tür aufkriegt, und, wer weiß
was, kann ins Laus kommen, aber die Lausmeisterin hat
gesagt, da müßt' der Lausherr viel Geld llbrig haben, wenn
er immerzu-"

„Reden Sie nicht vom Lausherrn," wurde das Kinder-
mädchen ermahnt; „erzählen Sie, was passiert ist." And
wirklich schien ja das Geschehnis arauenhaft genug, so daß
die Erwähnung des Lausherrn höchst überfiüssig war.

„Ia, also die Tür geht auf, und ein Mann streckt seinen

— „Gar zu verkehrt geht's zu in der Welt. Früher, wo
du keine Notschlachlung gebraucht hast, kamen die Auto-
mobile daher, und jetzt, wo du gern mal 'ne Notschlach-
tung haben möchtest, da sind keine Automobile da,"

Kopf 'rein, ganz vorsichtig, als ob er erst mal gucken wollte,
ob auch niemand auf dem Wege wäre. Ich hatte schon
Angst, es wäre ein Einbrecher. Aber es war ja nicht Nacht,
und er sah auch ganz gutmütig aus. Ein dickes, rotes Ge-
sicht hatte er und ganz kleine Augen darin, und das konnte
ja wohl kein Einbrecher sein. (Es blieb unkmr, warum das
Kindermädchen der Meinung war, daß Leute mit kleinen
Augen sich nicht zu Einbrechern eignen; vielleicht nahm sie
an, daß die vorzugsweise nächtliche Beschäftigung solcher
Lerren recht große Augen voraussetzt.) Wie er uns nun
zu sehen bekommt, grinst er über das ganze Gesicht, daß
ich mich wundere und denke: Nanu, was hat denn der zu
grinsen? Sehn wir denn so aus, daß man über uns grinsen
muß? Dann wird er aber ganz ernst und nickt mir zu, als
ob er mir was sagen will, und dann schüttelt er den Kopf,
immer hin und her. Mit dem muß es nicht ganz richlig
sein, denke ich mir; das beste wird sein, wir kehren uns gar
nicht an den Kerl. — Ich gehe also weiter mit den Kindern
die Treppe hinunter. Da steckt er den Arm durch die Tür
und zeigt die Treppe 'rauf, als wenn wir wieder zurück
geh'n sollen, And dabei rollt er mit seinen kleinen Augen,
 
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