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Ein opferwilliges Herrle — „Was tun Sie denn da unter der Bank?"

— „Ia, wissen Sie, mein Lund bleibt anders nicht drunten liegen."

Lannchens Weihnachtsgeschenk

geherrscht hatte, war der Vater doch immer der Leiter der
äußeren Angelegenheiten gewesen. Nun mußte eine Todes-
anzeige abgesaßt werden, aber der Vater, der alles Schrift-
liche besorgt hatte, war nicht mehr da. Es mußte etwas
bestellt werden, etwas sehr Wichtiges, nämlich ein Sarg,
aber der Vater, der bei allen kostspieligeren Anschaffungen
das leyte Votum gehabt hatte, konnte nicht mehr befragt
werden. Wie ein unerhörter Uebergriff kam Mutter und
Tochter vor, was fle nun an Bestimmungen trafen.

Aber selbstverständlich erschien ihncn dann, was ste
einen Monat später taten und was früher wie nichts anderes
den Rat des Vaters vorausgesetzt hätte, — fie wechselten
die Wohnung. Selbstverständlich darum, weil dieser Woh-
nungswechsel ste mit dem Vater in eine ganz besondere,
den jetzigen Amständen cntsprechende Beziehung brachle.
Bei Bäckermeister Enderut am Ende der Stadt, dort wo
die Landstraße nach Insterburg anfängt. standen gerade
zwei Zimmer mit Küche leer, und aus dcm einen Zimmer,
das Mutter und Tochter zum Wohnzimmer nahmen, konnte
man auf den nahen Friedhof sehen und gerade auf jenen
Fleck, wo ein weißer Stein die Nuhestätte Friedrich Stobbes
bezeichnete. Es war kein anderes Fenster in der ganzen
Stadt, das diese Möglichkeit bot, und deshalb wäre die
Wohnung gemiekct worden, auch wenn sie das elcndeste
Quartier gewesen wäre. Aber das war ste nicht; sie war
hübsch und behaglich, und Bäckermeister Enderut, der ein

angenehmer Lauswirt war, ließ sie zum Aeberfluß noch an-
streichen und tapezieren, als käme es gar nicht aufs Geld
an und wären gar keine Lypothekenzinsen zu zahlen. —
In der Frühe, wenn Mutter und Tochter sich den
Gutenmorgenkuß gegeben hatten, sahen sie nun nach dem
weißen Stein, als wäre die morgendliche Begrüßung erst
vollständig durch ein trauriges Kopfnicken nach jenem Platze
hin, und ebenso wurde der Vater auch immer in den Gute-
nachtwunsch einbezogen. Sie hatten nicht daran gedacht,
als sie einen weißen Stein wählten, aber jetzt zeigte sich,
wie gut das war: auch an ganz dunklen Abenden war er
zwischen den schwarzen Sträuchern immer noch deutlich
zu erkennen. Tagsüber aber gab es so viele am Wohn-
stubenfenster verbrachte Stunden stiller Arbeit, bei der
jedes Aufblicken, jede Ruhepause dem Stein galk. In der
ersten Zeit freilich trieb sein Anblick noch manches Wasser
in die Augen, aber mehr und mehr wurde das traurige
Nicken, mik dem man den weißen Stein grüßte, zu einem
sanften Streicheln in die Fernc. —

Zwei Iahre später erfuhren die Goldbuchstaben auf
dem Stein eincn Zuwachs: zu Friedrich Stobbe gesellte
sich Martha Stobbe. Lannchen Stobbe war eine Waise
gewordcn. Ihre dreißig Iahre zählte sie nicht; sie hätte
es ganz begreiflich gefunden, wenn man sie in ein Waisen-
haus gesteckt hätte, so hilflos und verlasscn kam sie stch
vor. Ein kleines Kapital war da, Vater Stobbes Erspar-
nisse aus langen Iahren. Daß 'chies Geld nun ihr über-
 
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