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Z Meggendorfer-Blätter, München

Beim Parademarsch

Anteroffizier: „Ia, ja, Meier, vom
Erhabenen zum Lächerlichen ist nur
ein Schritt, und das ist der Ihrige."

Die Testamentsziege Von C. A. sen „; g

Dr. Ohnesorg, Giftmischer, Brummbär, Knurrhahn
und Geheimniskrämer, besaß neben einem runden Ver-
mögen ein hübsches Landhaus am badischen Rheinufer,
das er mit einem alten Gärtner-Ehepaar gonz allein be-
wohnte und sorgfältig, fast feindselig vor der Welt ver-
fchlossen hielt. Das Laus war eines der schönsten in seiner
Art; es war weder im Protzen- noch im Puppenstil er-
baut, sondern machte in seiner gradlinigen Einsachheit
einen fast feudalen Eindruck, der noch daturch erhöbt wurde,
daß die hohen Nundbogenfenster durch Läden beständig
verschlosscn waren. Denn nur, wer die Landhäuser besitzt
wie die Krawatten, kann es sich leisten, immer eine Anzahl
davon leer stehen zu lassen. Dies war nun hier nicht der
Fall. Denn Dr. Ohnesorg wohnte in seinem Laus, ob-
gleich die Art und Weise. wie er es tat, eine Sünde gegen
einen so herrlichen Besitz war. Die meiste Zeit verbrachte
cr nämlich in einem im Keller gelegenen Laboratorium,
wo er auch seine Mahlzeiten nahm, und nur zum Schlafen
benutzte er ein Zimmer an der Rückfront des ersten Stock-
werkes. Ganz selten kam er in den Garten, der das Laus
parkähnlich umschloß und von einer uralten lebenden Lecke
umgeben war, so daß es lediglich möglich war, durch das
Einfahrtstor einen Blick in dessen Inneres zu werfen. Mit
seiner Amgebung trat Dr. Ohnesorg fast nie in Beziehung,
nur wenn ihn die Notwendigkeit dazu zwang, d. h. wenn
es Angelegenheiten zu erledigen gab, die sein persönliches
Erscheinen erforderten. !lnd bei solchen Gclegenheiten
lernten ihn seine Nachbarn als eincn äußerst mürrischen,
unzugänglichen und boshaften Menschen kennen, mit dem
in näheren Verkehr zu treten, man gerne vermied. Nichts-
destoweniger beschäftigte man sich aber ziemlich viel mit
ihm, denn es ist eine eigentümliche Tatsache, daß jemand,
der absolut zurückgezogen zu leben wünscht, am meisten
der nachbarlichen Neugierde ausgesetzt ist. And was dann
dem Wlssen mangelt, ersetzt die Phantasie. Beionders das
geheimnisvolle Laboratorium, das er sich in dem einsamen
Lause angelegt hatte, war der Ausgangspunkt der ver-
schiedensten Legenden, die man um ihn herum gebildet

hatte. Die einen bchaupteten, er habe
seine Frau umgebracht und löse sie nun
dort allmählich in allerhand Säuren
auf, die andern nannten ihn kurrerhand
einen Giftmischer, der mit dem Lofe
von Rußland sowie mit der hohen
Pforte in Beziehung stehe, wieder
andere beschuttigten ihn direkt eines
Verkehrs mit dem Teufel, was sie mit
den seltsamen Gerüchen, die dem Schorn-
stein seines Lauses entströmten, in Ver-
bindung brachten. Die meisten Anhänger
hatte indeffen die mittlere Lesart, und
man nannte ihn deshalb in der ganzen
Amgegend nur den alten Giftmischer.

Vor dem Lause des alten Gift-
mischers hielt nun eines schönen Tages
ein Mietswagen, dem ein junges Paar
entstieg, das sich nach neugierjger !lm-
schau dem Gittertore näherte.

„Ach Gott, Fritz," sagte die Dame,
„ich fürchte mich doch ein wenig. Laus
und Garten machen zwar einen recht
freundlichen Eindruck, aber alles liegt
so verlassen da, so unheimlich still."

„Kein Grund zur Furcht, Malchen," beruhigte sie der
Angeredete, „der Onkel ist eben ein menschenscheuer Sonder-
ling, und wer sollte da Leben ins Laus bringen? Aber
irgend ein dienstbarer Geist wird sich wohl aus dem
Dvrnröechenschloß herbei zaubern laffen. Läuten wir
einmal."

Das war aber unnötig. Denn der alte Gärtner, der
den Wagen bereits hatte kommen hören, bog soeben um
ein Palmenrondell herum.

„Die Lerrschaften, die sich angemeldet haben?" fragte
er kurz und mürrisch. Er schicn bei seinem Lerrn in die
Schule gegangen sein. „Dann bilte ich mir zu folgen."

Ohne eine Antwort abzuwarten, öffnete er eine Seiten-
pforte, ließ die Gäste ein und schritt ihnen dann voran,
dem Lause zu, wo er sie mit einem Kratzfuße an einen
hageren alten Lerrn ablieferte, der an dem Eingang stand.

„Mein Neffe Fritz. vermute ich?" sagte er trocken.

„Fritz Ohnesorg, teurer Onkel, wie er leibt und lebt
und sich freut, seinen alten Onkel-—"

„Die junge Dame ist, sckätz ich, deine Frau?"

„Seit zehn Tagen, bester Onkel, und auch sie wird sich
glücklick schätzen --"

„Lassen wir die Redensarten," unterbrach sie frostig
der alte Giftmischer, „ich bin ihrer entwöhnt und gebe n'chts
darauf. Ihr habt euch die Mühe gemacht, mich zu besuchen.
Lätte ich eine nähere Adresse gewußt, so hätte ich euch
geschrieben, daß ich auf Gäste ganz und gar nicht einge-
richtet bin. Ich habe euch indeffen zwei Zimmer herrichten
lassen; versucht, ob es euck darin gefällt. Die Frau des
Gärtners wird nach euern Bedürfnissen fragen. Mich selbst
entschuldigt ihr wohl. Ich habe meine Gewobnheiten, die
keine Störung dulden, und ich fühle mich deshalb nicht
verpflichtet, von ihnen abzugehen."

Fritz Ohnesorg hatte mit wachsender Entrüstung der
seltsamen Willkommensrede zugehört, dann aber eiwiderte
er: „Mit andern Worien, Lerr Onkel, Sie weisen uns,
Ihren einzigen Verwandten, die Tür?"

„Das tue ich nicht, beileibe," entgegnete sarkastiich der
Onkel. „Aber wenn euch meine Art nicht gefällt, so bleibt
 
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